Rechtssprechung

Die erkennungsdienstliche Behandlung - Teil 3

zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. zum Zwecke des Erkennungsdienstes nach den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 10 PolG NW bzw. 81b 2 StPO – Fortsetzung

Anmerkungen


Aufsatz von Christoph Keller in Kriminalistik 3/2004 und Urteil des BVerwG v. 23.11.05 – 6 C 2.05, sowie Aufsatz von Ch. Katzidis in die Kriminalpolizei 01/2012. – Auf den im Zuge der DNA-Gesetzgebung in 2000 und der vorsorgenden Telekommunikationsüberwachung in 2005 erneut aufgeflammten, eher dogmatischen Streit, ob § 81b 2 StPO eher präventiven oder doch überwiegend repressiven Charakter hat, soll hier nicht eingegangen werden, allerdings hat bzw. hätte die Entscheidung – was die Anordnungskompetenz, Rechtsweg und die Vorschriften hinsichtlich der zwangsweisen Vorführung angeht – wesentliche Auswirkungen.
Zielrichtung ist also primär die (verbesserte) Aufklärungsmöglichkeit von zukünftigen oder auch – z.B. per parallel durchgeführtem AFIS-Abgleich- von zurückliegenden Taten und eben nicht – wie weit verbreitet – die Abschreckung, neue Taten zu begehen (wenngleich dies ein sinnvoller Nebeneffekt ist).
Def.: ... ist der Verdächtige, gegen den gesteigerte d.h. über die Begründung der Verdächtigeneigenschaft hinausgehende, weitere Verdachtsindizien vorliegen. Erst bei dieser erhöhten Stärke des Tatverdachts gehen die Strafverfolgungsbehörden nach pflichtgemäßen Ermessen dazu über, gegen den Verdächtigen das Verfahren als Beschuldigten zu betreiben (BGH 1. Strafsenat, 30.01.01, 1 StR 454/00). Die Person in einer Strafanzeige könnte deshalb zunächst „nur“ Verdächtiger sein, Ermittlungsmaßnahmen wie IDF nach § 163b StPO oder Durchsuchung nach § 102 StPO sind trotzdem zulässig. Insofern folgt o.g. Urteil zu Recht nicht der Meinung einiger weniger Buchautoren, die mit Anzeigenerstattung den Besch.-Status als gegeben sehen.
Eine extrem erweiternde – aktuellste – Def. des Beschuldigten urteilte der BGH, 1. Senat, v. 3.7.07 Str.3/07: liegt keine erhöhte Verdachtslage vor, ergibt sich der Verfolgungswille jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung, so ist der Besch.-Status schon erreicht; oder auch dann, wenn eine Durchsuchung – nur – dazu dient, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu finden) !!! Artkämper in Kriminalistik 8-9/07
§ 14 1 S. 2 fordert: … das zur vorbeugenden… von Straftaten… und eine „Tat, die mit Strafe bedroht ist“; Straftat ist hier nicht dogmatisch zu verstehen: also eine rechtswidrige Tat ist ausreichend, sie ist auch i.S.v. „einer mit Strafe bedrohten Handlung/Unterlassung“ zu definieren
So z.B. Urteil des VG Köln vom 16.08.07, 20K1674/06;. nach Meyer/Goßner und den FAQ NW (Seite 10) soll in diesem Zusammenhang die ED- Behandlung sogar bei FREISPRUCH und sogar nach § 81b 2 StPO möglich sein, a.M allerdings das BVerwG 2,202=NJW 56,235 sowie BVerwG NJW83,772,773; NJW 1338/1339 und Tegtmeyer/Vahle !!!
Das Wort „Wahrscheinlichkeit“ wurde durch die Rechtssprechung bei Begründung eines Verdachtes oder einer Gefahr verwandt, z.B. bedeute hohe Wahrscheinlichkeit, dass „(zumindest) etwas mehr dafür als dagegen spricht“; mithin immer dann, wenn in der StPO das Wort „dringend“ gebraucht wird: wie bei der Führerscheinbeschlagnahme oder bei dringendem Tatverdacht oder bei den Haftgründen. Niedriger einzustufen als der Verdacht ist die VERMUTUNG, die die Rechtsprechung bei der Erfolgs-Vermutung im § 102 StPO verlangt, man verwendet zur Umschreibung auch das Wort „MÖGLICHKEIT“. Zur Begründung reicht hier z.B. die kriminalpolizeiliche Erfahrung. Ergo bitte bei der Prognose nicht die Formulierung „es kann nicht ausgeschlossen werden“ oder „es ist zu vermuten“ verwenden. Richtig ist: „Aufgrund folgender Tatsachen ist es wahrscheinlich, dass…“. Allein die kriminalpolizeiliche. Erfahrung oder ein anonymer Hinweis würden nicht ausreichen. Je mehr Tatsachen zusammenkommen, desto höher ist die Wiederholungsprognose bzw. die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung.
So im Ergebnis in ständiger Rechtsprechung auch das BVerwG 66, 192, 199, sowie OVG NS v. 24.10.07 11ME309/07 und VGH Baden-Württemberg v. 18.12.03. Beachte: nicht erforderlich ist die „hohe“ Wahrscheinlichkeit der Tatwiederholung wie sie z.B. in § 112a StPO gefordert wird.
Die Notwendigkeit ist besonders streng zu prüfen, was der Gesetzgeber auch durch die gesonderte Erwähnung im Gesetzestext unterstrichen hat
 vgl. LG Zweibrücken, Beschl. v. 23.09.1999 – 1 Qs 126/99. VG Köln vom 27.01.11 -20 K 1086/10 und VG Augsburg vom 11.03.10 – Au 5 K 09.1283 – lehnen eine ED bei Beziehungstaten/nicht anonymen TV grds. ab !!!
Vordrucke in IGVP (in NW) vorhanden, u.a.: Niederschrift einer ED-Behandlung; dies beinhaltet auch, dass man jede einzelne ED-Maßnahme bezeichnen, begründen und dem Gegenüber zur Kenntnis geben muss
Vgl. OVG Münster, DÖV 1999, S. 522 und AG Kiel vom 25.11.05 -43Gs2775/05 unter Hinweis auf BGHSt 34,39 (45)=NJW 1986
So u.a. Tegtmeyer/Vahle S. 108 Rd-Nr. 8
VG Berlin vom 28.12.04, 1A292.04: danach ist es grds. sogar unzulässig, die Vorladung zur ED-Behandlung mit der Vorladung zur Vernehmung zu verknüpfen, es sei denn, die Beweislage für den Tatverdacht (die Beschuldigteneigenschaft) ist aus Sicht der Polizei kaum noch anzuzweifeln; und zu § 28 Abs. 2 VwVfG: OVG Münster NJW 1978 sowie Koblenz DÖV 1979:“Gerade in Fällen der sof.Vollz. ist die Anhörung besonders wichtig“
Kriterium der „Dringlichkeit“, siehe OVG Greifswald NVwZ1995,608 oder der „Eilbedürftigkeit“, s. VGH Kassel NVwZ 1993,613 und Dörschuck Kriminal. 11/96
So u.a. OVG Lüneburg NdsVBl 199, 137, OVG Schleswig, NWwZ 1992, 688 u. VG Minden 25.10.02 -11L1226/02
Im Rahmen der ED-Behandlung kommt ein Sofortvollzug m.E. aufgrund mangelnder zeitlicher Dringlichkeit nicht in Frage, siehe § 50 Abs. 2 PolG
So KAY in Kriminalistik 4/2006 unter Verweis auf BVerwG v. 19.08.89 8C 79.87
Theoretisch käme auch Zwangsgeld in Betracht, allerdings nur dann, wenn z.B. nach einer Festnahme eine Freiheitsentziehung noch andauert. Ansonsten könnte unser Gegenüber während der Zwangsgeldandrohung und der Festsetzung die Dienststelle verlassen, so auch TETSCH (FHS Köln) und Bezirksregierung Köln.
Allein Aspekte der Verhältnismäßigkeit können das Zwangsgeldverfahren verhindern. § 53 3 PolG wird allerdings nach meinen Recherchen unterschiedlich ausgelegt, teilweise wird die Beitreibung auch nach einer durchgeführten ED-Behandlung versucht. Anmerkung: Auch wird die zwangsweise Vorführung mit einem in der Regel erforderlichen Durchsuchungsbeschluss parallel zur Beitreibung des Zwangsgeldes beantragt bzw. durchgeführt.
So Tegtmeyer/Vahle 9. Auflage zum PolG S. 394, 395
§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO findet – wie bereits erwähnt – bei Vorladungen naturgemäß keine Anwendung.
So nach meiner Lesart auch KAY unter Verweis auf das BVerwG, siehe auch Fußnoten 17 u. 26
So im Ergebnis auch : TETSCH, Eingriffsrecht 3. Auflage 2006
BayOblG, Beschl. V. 20.07.83, BReg. 3 Z 106/83; NPA, LZ 716
Überlegenswert wäre: wenn ich die sof. Vollz. nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründe, kann ich im Ausnahmefall damit auch die erforderliche hohe zeitliche Dringlichkeit der G.i.V. annehmen. Dies naturgemäß aber nur dann, wenn die Person auf der Dienststelle ist, denn bei Vorladungen werde ich grds. nur die weniger hohe zeitliche Dringlichkeit nach der Nr. 4 begründen können. Da ich eine Person auf der Dst. aber nicht mehr vorladen muss, also eine Vorführung entfällt, entfällt auch dieser Gedanke (hoffe nicht zu sehr verwirrt zu haben). Und noch etwas in Sachen „Spitz auf Knopf“: Habe ich ein Kind auf der Straße angetroffen, dass ich nachträglich als TV eines Raubes identifiziert habe und es ist o.f.W., dann müsste/könnte ich die ED-Behandlung anordnen sowie ggf. (bei Anfechtungsklage) die sof. Vollziehung nach § 80 Abs. 2. Nr. 2 begründen und es dann (zwangsweise, ohne richterlichen Beschluss) vorführen, da ich G.i.V. begründen könnte, oder ??? M.E kann die Begründung zur o.g. § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO identisch sein mit der zur G.i.V. Aber dieser Fall dürfte er selten sein.
So BGH 34.39,45 u. OLG Naumburg vom 06.12.05. 10 Wx14/05 mit weiteren Verweisen: „jegliche Zwangsanwendung des Ergreifens, des Verbringens u. des Festhaltens sowie sogar der Durchführung ist unmittelbar aus § 81b 2 StPO wegen der Formulierung „gegen den Willen“ abzuleiten. Insofern wiederum eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass § 81b 2 StPO materiell-rechtlich Polizeirecht ist. aM: Chemnitz in Polizei-Info 10/97 u. Vahle DNP 9/90, 463
Ausnahme: Begründung des § 80 Abs.2 S. 1 Nr. 2 VwGO, aber natürlich dennoch möglich
Per Dokumentation im Vordruck „Niederschrift…“
Passus wurde nur der Vollständigkeit halber eingefügt. Es kann ansonsten keine „Widersprüche“ geben, die die Vollziehungsanordnung betreffen, da diese mangels Verwaltungsaktsqualität nicht mit Rechtsbehelf der Anfechtungsklage angefochten werden kann.
Def.: Vorladung bedeutet, dass jemandem aufgetragen wird, sich zu einer bestimmten Zeit zu einem bestimmten Ort zu begeben, sie kann auch mündlich ausgesprochen werden,; sie ist ein Verwaltungsakt!
Anschreiben sollte sich im Vorgang wieder finden
Dass zunächst Zwangsgeldandrohung als Maßnahme zu prüfen ist, hat das OVG Münster schon am 16.11.81, Az.: 4B1078/81 festgestellt, untermauernd VG Ansbach vom 23.03.04, AN 5 S 03.02188
vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 6.12.05-10Wx14/05- u. BayOLG v. 20.07.83, denn es handelt sich um keine Durchsuchung – Prozesshandlung – im Strafverfahrensrecht, so dass die §§ 102 ff StPO als Befugnisnormen ausscheiden und Karlsruher Kommentar, 5. Auflage 2003 zur Alleinzuständigkeit der Polizei.
BVerwG, DÖV 1990, S. 117, es erfolgt eine einmalige Datenerhebung und deren mehrfache Nutzung, wobei der betroffenen Person eine zweite ED-Behandlung erspart bleibt. Diese Umwandlung ist auch möglich, wenn Daten nach § 163b StPO oder § 14 Abs. 1 Nr. 1 PolG erhoben wurden , siehe § 14 Abs. 2 PolG.
§ 13 DSG NRW schreibt eine Benachrichtigung zwar grds. vor, allerdings bezieht sich die – anzuwendende – spezialgesetzliche Regelung aus § 24 Abs. 3 PolG nur auf Kinder! Anderer Ansicht ist Katzidis in die Kriminalpolizei 01/2012, Seite 27.
LG Saarbrücken NStZ 2012, 167So auch Tetsch; diese Lösung bietet sich m.E. nur an, wenn ich „belehrungsresistenten“ Eltern zusätzlich den staatlichen Willen in aller Konsequenz vor Augen führen will