Wissenschaft  und Forschung

Die Klimaschutzbewegung und der Linksextremismus 2.0

Von Dr. Udo Baron, Hannover

3 „Ende Gelände“


Die Klimaschutzbewegung ist kein monolithischer Block. Sie besteht vielmehr aus zahlreichen Gruppierungen und Organisationen, deren gemeinsames Ziel es ist, aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen. Eine ihrer ältesten ist das Klimaschutzbündnis „Ende Gelände“ (EG). Unter dem Motto „System Change not Climate Change“ wendet sich EG gegen die Nutzung der Braun- und Steinkohle und fordert eine „Abkehr vom fossilen Kapitalismus.“ EG will die Infrastruktur der Kohleindustrie möglichst öffentlichkeitswirksam lahmlegen, um so den verantwortlichen Betreiberkonzernen einen möglichst hohen finanziellen Schaden zuzufügen. Seit 2015 führt EG Großaktionen in Form von Blockaden und Besetzungsversuchen in deutschen Braunkohlerevieren durch.


Die linksextremistische IL ist nach eigenen Angaben bereits von Anfang an bei EG engagiert. Formell ist die IL wie das „…ums Ganze!kommunistische Bündnis“ (uG) nur eine Unterstützergruppe von vielen, sie war und ist aber maßgeblich an der Gründung von EG-Ortsgruppen beteiligt und dort ein steuernder Faktor. Auf ihrer Website beansprucht die IL sogar die Gründungsinitiative von EG für sich, wenn sie schreibt: „Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen.13 Für die IL ist EG aufgrund ihres Bekanntheitsgrades und der vermeintlichen Verortung im zivilgesellschaftlichen Spektrum von großer Bedeutung für ihre Einflussversuche.


EG sucht wie die IL den Kontakt zu den nichtextremistischen Kreisen der Klimaschutzbewegung. Die linksextremistische Einstellung von EG und sein Zusammenwirken mit Linksextremisten treten 2023 deutlicher zutage als zuvor. So hat EG beispielsweise auf seinem Twitter-Account an das uG im Februar 2023 gepostet: „Zwei Dinge sind unverbrüchlich. Unsere Solidarität mit Euch und unsere Liebe für Euch“.14


Neben der organisatorischen ist es mittlerweile auch verstärkt zu einer weiteren inhaltlichen Annäherung von EG an den Linksextremismus gekommen. Diese Entwicklung spiegelt sich vor allem in zwei ihrer Publikationen wider: zum einen in dem 2022 in der Edition Nautilus erschienenen Buch „We shut shit down“15 und zum anderen in ihrem im Internet verfügbaren Traktat „Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit.“16 Im ersteren legt EG vor allem in den Kapiteln „Kapitalismus: ‚System change not climate change‘“ und „Staat: Ende Gelände mit dem Staat?“ unmissverständlich seine Einstellung zum Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten dar. So heißt es etwa im erstgenannten Kapitel: „Verbunden mit unserer Forderung nach dem Ende der Kohlenutzung war immer auch die Forderung nach der Überwindung eines Systems, das weltweite Ungleichheit und Zerstörung hervorruft und Haupttreiber der Klimakrise ist: des Kapitalismus.“17 Dass es EG mit seinen Forderungen nicht nur um eine Veränderung der bestehenden Wirtschaftsordnung geht, sondern auch um eine Überwindung des demokratischen Rechtsstaats, macht EG im weiteren Verlauf des Beitrages deutlich, wenn es betont: „Für uns ist Kapitalismus nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern eine Gesellschaftsordnung“18, die es zu zerschlagen gilt. Der „Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft“ kann daher nur dann erfolgreich sein, wenn zugleich auch der „Kampf für einen Systemwandel“ geführt wird.19 Die „antikapitalistische Arbeit“ von EG zielt – ganz im marxistischen Duktus – auf „die Auflösung der Klassenverhältnisse sowie die Änderung der Eigentumsverhältnisse.“20 Im Ergebnis sollen die erhobenen Forderungen zu einer „Vergesellschaftung und Demokratisierung des Energiesektors“ führen, d.h. zu einer Enteignung der Energiekonzerne.21 Um diese Vorhaben umsetzen zu können, wartet EG darauf, dass durch „die sich verschärfende Klimakrise […] Risse in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ entstehen, auf die „wir als Bewegung reagieren können und müssen. Sie bieten Gelegenheiten, um zu einer ökologischen, solidarischen, gerechten Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu kommen.“22


Auch in ihrem im Internet veröffentlichten Traktat „Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit“ macht EG deutlich, dass es den demokratischen Rechtsstaat, seine Institutionen und Repräsentanten ablehnt.23 Für EG ist die Polizei eine „herrschaftssichernde Institution“. Sie sei „zum Schutz von Eigentumsverhältnissen und staatlichen Machterhalt“ entstanden und steht „für Recht und Ordnung im Interesse des Kapitals“. Als „Quelle von Repression, Gewalt und Trauma“ gilt die Polizei als der „ausführende Arm von homo-, trans- und queerfeindlicher Gesetzgebung“. Sie schafft keine Sicherheit, sondern „nutzt ihre Machtposition um sich selbst und die ausbeuterischen, rassistischen und diskriminierenden Strukturen zu manifestieren und zu verteidigen.“ Die Polizei steht aus Sicht von EG einer „progressiven Zukunft im Wege […], sie steht der Demokratie im Wege und ist damit eine Gefahr für uns alle.“ Zusammengefasst ist die Polizei für EG ein staatliches „Repressionsorgan“, das „dem Guten Leben für alle aktiv im Weg“ steht. Aus diesen Gründen bedarf es einer „Überwindung der Polizei“, d.h. die „Polizei muss abgeschafft werden“. Als „Alternative zu einer brutalen Gruppe (benannt als Polizei) die mit ‚staatlich legimitierter‘ Gewalt die Aufrechterhaltung eines gewaltvollen Systems ermöglicht, gibt es die Möglichkeit kollektiv Verantwortung zu übernehmen und gewaltausübende Personen so zu verpflichten ihr Verhalten zu reflektieren, zu ändern und ihrerseits Verantwortung zu übernehmen für den Schaden den sie verursacht haben“.


Wie dogmatisch und für alle bei EG Mitwirkenden verbindlich die Einstellung zur Polizei zu verstehen ist, macht EG am Ende des Papiers deutlich, wo es heißt: „verschiedene Akteure bei Ende Gelände können ein unterschiedliches strategisches Verhältnis zur Polizei entwickeln wobei im Gesamten unsere Grundposition unverrückbar bleibt: Die Polizei ist keine Sicherheit und muss abgeschafft werden.“24


Die Kritik von EG zielt über die Polizei hinaus aber auch immer auf den als „kapitalistische Gesellschaftsordnung“ delegitimierten demokratischen Rechtsstaat. Ihn gilt es zu überwinden, denn erst dann werden auch seine Institutionen wie die Polizei als „Beschützer des Kapitalismus“ überwunden. Deshalb betont EG: „Unsere Polizeikritik ist ein Teil unserer Staatskritik“ und stellt klar, dass die „Überwindung dieses ausbeuterischen und diskriminierenden Systems […] genauso wie die Überwindung der Polizei alternativlos für eine befreite Gesellschaft [sind].“25


EG spricht selber von drei Strömungen mit unterschiedlichen Einstellungen zum Staat innerhalb ihres Bündnisses. Die erste Strömung hat eine „positive bis pragmatische Haltung zum Staat.“26 Sie will ihn nicht überwinden, sondern grundlegend reformieren. Die zweite Strömung steht dem Staat ablehnend gegenüber. Sie versteht ihn als eine „mit emanzipatorischen Zwecken und Ideen unvereinbare Herrschaftsstruktur“ zur „Durchsetzung von Kapitalinteressen.“27 Aus diesem Grunde lehnt sie die Zusammenarbeit „mit staatlichen und staatsnahen Akteuer*innen ab, aus Sorge davor, sonst die herrschenden Verhältnisse zu stärken und abzusichern.“28 Die dritte Strömung setzt sich „in ein gleichzeitig pragmatisches und gegnerisches Verhältnis zum Staat, indem sie versucht, staatliche Spielräume Stück für Stück für sich zu nutzen und auszuweiten.“ Ihr geht es dabei „vor allem um den Aufbau von gesellschaftlicher Gegenmacht.“29


In der Praxis bedeutet diese Einstellung zum Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten, dass EG sich nicht nur für den Klimaschutz engagiert, sondern auch keine Berührungsängste mit Linksextremisten wie denen aus der autonomen Szene hat. Vielmehr bekennt sich EG in den sozialen Netzwerken zu den klassischen autonomen Themenfeldern, wenn es betont: „Ende Gelände ist feministisch, antifaschistisch, antirassistisch, antiableistisch, antikapitalistisch“.30 Die EG-Ortsgruppe Rheinland betonte z.B.: „Klimagerechtigkeit heißt #Antifa“ und hob die Verbundenheit zwischen EG und der „Antifaschistischen Aktion“ unter dem Motto „Kämpfe verbinden“ hervor.31