Clankriminalität

Organisierte Kriminalität als Bedrohung für die Innere Sicherheit


Von Dr. Stefan Goertz, Lübeck1


 

1 Einleitung


Dutzende kriminelle Familienclans existieren in Deutschland und sind teilweise für spektakuläre Straftaten verantwortlich. Seit 2018 gehen die Behörden härter gegen diese vor. Nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen existieren allein dort über 50 kriminelle Familienclans.2 In Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen stellen die Polizei- und Ordnungsbehörden seit Jahren fest, dass Mitglieder krimineller Familienclans – teilweise in größeren Gruppenverbänden – durch aggressives Auftreten, Ordnungsstörungen und Straftaten die Bevölkerung einschüchtern und versuchen, bestimmte regionale Räume augenscheinlich für sich zu reklamieren. So berichten polizeiliche Einsatzkräfte von einer offenen Feindseligkeit, einer hohen und unmittelbar geäußerten Aggressivität, Respektlosigkeit und Gewalteskalation, die das Ziel verfolgen, behördliche Maßnahmen zu beeinflussen oder zu unterbinden.3


Oftmals sind Mitglieder krimineller Familienclans von der Polizei kommunikativ bzw. durch deeskalierend ausgerichtetes Einsatzverhalten nicht zu erreichen. Darüber hinaus sind ihre Mitglieder überproportional häufig aktiv in Straftaten involviert, vor allem in Gewalt- und Rohheitsdelikte und in Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG).4 Dabei spielt die ethnische Geschlossenheit bei der Begehung von Straftaten eine entscheidende Rolle. So sind die gemeinsame familiäre Herkunft und Abstammung Kennzeichen einer besonderen strukturbildenden Kraft dieser Familienverbände. Zudem schafft die Einbeziehung von Familienmitgliedern in die Begehung von Straftaten die Voraussetzung für eine effektive Abschottung, die durch sprachliche und kulturelle Abgrenzung geprägt ist. Hierbei fördert die rigorose Einbindung in den Familienverbund letztlich die Bildung von Parallelgesellschaften bzw. Subkulturen, die auf einem übersteigert ausgelebten Ehr- und Machtanspruch basieren und eigene formale Entscheidungs- und Sanktionsmechanismen begründen.5 Problematischerweise werden in Deutschland tradierte existenzsichernde Verhaltensmuster aus den Herkunftsgebieten der kriminellen Familienclans weitergelebt. Kennzeichnend sind hierbei die Vertrauenswahrung exklusiv innerhalb der eigenen Familie, eine aggressiv verteidigte Abgrenzung gegenüber anderen Clans sowie eine niedrige Reaktionsschwelle im Rahmen der Gewaltanwendung zur Durchsetzung von Familieninteressen. Die kriminellen Familienclans geben diese sozialen Grundmuster, die ihre Machtposition stärken und sich als Wettbewerbsvorteil um die Vorherrschaft in kriminellen Märkten erwiesen haben, vor allem an junge männliche Nachkommen weiter.6


Dieser Beitrag untersucht zunächst die Hintergründe und den Ursprung der kriminellen Familienclans, analysiert ihre legalen und illegalen Geschäftsfelder und beleuchtet dann Reaktionen der deutschen Behörden. Danach wird die Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen und in Berlin untersucht. Abschließend werden aktuelle staatliche Gegenmaßnahmen beleuchtet.

 

 

2 Hintergründe und Ursprung


Bei den kriminellen Großfamilien in Deutschland handelt es sich vor allem um türkisch-arabische Großclans. Ihre Mitglieder zählen zur Minderheit der sog. Mhallamiye-Kurden und kamen in den achtziger und neunziger Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.0000 Menschen zu solchen Großfamilien, wovon aber nur ein Teil kriminell wird.7 Die meisten Angehörigen der kriminellen Familienclans gelten offiziell als arbeitslos und beziehen Sozialleistungen. Die meisten stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak und der Türkei. Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei, aus dem Libanon und aus Syrien stammen, sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.


Viele der Mhallami wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an, häufig fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Als im Libanon 1975 der Bürgerkrieg ausbracht, flohen viele der Mhallami nach Deutschland. Sie kamen über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländer verteilt, vor allem auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Dort gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose sofort eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen von ihnen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.8 Wichtig festzustellen ist, dass Menschen mit einem Duldungsstatus es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Großfamilien gebildet haben.9


Mitglieder krimineller Familienclans leben häufig in einer abgeschotteten Parallelwelt und erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Problemen erklärt, die innerhalb der Familien von sog. Friedensrichtern geregelt werden.10 Das wesentliche Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zu einem Familienclan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft. Dahinter stehe „eine segmentäre, hierarchisch, meist patriarchalisch, geprägte Struktur, die nach dem Prinzip der gemeinsamen Abstammung organisiert ist“, so der Sprecher des LKA Nordrhein-Westfalen.11


Wie sind die kriminellen Familienclans organisiert? Die Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan definiert sich ausschließlich über das Kriterium der Verwandtschaft. Daher sprechen die Sicherheitsbehörden von „Familie als krimineller Solidargemeinschaft“12 Weiter gehen die Behörden von einer hierarchisch-patriarchalisch geprägten Struktur aus, die nach dem Prinzip der gemeinsamen Abstammung organisiert ist. Ebenfalls charakteristisch ist ein nach außen dokumentiertes Macht- und Gewinnstreben, auch durch die Besetzung öffentlicher Räume.


Nach Ansicht des Präsidenten des BKA, Holger Münch, haben deutsche Behörden in der Vergangenheit Fehler gemacht, als in den 1980-er und 1990-er Jahren arabische Familien etwa aus dem Libanon und der Türkei nach Deutschland kamen und sich zu kriminellen Clans entwickeln konnten. Als einen Grund dafür nannte er, dass sich die Zuwanderer ohne Bleibeperspektive an bestimmten Orten ansiedelten, dort abgeschottet lebten und ohne hinreichende Konsequenzen vielfach kriminell wurden. Für die Zukunft plädiert Münch daher für gute Integrationsangebote und konsequente Ermittlungen gegen Mehrfach- und Intensivtäter, die ihr Aufenthaltsrecht auch verlieren müssten.13 Er betonte, dass die Polizei „sehr wachsam“ sei, damit sich diese Integrationsversäumnisse bei den seit 2015 im Zuge der Flüchtlingskrise zugezogenen Flüchtlingen nicht wiederhole.

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