Polizei

Jahrhundert-Katastrophe im Ahrtal

„Hölle und Himmel am selben Fleck"

 


Von KD Thorsten Runkel, Mayen

 

1 Vorwort

 

Die Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021 im Ahrtal löste europaweit große Betroffenheit aus. Ein Ereignis, mit dessen Ausmaß man nicht gerechnet hätte und das binnen Stunden das Leben einer ganzen Region verändert hat. Im Katastrophengebiet wurden auch Dienststellen der Polizeidirektion Mayen beschädigt, gar teilweise zerstört. Mehr als 40 Kolleginnen und Kollegen waren und sind unmittelbar, teils persönlich verhängnisvoll betroffen. Nicht nur die Polizei, auch die Menschen unserer vertrauten und verbundenen kommunalen Familie sind ebenso hart getroffen. Diese Schicksale haben sich nicht nur auf die Handlungsfähigkeiten ausgewirkt, sondern uns insbesondere vor Augen geführt, wie anfällig oder auch zerbrechlich unser Glück ist und der Wohlstand, den wir genießen.

 

In einem bisher noch nie dagewesenen Polizeieinsatz wurden innerhalb kürzester Zeit viele weitreichende Entscheidungen zum Wohle der Betroffenen notwendig. Entscheidungen für die es in der Ausnahmesituation auf allen Ebenen und in allen Phasen keine Blaupausen gab, an denen wir uns hätten orientieren können. Entscheidungen, die zügig, pragmatisch und zugleich mit großer Umsicht und Sorgfalt getroffen werden mussten.

„Die Kriminalpolizei“ bat darum, einen Einblick in die Geschehnisse aus Sicht der betroffenen Polizeidirektion zu gewähren. Als Leiter der Polizeidirektion Mayen bin ich in der Alltagsorganisation (AAO) für das Ahrtal zuständig und komme der Bitte gerne nach. Die Erstmaßnahmen trafen die Menschen unserer Dienststellen vor Ort. Mit Fortgang der fürchterlichen Ereignisse übernahm ich gemäß Planentscheid die Führung des Einsatzabschnitts „Ereignisort“ in der eingerichteten Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Ahr“ unter der Führung von Polizeivizepräsident Jürgen Süs. Nach stufenweiser Rückführung endete die BAO nach 175 Tagen offiziell. Der Alltag kehrte damit bis heute weder für die Bevölkerung noch für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort zurück. Die dargestellten Ereignisse und Aufgaben können vor dem Hintergrund des – zumindest regional gesehen – apokalyptischen Ausmaßes und der daraus folgenden Komplexität der Gesamtlage selbstverständlich stets nur zu kurz greifen – das ist zwangsläufig und dessen bin ich mir bewusst.

 

 


Foto: Verklausung – ohne Schwemmgut berechneten die Fachleute einen ca. 2 Meter geringeren Pegelstand.

 

2 Polizeidirektion Mayen


Die Polizeidirektion Mayen ist mit 1.728 Quadratkilometern die flächenmäßig größte von vier regionalen Direktionen des Polizeipräsidiums Koblenz. Ihr nachgeordnet sind die Polizeiinspektionen (PI) Mayen und Cochem sowie die drei besonders von der Flut betroffenen Dienststellen Adenau, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen, die unmittelbar an das ebenfalls von der Flutkatastrophe heimgesuchte Nordrhein-Westfalen (NRW) grenzen.

Auch in der AAO ist die PD Mayen eine Einsatzdirektion, in deren Zuständigkeitsgebiet der Nürburgring mit seiner Vielzahl von Veranstaltungen fällt. Festivals wie Rock am Ring, Truck Grand Prix und 24h-Rennen erstrecken sich über mehrere Tage und die Besucherzahlen gehen über Tage verteilt teils über die Gesamtzahl von 100.000 täglich hinaus. Das Festival Rock am Ring wurde 2015 und 2016 von Unwetterlagen heimgesucht. Aufgrund einer Terrorverdachtslage 2017 war eine Räumung des Festivalgeländes notwendig. Bereits in der Vergangenheit wurde die PD Mayen so bei der Bewältigung großer Lagen geprüft und durfte Erfahrungen sammeln. Die waren bei der Bewältigung dieses Einsatzes hilfreich und sind daher der besonderen Erwähnung wert.

 

3 Das Ahrtal


Die Strukturen sind ländlich geprägt. Als Weinanbaugebiet, attraktive Tourismusregion und auch geschätzter Altersruhesitz über die Grenzen von Rheinland-Pfalz bekannt. Die Bevölkerung entlang der Ahr verteilt sich größtenteils auf kleinere Ortschaften, man kennt sich und die Anonymität einer Großstadt ist hier fremd. Die größte Stadt ist Bad Neuenahr-Ahrweiler, die mit ihren ca. 27.000 Einwohnern den mondänen Charakter einer Kurstadt mit Spielbank genoss. Eine wirklich lebens- und liebenswerte Region auf Erden, die zumindest für den Augenblick ihre Identität verloren hat.

Das Flüsschen Ahr entspringt in der Gemeinde Blankenheim (NRW), durchfließt teils wild romantisch das zerklüftete mittlere Ahrtal, dann im weiteren Verlauf entlang parkähnlichen Anlagen die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler und mündet schließlich nach einer Länge von ca. 85 Kilometer bei Sinzig in den Rhein.

Das Ahrtal wurde bereits in der Vergangenheit mehrfach von Hochwasserereignissen heimgesucht. Im Jahr 1804 starben dabei 64 und im Jahr 1910 57 Menschen. Frühwarnsysteme und Wetterprognosen waren zu der damaligen Zeit wenig verbreitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem weiteren „Jahrhunderthochwasser“ mit einem Pegelstand von. 3,69 Meter, bei dem glücklicherweise keine Menschen zu Tode kamen. Die mit einem Tsunami zu vergleichende Flutkatastrophe im Jahr 2021 stellt aber alle bisherigen Hochwasserereignisse in den Schatten. Insbesondere die Frage der Vorhersehbarkeit beschäftigt die Menschen bis heute.

 

4 Wie konnte das Wasser eine solch zerstörerische Kraft entfalten?


Das Tiefdruckgebiet „Bernd“ zog im Juli 2021 über weite Teile Deutschlands. Von Mittwoch, dem 14. Juli auf Donnerstag, dem 15. Juli 2021 fielen innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter und verwandelte die Ahr zu einem reißenden Fluss. Durch das Mittelgebirgsgelände wurden die Wassermassen kanalisiert, was zu schnell ansteigenden Pegelständen führte und die verheerenden Zerstörungen zur Folge hatte. 134 Menschen starben, zwei Personen werden weiterhin vermisst, 766 wurden verletzt und etliche Menschen verloren ihre gesamte Existenz. Die Unbändigkeit der Wassermassen zeigt der Blick auf die Pegelstände beispielhaft in der Ortslage Altenahr. Üblicherweise liegt der Pegel dort bei einer niedrigen Tiefe von 0,75 Meter. An dem Abend der Flut stieg er innerhalb kürzester Zeit zunächst auf 5,75 Meter und erreichte schließlich seinen Höchststand bei ca. 7,00 Metern - zwei Stockwerke eines Wohnhauses.

Nach Auskunft von Fachleuten führte, neben der unglücklichen Witterungssituation und der Bodenbeschaffenheit, besonders das Schwemmgut zur Eskalation der Situation. Hauptsächlich an den Brücken kam es zu Verklausungen und staute das Wasser zu der enormen Höhe an. Die meisten der im Ahrtal befindlichen Brücken gaben irgendwann nach, wurden zerstört und sogar gänzlich weggespült.

 

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