Kriminalitätsbekämpfung

KIcK – Künstliche Intelligenz contra Kindesmissbrauch

Von KOR Lars Oeffner, Kiel

5 Umsetzung in Schleswig-Holstein


In Schleswig-Holstein wurde diese Empfehlung bereits aufgegriffen und befindet sich aktuell in der Umsetzung. Im Mai 2022 wurde gemäß Auftrag des Generalstaatsanwalts i.V. sowie des Direktors des LKA eine landesinterne Arbeitsgruppe eingerichtet, die entsprechende Standards und Leitlinien zur Optimierung von Arbeitsabläufen im Deliktsfeld Kinderpornografie beschreiben sollte, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen sachgerecht begegnen zu können. Dabei sollten zusätzlich auch Fragen, die von der BLAG nicht thematisiert worden sind, betrachtet werden, u.a. Fragen zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, zur Einleitungsschwelle, zur Priorisierung von Verfahren, sowie zur Beschleunigung IT-forensischer Untersuchungen. Zukünftig wird ein jeder Fall nach §§184b, c StGB einer von acht Fallgruppen (FG) zugeordnet werden, ausgehend von der verursachenden bzw. tatverdächtigen Person. Während die FG 0 sich auf ein schuldunfähiges Kind als Verursacher bezieht, handelt es sich beispielsweise bei der FG 3 um einen erwachsenen Tatverdächtigen, jedoch ohne erkennbare Hinweise auf einen bestehenden Risikoüberhang20. Bezüglich der FG 6 liegt ein Anfangsverdacht eines sexuellen Missbrauchs von Kindern und/oder Jugendlichen vor. Entsprechend steigern sich auch die je nach FG zu treffenden Maßnahmen, bezogen auf die in nahezu allen Fällen regelmäßig stattfindende Durchsuchung, die forensische Aufbereitung der sichergestellten IT-Geräte und die kriminalistische Sichtung und Auswertung der Dateien. Die einzelnen Maßnahmen sind detailliert vorgegeben und sollen zum einen umzusetzende Mindeststandards vorgeben, zum anderen aber auch den Arbeitsumfang klar begrenzen, um der massiven Fallzahlensteigerung Herr zu werden.


Die Maßnahmen der kriminalistischen Sichtung und Auswertung orientieren sich dabei bezüglich der regelmäßig vorzunehmenden und meist sehr umfangreichen Bild- und Videoauswertung explizit an der in Schleswig-Holstein eingesetzten Software „Griffeye DI Analyze DI Pro“. Ein Bestandteil wird dabei auch der Einsatz der benannten KI „Griffeye Brain“ sein. Bezüglich der niedrig(er) priorisierten FG 1 bis 3 soll sich zukünftig die Auswertung der forensisch aufbereiteten Daten ausschließlich auf die Sichtung möglicher sog. Hashwerttreffer21, die Ergebnisse der KI (CSA High-Treffer) sowie die Sichtung der durch die Software markierten Verzeichnisse beschränken. Die letztgenannte Maßnahme folgt der Annahme, dass inkriminiertes Material von den Beschuldigten häufig zusammen, bzw. konzentriert in eher wenigen Ordnern auf IT-Geräten gespeichert wird. Infolgedessen sollen diejenigen gekennzeichneten Verzeichnisse, in denen als inkriminiert eingestuftes Material durch die Software gefunden worden ist, auch manuell gesichtet werden. Eine händische Sichtung des gesamten übrigen Bild- und Videodatenbestandes findet dagegen nicht mehr statt. Zwar besteht dabei stets die Gefahr, dass nicht alle inkriminierten Dateien gefunden werden, jedoch ist diesem Umstand auch auf andere Art und Weise nicht (mehr) zufriedenstellend zu begegnen. Abgesehen davon, dass es eine absolute Sicherheit in keinem Fall geben kann, ist eine händisch vorzunehmende Sichtung einer jeden Bild- und Videodatei aus vorgenannten Gründen nicht mehr darstellbar. In diesem Zusammenhang ist zudem ebenfalls von einer menschlich bedingten und mutmaßlich durchaus beträchtlichen Fehlerquote auszugehen, sofern man sich vorstellt, dass über Stunden und Tage hinweg durch die Sachbearbeitung entsprechendes Material mit anzunehmender unterschiedlicher Intensität (schnell-) gesichtet werden würde22. Die bisherigen Erfahrungen, u.a. auch die innerhalb des Projekts „EagleEye“ gesammelten Erkenntnisse zeigen, dass von einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit bezogen auf das Vorhandensein inkriminierten Materials auf einem Datenträger auszugehen ist, sofern keinerlei Hashwerttreffer vorliegen und auch die KI keine entsprechenden Ergebnisse aufweist.


Bezüglich der hoch priorisierten FG 4-7, bei der regelmäßig auch die Gefahr eines Risikoüberhangs besteht, stellt sich die vorzunehmende Auswertung als deutlich umfangreicher dar, wobei der Begriff der sog. Vollauswertung, der die händisch vorzunehmende Sichtung einer jeden Bild- und Videodatei meint, in Schleswig-Holstein explizit nicht mehr verwandt wird. Vielmehr wird eine sog. vollumfängliche Auswertung gemäß einem über die Software „Griffeye Analyze DI Pro“ selbst entwickelten und zukünftig auch jederzeit anpassbaren Workflow vorgegeben, der das stets vorhandene Risiko des Übersehens von inkriminiertem Material weitestgehend verringern soll. Auf diese Weise soll der mit steigender FG zunehmenden Gefahr des Übersehens eines möglichen andauernden Kindesmissbrauchs Rechnung getragen werden. Im Hinblick auf die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr ist dies auch alternativlos. Nicht unerwähnt bleiben sollen weitere, insbesondere bezüglich der FG 4 bis 7, vorgegebene Maßnahmen wie beispielsweise die Auswertung von Internetsuchverläufen und Suchbegriffen, Nutzerkonten, Chatverläufen, Email-Konten und die Überprüfung auf Anhaltspunkte hinsichtlich einer Fremd- und Eigenbesitzverschaffung sowie Verbreitungshandlungen.

 

6 Projekt KIcK


Der Einsatz einer KI stellt im Hinblick auf die stets vorzunehmende Auswertung somit einen wichtigen Baustein dar, auf den die Polizei sich angesichts der massiven Fallzahlensteigerung zunehmend verlassen werden muss. Dabei muss die eingesetzte KI jedoch in regelmäßigen Abständen auf ihre Leistungsfähigkeit hin überprüft werden, um die Entscheidung über den weiteren Einsatz sachgerecht und auf fundierten und wissenschaftlichen Erkenntnissen fußend treffen zu können. Vor diesem Hintergrund wurde im LKA Kiel das Projekt KIcK (KI contra Kindesmissbrauch) initiiert, welches von der Landesregierung im Zuge des Digitalisierungssprintprogramms23 gefördert wird. Innerhalb des Projekts soll die Leistungsfähigkeit der in Schleswig-Holstein genutzten Software „Griffeye Analyze DI Pro“, bzw. der KI „Griffeye Brain“, hinsichtlich der Klassifikationsleistung, aufbauend auf den Erkenntnissen des 2020 durchgeführten Projekts „EagleEye“, wissenschaftlich untersucht werden und zudem ein sach- und fachgerechter Arbeitsablauf auf Ebene der Sachbearbeitung inklusive eines angepassten Hardwarekonzepts entwickelt werden. Geleitet wird das Projekt von Dr. Kai Brehmer, der seit April 2022 beim LKA Kiel als Projektleiter Künstliche Intelligenz24 angestellt ist. Über das Projekt soll der beschriebene und zukünftig vorgegebene Workflow, der zu nicht unwesentlichen Teilen den Einsatz der KI „Griffeye Brain“ vorsieht, wissenschaftlich begleitet und überprüft werden. Abgesehen davon darf sich eine wiederkehrende Überprüfung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit aber nicht nur auf die verwendete KI beziehen. Vielmehr ist allein schon auf Grund des technischen Fortschritts regelmäßig die gesamte eingesetzte Hard- und Software zu überprüfen, um den immensen Herausforderungen sachgerecht begegnen und die eingesetzten Kolleginnen und Kollegen bestmöglich unterstützen zu können. Für diese technisch durchaus anspruchsvolle Aufgabe, die in Schleswig-Holstein zukünftig als Aufgabe der Ansprechstelle Kinderpornografie im LKA Kiel verortet ist, sollte unbedingt eine feste Zuständigkeit bestimmt werden.

 

7 Zusammenfassende Bewertung


Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass der Einsatz einer KI bezüglich der Bearbeitung des Deliktsfelds der Kinder- und Jugendpornografie zunehmend alternativlos ist, dabei aber (noch) nicht das oftmals propagierte Allheilmittel darstellt. Angesichts der exponentiellen Fallzahlensteigerung ist eine Sichtung des regelmäßig massenhaft vorhandenen Bild- und Videomaterials allein durch den Menschen jedoch nicht mehr leistbar, schon gar nicht unter dem Ansatz der sog. Vollauswertung. Der Einsatz einer KI stellt dabei aber nur ein Hilfsmittel von mehreren dar und muss als Teil eines umfassenden Workflows unter Beachtung verschiedener und festzulegender Parameter bewertet und gesehen werden. Es bedarf diesbezüglich einer leistungsfähigen Auswertestruktur unter Nutzung aktueller und vor allem aktuell zu haltender Hard- und Software. Auf Grund der rasant voranschreitenden technologischen Entwicklung ist eine Begleitung und ständige Überprüfung der Prozesse unabdingbar. Die Leistungsfähigkeit einer KI wird – so zumindest nach hiesiger Überzeugung – weiter zunehmen, weshalb ein nach und nach verlässlicherer Einsatz als wahrscheinlich erachtet werden kann. Dabei sollte die KI zuverlässig vorrangig inkriminiertes Material klassifizieren können und nicht bloß hinsichtlich reiner Nacktheit, bzw. porno- oder nicht-pornografischem Material unterscheiden. Letztgenannter Ansatz erbringt keinen wesentlichen Mehrwert für die Sachbearbeitung, weil in vielen Fällen keine genügende Reduzierung der zu sichtenden Bild- und Videodateien erfolgt und viele der als pornografisch erkannten Dateien mangels Strafbarkeit keine Relevanz haben.


Abgesehen von dem Einsatz einer KI sollten aber auch weitere Ansätze geprüft und verfolgt werden, um eine sachgerechte Abarbeitung der Vielzahl an Fällen gewährleisten zu können. Neben der dringend notwendigen personellen Verstärkung zählen dazu u.a. Maßnahmen wie die mögliche Beauftragung externer Firmen 25 hinsichtlich der forensischen Aufbereitung und Auswertung von Datenträgern, die Vereinheitlichung und Optimierung von Workflows, die Begrenzung von Sicherungs- und Auswertemaßnahmen bei niedrig priorisierten Fällen, die möglichst ressourcenschonende Abarbeitung von diversionsgeeigneten Fällen26, die Überprüfung und ggf. vorzunehmende Anpassung struktureller und organisatorischer Aspekte sowie eine intensive Abstimmung mit den zuständigen Staatsanwaltschaften. In Schleswig-Holstein sind innerhalb der genannten landesinternen Arbeitsgruppe all diese Aspekte betrachtet worden, so dass die Hoffnung besteht, einigermaßen zukunftssicher aufgestellt zu sein. Betont sei an dieser Stelle aber nochmals, dass dies trotz der vorgenommenen Anpassungen ohne eine signifikante und kurzfristig vorzunehmende personelle Verstärkung absehbar nicht gelingen wird.


Abschließend sei darauf hingewiesen, dass dem Dienstherrn hinsichtlich des eingesetzten Personals eine besondere Verantwortung zukommt. Die tägliche Arbeit im Deliktsfeld der Kinder- und Jugendpornografie stellt unstreitig eine besondere und sehr fordernde psychische Belastung dar, die vor allem auf Grund der mittlerweile äußerst hohen Fallzahlen bei gleichzeitig nur unzureichend mitgewachsenem Personalschlüssel eine Mammutaufgabe darstellt. Hier ist neben der im vorliegenden Artikel behandelten bestmöglichen technischen Unterstützung auch eine ganzheitliche Betrachtung notwendig, innerhalb derer Konzepte u.a. zu psychosozialen Angeboten, zur Attraktivität des Tätigkeitsfeldes27, zur Personalgewinnung und -bindung und Fortbildung entwickelt werden und dem Fürsorgegedanken somit ein besonderes, aber auch unbedingt notwendiges Gewicht verleiht.


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