Polizei

Jahrhundert-Katastrophe im Ahrtal

„Hölle und Himmel am selben Fleck"

 

5 Situation unserer be- und getroffenen Polizeidienststellen


Die Funktionsfähigkeit der zuständigen Polizeidienststellen Adenau, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen war in den ersten Tagen nach der Flut massiv eingeschränkt und teilweise gar nicht mehr gegeben. Die Polizeiinspektion Adenau zog bereits in der ersten Einsatzphase in ein Polizeigebäude um, das für die geplanten Großeinsatzlagen am Nürburgring glücklicherweise ausgerüstet vorgehalten wird. Am stärksten war die Dienststelle in Bad Neuenahr-Ahrweiler betroffen. Dort wurden die Haustechnik, der Serverraum, die Gewahrsamszellen und die Umkleideräume der Kolleginnen und Kollegen geflutet und dadurch auch wichtige Führungs- und Einsatzmittel, Uniformteile sowie private Gegenstände vollständig zerstört; der Inhalt der Asservatenkammer teilweise weggespült. Die Wassermassen drangen mit einer solchen Wucht ein, dass die im Gebäude befindliche Luft hörbar und spürbar nach oben über das Dach aus dem Gebäude gedrückt wurde. Man kann von Glück sprechen, dass die Gewahrsamszellen zu diesem Zeitpunkt nicht belegt waren. Ein Retten der Menschen wäre nicht mehr möglich gewesen. In den ersten Tagen war das Dienstgebäude noch notdürftig besetzt, musste später aber geräumt werden.

Die in Bad Neuenahr-Ahrweiler ansässige Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivilschutz (BABZ) half unbürokratisch und ermöglichte die Weiterführung des Dienstbetriebes in ihrer Liegenschaft. Die PI Remagen war nicht unmittelbar von dem Hochwasser betroffen, jedoch schränkten die umfangreichen technischen Ausfälle im Ahrtal auch deren Funktionsfähigkeit deutlich ein. In der Flutnacht brachen Festnetz, Mobilfunk, EDV-Systeme und der Digitalfunk teilweise komplett zusammen. Die Verständigung zwischen den Dienststellen und den eingesetzten Kräften war anfangs nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Am 14. und 15. Juli 2021 waren im Zusammenhang mit der Flut insgesamt 1.759 Notrufe zu verzeichnen. Ohne den Ausfall von Festnetz und Mobilfunk wäre das Aufkommen sicherlich noch deutlich größer gewesen. Die Notruf- und Amtsleitungen wurden zur benachbarten Polizeiinspektion Mayen und zur Führungszentrale in das Oberzentrum nach Koblenz geroutet.

Durch umsichtiges Handeln waren zwar keine Streifenwagen als Totalverluste zu beklagen, jedoch kam es aufgrund der enormen Müllansammlungen auf den Straßen fortwährend zu einer Vielzahl von beschädigten Reifen, die immer wieder zu Ausfällen des Einsatzmittels führten.

Bis heute sind die Renovierungsarbeiten an dem Gebäude der PI Bad Neuenahr-Ahrweiler nicht abgeschlossen. Trotz der großen Hilfe der BABZ befinden sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach rund neun Monaten noch immer in einer schwierigen Situation.

5.1 AAO – die ersten Stunden

Die Kolleginnen und Kollegen traten am 14. Juli 2021 regulär ihren Dienst an und ahnten nicht, was auf sie zukommen würde. Mit dem Fortgang der Katastrophe baute sich die Dramatik des Einsatzes schnell auf. Es zeichnete sich in der Folge deutlich ab, dass alles bisher Dagewesene übertroffen wurde und über die Grenzen einer Polizeidirektion oder eines Präsidiums hinausging. In den ersten Stunden waren die Kräfte des Wechselschichtdienstes auf sich alleine gestellt. Sie wurden konfrontiert mit Verzweiflung, Hilflosigkeit und Panik. Anrufer meldeten, dass gerade die Ehefrau im Keller ertrunken sei oder sich eine ganze Familie nach dem Heraustreten der Dachziegel von innen auf das Dach des Hauses gerettet hat, das jeden Moment einzustürzen droht. Durch das Zusammenbrechen des Funk- und Telefonnetzes konnten Notrufe nicht zurückverfolgt werden. Zu eingeschlossenen Anwohnern, die um Hilfe riefen, war der Weg abgeschnitten. Häuser wurden samt Menschen weggeschwemmt. Gerade die Kräfte des Nachtdienstes mussten sich mit dieser Machtlosigkeit und auch der eigenen Hilflosigkeit der nicht enden wollenden Katastrophe stellen. Sie waren auch großer Gefahr ausgesetzt, mussten sich teils selbst retten. Die Einsatzsteuerung war ob der technischen Ausfälle nur sehr eingeschränkt möglich.

5.2 BAO – EA Ereignisort

In der polizeitaktischen Bewertung und Kommunikation ist man geneigt in der Kategorie eines zentralen Ereignisortes zu denken. Es handelte es sich hier aber um einen Einsatzraum, der sich über eine Distanz von mehr als 50 Kilometern erstreckte. Es waren über 30 Ortschaften und rund 130.000 Einwohner betroffen. Teilweise unterschied sich das Schadensausmaß erheblich, ebenso die individuellen Zugangsmöglichkeiten zu Hilfen. Die Betrachtung von der Außenperspektive erfolgte gerade in der Anfangszeit oft wenig differenziert und dadurch manchmal verkürzt. Der Übergang von AAO zur BAO: Ein Einsatzgrundsatz ist, die „chaotische Phase“ nach einem Schadenseintritt möglichst kurz zu halten. Ohne jeglichen Vorwurf - aufgrund der Übermacht der Ereignisse - zog sich dieser Übergang tatsächlich über Tage hin. Im Laufe des 175 Tage dauernden Einsatzes war die Struktur der BAO natürlich den Erfordernissen immer wieder anzupassen. Dies betraf selbstverständlich auch den EA Ereignisort. Naturgemäß ein zentraler Einsatzabschnitt, in dem es kaum Maßnahmen des Gesamteinsatzes gab, die dort nicht ihren Ursprung fanden, endeten und auch außerhalb polizeioriginärer Zuständigkeiten getroffen wurden.


Nachfolgend werden ausgewählte Aspekte des EA Ereignisort dargestellt.

 

UA Absuche / UA Hilfe


Der wesentliche Unterabschnitt (UA) im Einsatzabschnitt der PD Mayen war in den ersten vier Tagen der UA „Absuche“.

Gemäß Vorgabe des Gesamtpolizeiführers sollte das Schadensgebiet selbstverständlich gründlich und schnell abgesucht sein. Eine Herausforderung, bei der nachfolgendes Stufenkonzept zur Anwendung kam:

  1. Lebende finden und retten
  2. Leichen suchen und bergen
  3. Gefahrenquellen identifizieren
  4. Herausragende Wertgegenstände feststellen und sichern

Die Fläche des abzusuchenden Gebietes war so groß, dass darüber hinaus eine weitergehende örtliche Priorisierung notwendig wurde. Nach Überflügen im Polizeihubschrauber unter Begleitung eines ortskundigen Polizeibeamten wurde die Region kartiert und schließlich in 15 Sektoren aufgeteilt. Offenkundig besonders stark betroffene und vor allem bewohnte Gebiete waren vorzuziehen. Dort waren am ehesten noch Überlebende zu vermuten. Zur Vermeidung „blinder Flecken“ oder von Doppelabsuchen bei den zeitkritischen lebensrettenden Maßnahmen kam der Dokumentation dabei eine besondere Bedeutung zu. In Auftragstaktik hat die eingegliederte Bereitschaftspolizei des Polizeipräsidiums Einsatz, Logistik und Technik dieses Konzept sodann unter eigener Führung selbständig umgesetzt.

Begleitet durch Ortskräfte konzentrierte sich die Absuche auf die angeschwemmten Fahrzeuge sowie Wohnwagen und Ortslagen. Im weiteren Verlauf dann auch auf Bereiche außerhalb der Bebauung. Da einige Ortschaften durch die Zerstörungen über den Landweg nicht erreicht werden konnten, war eine Luftverlastung der Kräfte notwendig. Die Dokumentation der Suchfortschritte erfolgte fortlaufend im Einsatzprotokollsystem (EPSweb). Am Abend des 18. Juli 2021 konnte die Absuche der priorisierten Regionen abgeschlossen werden und die Einsatzkräfte begaben sich am Folgetag in die nachrangig priorisierten Bereiche. Wohnhäuser und sonstige Gebäude, bei denen nach Hinweisen auch nur die Vermutung auf einen Leichenfund bestand, wurden aufgesucht, vollgelaufene Keller abgepumpt und abgesuchte Sektoren dokumentiert. Eine vermisste Frau war Tage später in Rotterdam (Niederlande) tot angelandet. Neben der persönlichen Dramatik verdeutlicht dies die Schwierigkeit den abzusuchenden Bereich einzugrenzen.