Die erkennungsdienstliche Behandlung - Teil 3
zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. zum Zwecke des Erkennungsdienstes nach den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 10 PolG NW bzw. 81b 2 StPO – Fortsetzung
Sofortige Vollziehung
Wenn der Verwaltungsakt sofort und nicht erst nach Eintritt der Bestandskraft vollzogen werden soll, ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet werden soll oder diese ausnahmsweise gemäß der Nr. 2 gilt. Die sofortige Vollziehung führt grds. dazu, dass die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt.
Hinweis: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung selber ist kein Verwaltungsakt.
Sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist danach im besonderen „öffentlichen Interesse“ zulässig, wenn im Einzelfall zu begründen ist, dass insbesondere der Zeitverzug14 der durch die Einlegung von Rechtsmitteln entstünde, nicht hinnehmbar ist, weil dadurch der Zweck der ED-Behandlung gefährdet wäre. Ein u.U. langwieriges Verwaltungsstreitverfahren kann nicht abgewartet werden. Für schon diesen Zeitraum würde die Polizei dann nicht über ED-Unterlagen verfügen und wäre damit in künftigen Fällen der Gefahr eines Ermittlungsdefizites ausgesetzt.
Zwischen dem durch die sofortige Vollziehung eingeschränkten Persönlichkeitsrechtes (Freiheitsbeschränkung) der Person und dem Allgemeininteresse an Verhinderung und effektiver Aufklärung derartiger Straftaten ist eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen. Hierzu sollten insbesondere auch Erkenntnisse – über die o.g. zeitliche Dringlichkeit hinaus –
- über die Stärke des Tatverdachtes,
- die Schwere der Tat,
- die generellen Aufklärungsschwierigkeit in dem Delikts-
- bereich,
- die Art und Begehungsweise der Tat,
- die Schadenshöhe
- die Persönlichkeit des Betroffenen und
- die hohe Gefahr der Wiederholung
herangezogen werden.
Dazu aus einem Urteil des VG Minden v. 25.10.02, Az.: 11 L 1226/02 (z.T. zitiert)
„Diese Feststellung ergibt sich auf Grund der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des GG nicht bereits deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist. Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere danach zu differenzieren, in welchem Umfang noch Verdachtsmomente gegen den Betr. bestehen. Falls… die Verdachtsmomente ausgeräumt sind ist eine Anfertigung und Aufbewahrung der ED-Unterlagen nicht notwendig.
Anderenfalls kommt es entscheidend darauf an, welcher Art das Delikt ist, auf das sich die verbliebenen Verdachtsmomente beziehen. Je schwerer ein Delikt wiegt, je höher der Schaden für die geschützten Rechtsgüter und die Allgemeinheit zu veranschlagen ist und je größer die Schwierigkeiten einer Aufklärung sind, desto mehr Gewicht erlangt das o.g. „öffentliche Interesse“.
Anmerkung: Interessanterweise benutzt das VG Minden diese Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung, die Identische wird vom BVerwG bei der Begründung der „Notwendigkeit“ herangezogen! Dies belegt wiederum den engen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Begriffen des Beschuldigten, der Prognose, der Erforderlichkeit und der sofortigen Vollziehung. Bei der sofortigen Vollziehung muss eben noch ein wenig mehr an Fakten hinzukommen! Nun auf den Fall, auf die Person bezogen:
„Nach diesen Grundsätzen besteht…ein überwiegendes öffentliches Interesse. Es folgt aus der Art der generell schwierig aufzuklärenden Straftaten, hier …Graffiti, ihrer Schwere (….Schaden 10.000 Euro), des langen Zeitraums, während dessen der Betroffene ihrer Begehung dringend verdächtig ist (zumal nach positivem Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung), sowie der Tatsache, dass gegen ihn der dringende Verdacht bereits weiterer begangener Graffiti besteht. Damit erweist sich eine ED-Behandlung – schon zum jetzigen Zeitpunkt – als notwendig“.
Die sofortige Vollziehung nach der Nr. 4 bedingt:
schriftliche Anordnung nach § 80 Abs. 3 VwGO
ausführliche (auf die Person und den Fall bezogene) schriftliche Begründung des überwiegendes öffentliches Interesses15
ggf. Androhung eines Zwangsmittels
Sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO§ 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erfasst primär Verwaltungsakte, die durch tatsächliches Handeln oder Vollzugsmaßnahmen ergehen, wie das z.B. für die unmittelbare Regelung des Straßenverkehrs – durch Polizeibeamte einerseits und durch Verkehrszeichen andererseits – notwendig ist. Durch die Verwendung des Begriffs „unaufschiebbar“ wird deutlich, dass nur solche Anordnungen und Maßnahmen erfasst werden, die ein sofortiges Eingreifen polizeilicher Vollzugsbeamten erfordern. Die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung zum Zwecke der Gefahrenabwehr stellt in der Regel keine unaufschiebbare Anordnung oder Maßnahme von Polizeivollzugsbeamten dar. Dies kann dennoch der Fall sein, wenn es wahrscheinlich ist, dass die Person in Zukunft für die Polizei nicht mehr erreichbar sein wird, z.B. ohne festen Wohnsitz ist. Oder auch wenn die Befürchtung besteht, die Person werde sofort (nach Verlassen der Dienststelle) wieder Taten begehen, z.B. bei Serien- und Intensivtätern oder Beschaffungskriminellen.
Die oben bei der Begründung der sofortigen Vollziehung nach Nr. 4 dargestellten Bedingungen gelten bei der sofortigen Vollziehung nach Nr. 2 nicht, denn diese wird nicht angeordnet, sondern gilt kraft Gesetz. Folgen: Eine Anhörung nach § 28 VwVfG wäre nicht erforderlich, ebenso ist u.U. auch „Gefahr im Verzuge“ i.S.v. § 10 Abs.3 PolG/NW mit der Folge der Vorführung ohne Gerichtsbeschluss gegeben.
Eine schriftliche Vorladung zur ED-Behandlung ergeht naturgemäß wegen der zeitlich erhöhten Dringlichkeit nicht, eine sofortige Vorführung wäre möglich (Zeit für das Einholen eines Durchsuchungsbeschlusses zum Zwecke der Vorführung dürfte aber in der Regel noch sein). Eine praxisnahe, unbürokratische und schnelle Vollstreckung der Maßnahme wird ermöglicht.
Die Begründung der sofortigen Vollziehung nach der Nr. 2 dürfte – bezogen auf alle Fälle – eher AUSNAHMECHARAKTER besitzen.
Rechte des Beschuldigten/Betroffenen gegen die sofortige Vollziehung
Gegen die sofortige Vollziehung nach beiden dargestellten Begründungsmöglichkeiten kann der Betroffene wiederum
zum einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Ausgangsbehörde stellen (§ 80 Abs. 4 S. 1 VwGO) und
zum anderen die Anordnung der Widerherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung beim Verwaltungsgericht beantragen (§ 80 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Der Betroffene muss auf diese Möglichkeiten/Rechte nicht hingewiesen werden, dies erfolgt jedoch vielfach aus Gründen des allgemeinen Rechtsschutzinteresses bzw. Weisung des Behördenleiters!
Und wichtig: Die o.g. Anträge hindern die Polizei also grds. nicht daran, die Maßnahme durchzuführen, insbesondere dann nicht, wenn die sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO gilt.
Allerdings sollte man in allen anderen Fällen Aspekte der Verhältnismäßigkeit besonders berücksichtigen, auch beispielsweise die Schwere der Anlasstat, die Stärke der Wiederholungsprognose, der Grad der zeitlichen Dringlichkeit oder/und die Auffassung des jeweiligen Behördenleiters. Eine abschließende Bewertung und Entscheidung, ob trotz der o.g. Anträge die Maßnahme erfolgt, obliegt also dem Sachbearbeiter/der Sachbearbeiterin.
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