Tötungsdelikte durch Frauen

Kindstötungen und Intimizide


Von Prof. Dr. Herbert Csef, Würzburg1

 

1 Täterinnen – Tötungsdelikte durch Frauen

 

Mord und Totschlag waren schon immer mehr „Männersache“. Bei den Tötungsdelikten sind die Täter meistens Männer – die Opfer allerdings sind überwiegend auch Männer. Das hat mit der ungeheuren Vielfalt von Tötungsdelikten zu tun. Dass Männer ein deutlich höheres Risiko haben, Mord oder Totschlag zu begehen, hat erhebliche hormonelle, hirnorganische, genetische und psychologische Ursachen. Das Überwiegen der Männer bei schweren Straftaten zeigt sich eindrucksvoll bei der Zahl der zu Gefängnisstrafen verurteilten Straftäter. In deutschen Gefängnissen sind unter den Häftlingen etwa 95% Männer und lediglich etwa 5% Frauen. Bei zwei Tötungsdelikten sind Frauen überproportional repräsentiert – bei den Kindstötungen und bei den Tötungen des Liebespartners (Intimiziden). Im folgenden Beitrag sollen diese beiden Tötungsdelikte im Mittelpunkt stehen.

 

2 Kindstötungen (Neonatizide, Infantizide und Filizide) durch Frauen

 

Kindstötungen sind neben Intimiziden das einzige Tötungsdelikt, bei dem Frauen als Täterinnen überproportional vertreten sind. Je nach Alter des getöteten Kindes ist die Mutter in 65 bis 100% der Fälle die Täterin.2 In Fachkreisen werden die Kindstötungen in Neonatizide (Neugeborenentötung), Infantizide und in Filizide eingeteilt.


Von Neonatiziden spricht man, wenn das neugeborene Baby unmittelbar nach der Geburt, innerhalb des ersten Lebenstages, getötet wird. Infantizide erfolgen im ersten Lebensjahr. Kindstötungen zwischen dem zweiten und vierzehnten Lebensjahr werden Filizide genannt. Bei den Neonatiziden ist fast immer die Mutter die Täterin, bei Infantiziden bei etwa 80% der Fälle und bei Filiziden liegt ihr Anteil zwischen 65 und 75%.


Neonatizide werden überwiegend von sehr jungen und überforderten Müttern begangen, die oft ungewollt schwanger wurden und die Schwangerschaft nicht selten komplett verschwiegen oder verdrängt haben. Weder der Kindsvater noch das familiäre Umfeld wissen davon. Die Geburt findet oft allein im Badezimmer oder auf der Toilette statt und die Mutter lässt das neugeborene Baby „verschwinden“. Ersticken und Ertränken sind dabei häufige Tötungsarten oder das Baby wird einfach in den Müll geworfen und seinem Schicksal überlassen. Viele dieser Mütter bewahren dann die Babyleiche in ihrer Nähe auf – im Gefrierfach, in Blumenkübeln oder anderen Behältnissen. Da niemand von der Schwangerschaft oder Geburt weiß, werden die Überreste der Babyleiche oft erst spät gefunden. Bei manchen Müttern wiederholt sich dieses Schicksal, so dass schließlich fünf oder neun Babyleichen gefunden werden.


Im Jahr 2020 gab es in Deutschland 152 Kindstötungen. Davon waren 30 Neonatizide. Das folgende Beispiel zeigt einen relativ typischen Fall:


Tatorte: Wohnungen in Bonn und Siegen. Tatzeiten: August 2013 und September 2014. Eine bei der zweiten Geburt 32 Jahre alte Anglistik-Doktorandin hat zwei Babys allein jeweils im Badezimmer zur Welt gebracht und sie unversorgt einfach sterben lassen. Sie hat sie nicht aktiv getötet. Nach Aussagen der Sachverständigen, hätten die Babys ohne Intensivstation nicht lange gelebt, wegen Frühgeburt und Plazenta-Insuffizienz. In beiden Fällen hat die junge Frau die Babyleichen in eine Plastiktüte gesteckt und in einem Gefrierschrank verschwinden lassen. Die erste Geburt war in ihrer Studentenwohnung in Bonn, die zweite in ihrem Elternhaus in Siegen. Mit dem Kindsvater, der drei Jahre lang ihr Freund war, hatte sie eine sehr schwierige Beziehung. Er wusste nichts von den Schwangerschaften und hat auch „nichts geahnt“. Ebenso ahnungslos zeigten sich die Eltern, bei denen die Tochter oft war. Wegen Alkoholproblemen kümmerten sich die Eltern wieder verstärkt um sie. Kurz vor der zweiten Geburt äußerte die junge Frau Trennungswünsche in ihrer Partnerbeziehung. Sie erwog einen Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster. Die zweite Babyleiche deponierte sie im Gefrierschrank ihrer Großmutter, die ebenfalls in ihrem Elternhaus in Siegen wohnte. Die auffällige Plastiktüte wurde bald entdeckt und die Polizei wurde verständigt. Bei den polizeilichen Untersuchungen in ihrer Studentenwohnung in Bonn wurde schließlich im Gefrierschrank die zweite Babyleiche aus dem Vorjahr gefunden. Der Prozess fand im Frühjahr 2015 am Landgericht Siegen statt. Die Studentin wurde wegen zweifach versuchten Totschlags durch Unterlassen zu drei Jahren und acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Bei der Urteilsverkündung ist die Angeklagte im Gerichtssaal zusammengebrochen und das Gericht rief einen Notarzt.3


Je älter die Kinder bei ihrer Tötung sind, desto brutaler und grausamer ist meist das Tötungsdelikt. Am Landgericht Erfurt wurde im Jahr 2005 ein junges Paar wegen gemeinschaftlich begangenen Totschlags zu jeweils 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der zweieinhalb Jahre alte Sohn Jonny Lee der 31 Jahre alten Mutter wurde von ihr und ihrem sieben Jahre älteren Partner gemeinsam getötet. Die Tat geschah in der Wohnung der beiden in der Osternacht des Jahres 2004. Der Junge lebte von seiner Geburt an in schwierigen Verhältnissen. Seine Mutter war Alkoholikerin mit erheblichen Tendenzen zu Verwahrlosung und Gewalttätigkeit. Schläge und Bestrafung durch Nahrungsentzug gehörten zum Martyrium. Jonny Lee hatte noch zwei ältere Geschwister, die unter ähnlichen Torturen zu leiden hatten. Bereits Jahre vor dem Tötungsdelikt und damit schon vor der Geburt des Opfers wurde das Jugendamt über die prekären Verhältnisse in der Familie informiert. Es gab mehrmals solche Informationen ans Jugendamt. Eine Nachbarin, die immer wieder die schreienden und weinenden Kinder hörte, hat mehrmals die Polizei angerufen. All das hatte keine Konsequenzen. In der Tatnacht hatte Jonny Lee viel geweint und gewimmert, weil er wegen früherer Misshandlungen heftige Schmerzen hatte. Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass dem Opfer schon vor der Tatnacht mit brachialer Gewalt der Arm aus dem Schultergelenk herausgedreht wurde und dass sich sogar die äußere Knochenhaut abgelöst hatte. Weiterhin fanden sich außer alten Hämatomen auch eine unbehandelte Schlüsselbeinfraktur. Das Weinen und die Schmerzen hatte brutale körperliche Ursachen. Die Mutter war in der Osternacht offensichtlich betrunken und fühlte sich durch das Weinen des Kindes gestört. Die Tat geschah nachts gegen 02.00 Uhr. Als am nächsten Morgen die Polizei kam und eine Blutentnahme veranlasste, wurden noch 1,4 Promille Alkohol gemessen. In ihrer Wut hat die Mutter auf den am Boden liegenden Jungen eingetreten. Sie trug dabei Stiefel mit Pfennigabsätzen. Bei der Obduktion waren die Absatzspuren auf der Kinderleiche deutlich und markant zu sehen. Jonny Lee starb schließlich an zwei Leberrissen und inneren Blutungen. Während die Mutter und ihr Lebensgefährte ihren Rausch ausschliefen, ist das Kind qualvoll verblutet. Der vorsitzende Richter Pröbstel sagte dazu im Gerichtssaal bei der Urteilsbegründung: „Eine derart massive Gewaltanwendung auf ein völlig wehrloses Kind habe ich noch nie erlebt.“ Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von neun Jahren. Der erschütterte Richter hielt dieses Strafmaß für nicht ausreichend und verurteilte das Paar zu 12 Jahren Freiheitsstrafe. Die Verteidigung legte Revision gegen dieses Urteil ein. Der Bundesgerichtshof hat diese als unbegründet verworfen. Drei Mitarbeiter des Jugendamtes wurden beurlaubt und es wurde gegen sie ermittelt. Das Verfahren wurde im Jahr 2007 eingestellt.4

 

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