Tötungsdelikte durch Frauen

Kindstötungen und Intimizide

 

3 Erweiterte Suizide nach vorheriger Kindstötung


Ein nicht geringer Anteil der Mütter, die ihre Kinder töten, begehen anschließend einen Suizid. Forensische Psychiater sprechen dann von einem erweiterten Suizid, einem Mitnahmesuizid oder von „Murder Suicide“. Die letztgenannte Formulierung drückt aus, dass zuerst ein Mord geschieht und anschließend ein Suizid erfolgt. Milan Zimmermann5 hat über erweiterte Suizide promoviert und ein Buch darüber geschrieben. Darin findet sich ein Kapitel über Täterinnen, in dem mehrere erweiterte Suizide von Müttern geschildert werden, die vorher ihre Kinder getötet haben.


Zimmermann berichtet auch von einer Familientragödie aus Solingen, die sich im Herbst 2020 zutrug. Eine Mutter von sechs Kindern, die von ihrem Ehemann getrennt lebte, tötete fünf dieser Kinder und hat sich anschließend am Düsseldorfer Hauptbahnhof vor einen einfahrenden Zug geworfen. Sie überlebte diesen Suizidversuch mit erheblichen Verletzungen. Im Jahr 2021 wurde sie wegen Mordes angeklagt und schließlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem wurde die besondere Schwere der Tat festgestellt, so dass eine vorzeitige Entlassung nicht möglich ist. Das Gericht sah Mordmerkmale und Heimtücke als gegeben an. Der langdauernde Prozess fand große mediale Resonanz und nach der Urteilsverkündung fanden viele das Urteil als zu hart. Die Verteidigung legte Revision ein, die allerdings vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen wurde. In der Boulevardpresse wurde die Täterin als „Medea aus Solingen“ beschrieben.6 Andere nannten sie die „Magda Goebbels von Solingen“, weil sie ähnlich wie diese vorging. Sie hatte wie Magda Goebbels sechs Kinder, tötete jedoch „nur“ die fünf jüngsten. Beide haben zuerst ein Kind nach dem anderen mit Schlafmitteln betäubt und dann getötet. Die Mutter aus Solingen hat die Kinder eines nach dem anderen ertränkt, Magda Goebbels hat sie mit Zyankali vergiftet. Anschließend legten sie die getöteten Kinder nebeneinander in ihre Betten. Magda Goebbels nahm dann selbst Zyankali und starb, die Mutter aus Solingen versuchte einen Schienensuizid und überlebte diesen.

 

4 Tötung des Liebespartners (Intimizide) durch Frauen


Zu den Intimiziden gibt es jedes Jahr sehr zuverlässige statistische Angaben. Jeweils im November des Jahres veröffentlicht das Bundeskriminalamt einen Bericht zur Partnerschaftsgewalt. Dort werden auch die Tötungen durch den Liebespartner aufgelistet und nach Geschlechtszugehörigkeit der Tatverdächtigen differenziert. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland nach dieser Statistik 129 Menschen durch ihren Liebespartner getötet.7 Davon wurden 121 als Mord oder Totschlag eingeordnet, 8 Fälle waren Körperverletzung mit Todesfolge. Hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit waren 90% der Opfer weiblich und 10% männlich.


Der erste in der Weltliteratur beschriebene weibliche Intimizid ist in der Mythologie der griechischen Antike zu finden. Die Tötung Agamemnons durch seine Ehefrau Klytämnestra war die erste ausführlich beschriebene Tötung des männlichen Liebespartners durch seine Ehefrau. Im zweiten Jahrtausend nach Christus überwog in den literarischen Darstellungen die Tötung der Frau durch den Mann aus Eifersucht. In den Opern Carmen und Othello werden auch heute noch immer wieder diese Eifersuchtstragödien aufgeführt. Ähnliche Tatverläufe kann der interessierte Leser oft in der Zeitung verfolgen oder in den Nachrichten hören. Etwa alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau von ihrem Liebespartner getötet. „Alle drei Tage“ lautet deshalb auch der aktuelle Bestseller über Femizide von Laura Backes und Margherita Bettoni.8


Im folgenden Beitrag interessieren wir uns allerdings besonders für Frauen, die ihren Liebespartner töten. Es gibt in Deutschland zahlreiche Fachpublikationen von Forensischen Psychiatern über Intimizide. In diesen Werken finden sich auch aufsehenerregende Intimizide, die von Frauen verübt wurden. Im Nachkriegsdeutschland war lange Zeit der Forensische Psychiater Wilfried Rasch von der Berliner Charité der Pionier für Intimizide, die er in seiner Monografie im Jahr 1964 beschrieb.9 An der Martin-Luther-Universität von Halle beschäftigte sich der Forensische Psychiater Andreas Marneros mit Intimiziden. In seiner Monografie „Intimizid. Die Tötung des Intimpartners“ untersuchte er akribisch 80 Fälle von Intizimizid und legte die bisher überzeugendste phänomenologische Analyse dieses Tötungsdeliktes vor.10


In der Nachkriegszeit waren die bekanntesten und spektakulärsten weiblichen Intimizide jene von Vera Brühne im Jahr 1960 und der von Ingrid van Bergen im Jahr 1977. Beide haben ihren Ex-Geliebten erschossen und wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sie haben dabei interessante Gemeinsamkeiten: Beide waren außergewöhnlich hübsche Blondinen und standen im Rampenlicht der Boulevard-Presse. Vera Brühne galt als mehrmals geschiedene femme fatale, die überwiegend mit reichen Männern zu sehen war. Ingrid van Bergen war zum Zeitpunkt ihres Tötungsdeliktes bereits 49 Jahre alt, war jahrzehntelang erfolgreiche Schauspielerin und erschoss ihren 16 Jahre jüngeren Geliebten aus Eifersucht. Die Täterin war vor dieser schwierigen Paarbeziehung bereits viermal verheiratet und geschieden. Vera Brühne wurde wegen Mord zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof verwarf ihre Revision. Nach 18 Jahren verbüßter Strafe wurde sie vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz Joseph Strauß begnadigt. Vera Brühne beteuerte bis zu ihrem Tod im Jahr 2001 ihre Unschuld. Viele Experten glauben auch heute noch an einen Justizirrtum. Deutlich anders ist die Befundlage bei Ingrid van Bergen. Sie hat die Tat gestanden und wurde wegen Totschlags zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Bereits im Jahr 1981 wurde sie wegen guter Führung entlassen. Sie lebt heute noch auf Mallorca und engagiert sich für Tierschutz.


Weitere Gemeinsamkeiten bestanden darin, dass sie ihre Strafe in der selben Justizvollzugsanstalt verbüßten, in der JVA Aichach. Auch der Tatort verband beide – bei beiden Intimiziden war eine Villa am Starnberger See der Tatort. Die Villa gehörte bei Vera Brühne dem Opfer Dr. Otto Prauns, bei Ingrid van Bergen war die Täterin selbst die Eigentümerin der Villa. Bei beiden Täterinnen war die Gerichtsverhandlung in München und erregte größte öffentliche Aufmerksamkeit.


Im Jahr 1993 erschien der Dokumentarfilm „Mord aus Liebe“ von dem Regisseur Georg Stefan Troller. In diesem Film sind ausführliche Interviews mit Ingrid van Bergen enthalten. Der Film wurde auch im Jahr 2023 wieder in der ARD gezeigt.


Nicht alle Intimizide durch Frauen sind so spektakulär und öffentlichkeitswirksam wie jene von Vera Brühne und Ingrid van Bergen. Sehr interessant erscheint der Fall von Lydia H, einer Ärztin, die im Februar 2011 ihren Ehemann umbrachte und deren Mord jahrelang durch die Medien ging und mehrmals den Bundesgerichtshof beschäftigt hat. Sie wurde im ersten Gerichtsverfahren aus dem Jahr 2012 wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Beim zweiten Prozess im Jahr 2014 wurde ihr Tötungsdelikt als Totschlag gewertet und sie erhielt eine Freiheitsstrafe von acht Jahren. In einem dritten Prozess im Jahr 2016 wurde die Freiheitsstrafe auf sieben Jahre und acht Monate reduziert und das Berufsverbot aufgehoben. Vor Gericht wurde also auch über die Frage gestritten, ob die ärztliche Täterin nach Verbüßung der Strafe noch als Ärztin tätig sein darf, ob sie Berufsverbot erhält oder nicht. Heute arbeitet vermutlich Lydia H unter anderem Namen als Ärztin, weil der Bundesgerichtshof ihr das zubilligte – nachdem er sich zum dritten Mal mit diesem Fall beschäftigen musste.11


Der forensische Gerichtsgutachter Michael Soyka12 beschrieb in seiner Monografie sechs Tötungsdelikte von Frauen. Die österreichische Gerichtsgutachterin Sigrun Roßmanith schilderte in ihrem Buch ebenfalls zahlreiche Fälle von weiblichen Intimiziden.13