Rechtssprechung

Die erkennungsdienstliche Behandlung - Teil 3

zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. zum Zwecke des Erkennungsdienstes nach den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 10 PolG NW bzw. 81b 2 StPO – Fortsetzung



Die erforderlichen Daten liegen jedoch – wie oben erwähnt – vor allem hinsichtlich der KP 8-Unterlagen regelmäßig nicht vor. Diese wären dann nachträglich zu erstellen. Wie? Über das gefertigte Lichtbild können die Daten zu Größe, Haar- und Augenfarbe sowie das (zu schätzende) Gewicht eingetragen werden. Die zuständige ED-Stelle ist mit formlosem Umwidmungs-Antrag zu informieren, der FA-Bogen (nötigenfalls in Kopie), die CD-ROM mit dem Lichtbild und die KP 8 sind beizufügen.

Einbeziehung der Erziehungsberechtigten (EZB) bei/nach einer ED-Maßnahme eines Minderjährigen


ED ohne Wissen der Eltern
Werden ED-Maßnahmen bei KINDERN ohne Wissen/ohne Erreichbarkeit der Eltern durchgeführt, sind diese nachträglich in Kenntnis zu setzen und über § 14 Abs. 3 PolG/NW (Vernichtungsersuchen) zu belehren. Ausnahme: die Information würde erhebliche Nachteile für das Kindeswohl bedeuten (§ 24 Abs. 3 PolG). Aus Rechtsschutzgründen empfehle ich die Benachrichtigung der Sorgeberechtigten auch bei JUGENDLICHEN vorzunehmen.
Zu beachten sind auch die Vorschriften aus der PDV 382. Da es m.E. auch kein Anwesenheitserfordernis der Erziehungsberechtigten (richtigerweise bejahend36 bei Beschuldigtenvernehmungen wegen § 67 JGG) gibt, können ED-Maßnahmen grds. auch ohne sie durchgeführt werden. Gleichwohl ist aus Rechtsschutzgründen zu empfehlen, die EZB vorher zu informieren und ggf. deren Erscheinen abzuwarten. Ihnen stehen – auch nachträglich – natürlich die Antragsrechte aus § 80 Abs. 4 und 5 VwGO zu.

Mangelndes Verständnis der Belehrung
Fraglich ist die Verfahrensweise, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher die Belehrung nicht versteht, also Zweifel an der nötigen Verstandesreife vorliegen. Die PDV 382 und die StPO regeln dies nur in Zusammenhang mit Vernehmungen. M.E. kann die ED-Maßnahme zunächst erfolgen, da die Zielrichtung nicht repressiver, sondern präventiver, vorbeugender Natur ist. Eine analoge Anwendung dürfte sich deshalb ausschließen. In einem anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren bzw. nach Antrag auf Vernichtung könnten die Unterlagen immer noch zu einem späteren Zeitpunkt gelöscht werden (§§ 14-3- PolG/NW u. 80 Abs. 4 und 5 VwGO). Es wäre also insgesamt gesehen eher unschädlich die Maßnahme durchzuführen.
Die ohnehin schon besonders zu prüfende Verhältnismäßigkeit der ED-Behandlung ist in diesen Fällen allerdings nochmals unter Anlegung eines sehr hohen, strengen Maßstabes im Hinblick auf das Delikt, die Prognose etc. zu bewerten.

Zwangsgeld bei Minderjährigen


Bei vielen Minderjährigen ist Zwangsgeld m.E. nicht anwendbar, da sie in der Regel kein oder nur sehr wenig eigenes Geld haben und nach dem BGB nur beschränkt geschäftsfähig sind. Deshalb ist das Mittel zur Erzwingung nicht geeignet bzw. wegen der evidenten Zahlungsunfähigkeit untauglich. Die Anordnung der Ersatzzwangshaft ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch unangemessen.
Teilweise wird jedoch argumentiert, dass bei Kindern der „Rückgriff“ auf die Eltern als verhaltens- und verschuldensunabhängige Verantwortliche i.S.d. § 4 II PolG/NW in Betracht kommt. Bei Jugendlichen ergebe sich die Verantwortlichkeit der Eltern aus § 4 I PolG/NW als „Verhaltensstörer durch Unterlassen“, wobei sich die Rechtspflicht zum Handeln aus der Fürsorge- und Erziehungspflicht ergibt.
Andere entgegnen, dass der Rückgriff auf die Eltern eines neuen Verwaltungsaktes bedarf, sie aber nicht die Gefahrenverursacher seien bzw. dies ein Vollstreckungsproblem sei:
Also müsste man zunächst einen Verwaltungsakt (VA als Vorladung) gegen das Kind erlassen und unmittelbaren Zwang androhen, parallel ergeht ein VA gegen die Eltern nach § 8 PolG/NW mit dem Inhalt, dafür Sorge zu tragen, dass das Kind der Vorladung nachkommt. Das erscheint mir zu aufwendig37.
Leider habe ich keine eindeutige Lösung anzubieten, ggf. sollte man „einfach mal die Ente aufs Wasser setzen“.Übrig bleibt dann ggü. Minderjährigen nur die Vorladung unter Androhung von unmittelbarem Zwang (weil das mildere Zwangsmittel Zwangsgeld untauglich ist).

Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern

Ein erlebter Praxisfall: Eine Mutter erscheint mit ihrem Kind, hört von der durchzuführenden ed-Behandlung (sofortige Vollziehung war angeordnet) und will jetzt unter Hinweis auf ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht nach dem BGB gehen.
Lösung: Bei polizeilichen Vernehmungen würde jeder sicher dieses Recht als höherwertig einschätzen, denn bei der Polizei muss kein Beschuldigter oder Zeuge aussagen (justiziellen Vorladungen muss allerdings Folge geleistet werden).
Anders m.E. bei der ED-Behandlung: Hier kann die Maßnahme u.a. deshalb – auch zwangsweise – durchgesetzt werden, weil es eine Duldungsverpflichtung gibt. Natürlich kann man auch alternativ und unter Verhältnismäßigkeitsaspekten auf die Zwangsanwendung zunächst verzichten, erneut vorladen und nach Ablauf der Monatsfrist zwangsweise vorführen bzw. nach § 14 PolG/NW einen richterlichen Vorführbeschluss erwirken

Resümee

Wie bereits eingangs „angekündigt“ handelt es sich um eine recht schwierige Materie, und das nicht nur für den Kriminalbeamten, sondern auch für die Gerichte und Polizeibehörden. Auch ist man sich in der Fachliteratur oft nicht einig.
Ich meine, dass sich in etwa 90% aller Fälle keine Probleme ergeben werden. Unser Gegenüber wird oftmals keine Anfechtungsklage einreichen, wenn man ihm die Konsequenzen (finanzieller Art, denn er muss „ca. 3.400,- Euro Vorkasse leisten“) und seine Rechte aufzeigt, insbesondere die Möglichkeit, dass auch nachträglich die ED-Unterlagen auf – begründeten – Antrag oder gerichtlicher Anordnung hin vernichtet werden (können). 
Insofern dient diese Abhandlung insbesondere den wenigen Anfechtungsfällen und dem dann (hoffentlich) rechtssicheren Umgang mit ihnen sowie den Kollegen und Kolleginnen, die „über den Tellerrand“ hinausschauen bzw. tiefer in die Thematik eindringen wollen.
Und abschließend noch zwei kniffelige Fälle:

Erster Fall
Ein strafunmündiges Kind begeht einen Raub und wird festgehalten. Am Opfer/am Tatort befindet sich eine Finger- und eine DNA-Spur. Die Frage ist, ob die Entnahme von DNA bzw. eine Abnahme von Fingerabdrücken und ein Abgleich mit den Tatortspuren rechtlich zu begründen ist.
Mein Lösungsansatz unter Berücksichtigung der Zielrichtung der Maßnahme: Zum Nachweis der Täterschaft ist es nicht möglich, da ein Kind nach den relevanten Vorschriften der §§ 81b 1. Alt. bzw. 81e ff StPO nicht BESCHULDIGTER sein kann.
Aber das Kind ist strafprozessual ZEUGE und die Entnahme/Abnahme sowie der Abgleich könnten somit über §§ 81c i.V.m. 81e ff StPO erfolgen. 
Primäre Zielrichtung ist hier auch , festzustellen, ob die Spuren übereinstimmen, aber vor dem Hintergrund eines möglichen Ausschlusses der „Täterschaft“ des Kindes. Stammen die Spuren doch nicht von dem „beschuldigten“ Kind, können sie nunmehr in die Tatortspurensammlung (ED- bzw. DAD-Datei) eingespeist werden.
Anmerkung: Im Polizeigesetz in Hessen gibt es die Einstellungsmöglichkeit in die DAD aus präventiven Gründen, auch bei einem Kind, in NRW allerdings noch nicht.

Zweiter Fall
Ein Einbrecher verstirbt, bevor er – erstmalig – ed-behandelt werden sollte. Alle Fakten deuten darauf hin, dass er in der Vergangenheit noch weitere Einbrüche begangen hat, die mit den Fingerabdrücken aufgeklärt werden könnten.
Ist eine ed-Behandlung bei einem Toten zum Abgleich mit den zurückliegenden Tatortspuren möglich?
Bei einem Lebenden würde jeder nach § 81b 2 StPO vorgehen. Auch bei einem Toten wäre diese Maßnahme sicherlich sinnvoll, um unserem Aufklärungsauftrag nach §§ 152, 161, 163 StPO zu entsprechen.
Auch von der Zielrichtung her, dass die Daten mit zurückliegenden Fällen in der Tatortspurensammlung abgeglichen werden, erscheint die Maßnahme zulässig.
M.E. ist diese Maßnahme aber materiell-rechtlich nicht möglich, da es zumindest an dem „Tatbestandsmerkmal“ der Wiederholungsprognose scheitert. Dieses TBM ist aus meiner Sicht ausschließlich zukunftsorientiert. Ein Toter kann aber keine neuen Taten begehen.