KIcK – Künstliche Intelligenz contra Kindesmissbrauch
Von KOR Lars Oeffner, Kiel
1 Einleitung
„Die in der Projektarbeit entwickelte künstliche Intelligenz ist mit einer Genauigkeit jenseits der 90% in der Lage, Bildmaterial in die Kategorien Kinderpornographie, Jugendpornographie, nicht strafbare Erwachsenenpornographie und sonstiges Bildmaterial einzuteilen.“2
Dieses am 25.5.2021 veröffentlichte Statement des damaligen Justizministers von Nordrhein-Westfalen, Peter Biesenbach, ließ die Fachlichkeit aufhorchen, da sich bereits zu dieser Zeit mehrere Polizeibehörden mit dem Thema Einsatz von künstlicher Intelligenz3 (KI) im Deliktsfeld Kinderpornografie beschäftigten. Sollte in Nordrhein-Westfalen innerhalb des bei der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) angesiedelten und seit 2019 laufenden Forschungsprojekt in Kooperation mit Microsoft tatsächlich der Durchbruch gelungen sein? Insbesondere bezüglich der genannten Erfolgsquote war und ist durchaus Skepsis angesagt. Solche Angaben sind auch allein schon deshalb wenig aussagekräftig, weil sie sich in der Regel auf die Anzahl der korrekt klassifizierten Dateien, sog.e true positives4, beziehen. Eine diesbezüglich sehr hohe Quote ist zwar durchaus erfreulich, muss jedoch stets im Zusammenspiel mit den weiteren Parametern false positive5, false negative6 und true negative7 betrachtet werden. Eine KI, die zwar 90% an inkriminiertem Material erkennt, gleichzeitig aber eine Vielzahl an sonstigen, unverdächtigen Dateien ebenfalls als inkriminiert einsortiert (false positives), hilft nur bedingt weiter, weil die zu sichtenden Mengen an Bild- und Videomaterial für die Sachbearbeitung immer noch immens groß sind.
Folgendes Beispiel soll dies einmal verdeutlichen. Bei einem Beschuldigten werden im Rahmen der Durchsuchung zwei Smartphones, zwei Laptops und drei externe Festplatten sichergestellt. Die Geräte werden forensisch aufbereitet und es ergibt sich ein Datenbestand von zusammengenommen 400.000 Bild- und Videodateien, die unter dem bislang praktizierten Ansatz der sog. Vollauswertung8 grundsätzlich alle zu sichten wären. Unter der (theoretischen) Annahme, dass sich in dem Datenbestand nun 850 inkriminierte (insbesondere kinderpornografische) Dateien befinden, würde eine eingesetzte KI im Idealfall diese 850 Dateien identifizieren und entsprechend als inkriminiert klassifizieren (true positives). Diese KI würde also mit einer Genauigkeit von sogar 100% bewertet werden. Wenn diese KI dabei jedoch 100.000 weitere und unverdächtige Dateien ebenfalls als inkriminiert einstuft (false positives), ist der Sachbearbeitung kaum geholfen. In diesem Falle müssten nämlich zumindest die von der KI als inkriminiert eingestuften 100.850 Dateien gesichtet werden. Zwar hätte man in diesem zugegebenermaßen sehr fiktiven Beispiel alle strafrechtlich relevanten Dateien technisch herausgefiltert – jedoch wäre immer noch ein immenser zeitlicher Aufwand zu betreiben, um die 100.850 Dateien manuell zu sichten. Zudem ist durchaus fraglich, ob im Rahmen der (Schnell-)Sichtung dieser Vielzahl an Dateien auch die 850 inkriminierten Dateien tatsächlich alle entdeckt worden wären. Neben der Trefferquote (Recall) gibt es also weitere relevante und zu betrachtende Parameter, u.a. die Genauigkeit (Precision), die Sensitivität und die Spezifität, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll.
2 Deutliche Fallsteigerungen
Angesichts der seit dem Jahr 2016 immensen Fallzahlensteigerung bezüglich der Straftatbestände nach §§184b, c StGB9 verwundern die vielfach national und international betriebenen Bestrebungen nach einem möglichen Einsatz einer KI zur Detektion von inkriminiertem Material im Deliktsfeld Kinder- und Jugendpornografie nicht wirklich. Die exponentielle Steigerung ist in allen Bundesländern festzustellen und stellt die Polizeibehörden aktuell vor immense Herausforderungen. Als hochproblematisch ist länderübergreifend festzustellen, dass das heute eingesetzte polizeiliche Fachpersonal bis auf wenige Ausnahmen kaum mitgewachsen ist, so dass mehr und mehr eine fallbezogene Haldenbildung festzustellen ist. In diesem Zusammenhang kommen erschwerend die zunehmenden Speicherkapazitäten von IT-Geräten hinzu, die sich regelmäßig vervielfachen. Wurden vor wenigen Jahren in einem entsprechenden Fall noch ein einziges Handy und eine einzelne Festplatte sichergestellt, sind es heutzutage nicht selten mehrere Handys, Festplatten und andere Speicherutensilien mit immensen Speicherkapazitäten. Auf diese Weise kommen je Fall durchaus Speichergrößen von mehreren Terrabyte mit einer Vielzahl an vor allem Bild- und Videodateien zusammen, die im Rahmen der eingangs dargestellten Vollauswertung – vor dem Hintergrund eines nie auszuschließenden bestehenden Risiko- oder Gefahrenüberhangs – allesamt gesichtet werden sollen. Hierunter ist zu verstehen, dass mögliche und durch die beschuldigte Person (aktuell) begangene Missbrauchshandlungen nicht ausgeschlossen werden können und die Polizei dies aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen stets überprüfen muss. Unstreitig ist, dass der Ansatz der Vollauswertung aus vorgenannten Gründen schon seit längerer Zeit nicht mehr leistbar ist, so dass zunehmend eine lediglich nur noch stichprobenartige Sichtung des forensisch aufbereiteten Datenmaterials erfolgen kann.
Nicht erst seit der zum 1.7.2021 vorgenommen Strafschärfung des §184b StGB10 haben sich korrespondierend zu den Fallzahlen auch die Anzahl der erlassenen Durchsuchungsbeschlüsse vervielfacht. In Schleswig-Holstein ist in den polizeilichen Lageberichten zunehmend die Begrifflichkeit „Action Day“ zu lesen. Darunter ist die schlagartige und gleichzeitige Vollstreckung zahlreicher Durchsuchungsbeschlüsse im Deliktsfeld Kinder- und Jugendpornografie11 zu verstehen, die unter Einbindung von Kräften verschiedener Dienststellen, teilweise innerhalb einer eigens aufgerufenen Besonderen Aufbauorganisation (BAO), erfolgt. Letztmalig fanden entsprechende Einsätze am 8.12.2022 statt, als durch Beamtinnen und Beamte der Bezirkskriminalinspektionen Kiel und Itzehoe insgesamt 53 Beschlüsse vollstreckt wurden. Dabei müssen die Verfahren nicht zwangsläufig miteinander in Verbindung stehen. Vielmehr werden auf Grund knapper personeller Ressourcen und oftmals sehr weiter Anfahrtswege12 Synergieeffekte genutzt, um möglichst effizient zu arbeiten. Infolgedessen stauen sich punktuell die sichergestellten Datenträger in den forensischen Dienststellen sowie die aufbereiteten und durch die Sachbearbeitung auszuwertenden Dateien auf den Ermittlungsdienststellen, was bezogen auf die Durchführung von „Action Days“ auch als durchaus nachteilig angesehen werden kann.
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