Wissenschaft  und Forschung

Die Propaganda der RAF zwischen Wahn und Wirklichkeit 1970-1998

Täter als Opfer und Opfer als Täter


Letztlich versuchte die RAF durchgängig, die eigenen Verbrechen durch Verweis auf den „gewalttätigen Kapitalismus“ zu legitimieren. So heißt es in ihrer Auflösungserklärung ausgerechnet vom 20. April 1998, die RAF-Opfer so gut wie komplett ausblendet, RAF-Täter weiter heroisiert und RAF-Verbrechen erneut rechtfertigt: „Wir stehen zu unserer Geschichte...Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein...Das Ende des Projektes zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte...Denn der tatsächliche Terror besteht im Normalzustand des ökonomischen Systems“. Bezeichnenderweise erinnert die RAF in ihrer Auflösungserklärung mit Schleyer nur an ein einziges RAF-Opfer, um ihn nochmals ausschließlich als Täter darzustellen, ohne – natürlich – an sein Engagement in der rechtsstaatlichen Demokratie zu erinnern, der es aus RAF-Sicht vollständig an Legitimität fehlte. Als ihren letztlich einzigen Fehler konzediert die RAF in ihrer Auflösungserklärung lediglich, sie habe es versäumt, über und neben ihr als mordender „Fraktion“ eine politische Partei aufzubauen, um den „terroristischen Kapitalismus“ wirkungsvoller mit Attentaten und Agitation zu bekämpfen.

In typischer RAF-Diktion hatte Bernhard Rössner, einer der Täter des RAF-Anschlags auf die deutsche Botschaft 1975 in Stockholm, bereits 1994 über sein Verhältnis zu RAF-Opfern und ihren Hinterbliebenen erklärt, er empfinde weder Reue noch Bedauern über RAF-Morde. Denn „Krieg ist Krieg und vorbei ist vorbei“. Als wahre Opfer sehe er ohnehin eher die Armen und Vernachlässigten des „Kapitalismus“. Damit befolgte Rössner wie fast alle anderen RAF-Mitglieder die RAF-Devise, keine Reue und kein Bedauern gegenüber RAF-Opfern zu zeigen.

 

3 Fazit


Im Ergebnis haben Terror und Propaganda der RAF die Bundesrepublik zwar erschüttert, aber in ihrer Substanz und Existenz nie gefährdet. Die Morde und anderen Gewalttaten der RAF bedeuteten primär eine ernste Herausforderung für die öffentliche Sicherheit der rechtsstaatlichen Demokratie. Nie war die freiheitlich-demokratische Grundordnung selbst durch die RAF wirklich gefährdet. Vielmehr erwies sich die rechtsstaatliche Demokratie als wehrhaft. Zu keiner Zeit gelang es der gesellschaftlich und politisch weitgehend und zunehmend isolierten RAF, durch Terror und Propaganda mehr als nur kleine und laute, später schrumpfende Minderheit an Sympathisanten hinter sich zu scharen, bei denen die RAF-Agitation zumindest phasenweise auf fruchtbare Felder fiel. Das Ziel der RAF, die Akzeptanz der rechtsstaatlichen Demokratie in der Bevölkerung zu verringern und den eigenen Rückhalt unter den Bundesbürgern zu erhöhen, scheitere fast vollständig. Letztlich wandte sich die übergroße Mehrheit der Befragten gegen die RAF, darunter die überwältigende Mehrheit der Arbeiter, Arbeitslosen und Randgruppen, für deren Ideale und Interessen die RAF einst zu kämpfen vorgegeben hatte.

Die weitgehende und zunehmende Isolierung der RAF in der Bevölkerung gründete inhaltlich erstens auf der wachsenden Selbstbezogenheit der Terrorgruppierung, deren sog. 2. Generation fast ausschließlich auf die Befreiung der eigenen Genossen aus der Haft zielte. Eine andere Ursache für ihren fortschreitenden Niedergang bestand zweitens in der außerordentlichen Brutalität der RAF, die weder vor der Tötung junger Polizisten zurückschreckte noch vor der besonders perfiden Ermordung des jungen US-Soldaten Edward Pimental per Genickschuss, dessen Hinrichtung 1985 – weit nach Ende des Vietnamkrieges – durch Mitglieder der sog. 3. RAF-Generation selbst in Teilen des RAF-Sympathisantenumfeldes eher aus strategischen als moralischen Gründen auf Kritik stieß und auch RAF-Apologeten an SS-Methoden erinnerte. Erst viel später nannte Birgit Hogefeld die Ermordung des jungen Soldaten „zutiefst unmenschlich“ und erkannte zwischen NS- und RAF-Methoden gar einige Parallelen. Bereits 1977 war die RAF als Auftraggeberin (mit-)verantwortlich für die Entführung einer Lufthansa-Maschine mit vielen normalen Urlaubern, darunter Kinder, an Bord und die Ermordung des Flugkapitäns Jürgen Schumann durch palästinensische Terroristen, die damit letztlich vergeblich versuchten, die Stammheimer Häftlinge freizupressen. Gerade auch damit stieß die RAF auf besonders hohe Ablehnung in der Bevölkerung. Trotz ihrer Versuche, nach 1977 wieder stärker Anschluss an linksextremistische Milieus zu finden, wuchs die Isolierung der RAF. Im Ergebnis avancierte die RAF nie zu einer Avantgarde einer Front aller „fortschrittlichen Kräfte“ gegen den „faschistischen Kapitalismus“.

Drittens basierte die weitgehende Isolierung der RAF sowohl auf der grundsätzlich breiten Unterstützung der rechtsstaatlichen Demokratie und Sozialen Marktwirtschaft in der bundesdeutschen Bevölkerung als auch dem konkreten Handeln der verantwortlichen Politiker bei der Terrorbekämpfung. Wie stark die große Mehrheit der Wahlberechtigten damals die demokratischen und staatstragenden Parteien CDU/CSU, SPD und FDP und damit auch die rechtsstaatliche Demokratie selbst unterstützte, unterstreichen unter anderem ihre Zweitstimmenanteile bei den Bundestagswahlen 1976 und 1980 von insgesamt je über 95%. Dieses Ergebnis deutet auf eine grundsätzlich hohe Zustimmung zur Politik der wichtigsten Parteien, die damals gerade auch mit Terrorbekämpfung befasst waren.

Die maßgeblichen Parteien des Verfassungsbogens reagierten aus Sicht der großen Bevölkerungsmehrheit insgesamt gleichermaßen hart und besonnen auf die Bedrohung durch die RAF. Einerseits zeigten Regierung und Opposition gerade während der Schleyer-Entführung 1977 Härte, um den Erpressern – anders als während der Lorenz-Entführung 1975 durch die „Bewegung 2. Juni“ – nicht nachzugeben. Das zentrale Ziel bestand darin, an potentielle Nachahmer ein klares Signal der Konsequenz auszusenden. Das auch deshalb, weil zwei durch die Lorenz-Entführung freigepresste Terroristen danach ihren terroristischen Kampf in der RAF fortgesetzt hatten.

Dass der demokratische Rechtsstaat gegenüber weitgehend reuigen RAF-Mördern andererseits, wenn sie Kooperationsbereitschaft zeigen, auch zur Milde fähig ist, belegt der Fall des Werner Lotze, der trotz eines vollendeten Mordes an einem Polizeibeamten bereits nach fünfeinhalb Jahren auf Bewährung aus der Haft freikam. Lotze profitierte von der Kronzeugenregelung, weil er über seine und Tatbeiträge anderer RAF-Täter substanziell ausgesagt hatte. Auch durch die Verkürzung langjähriger Haftstrafen – die sog. „Kinkel-Initiative“ von 1992 durch den damaligen Bundesjustizminister Klaus Kinkel im Auftrag des seinerzeitigen Bundeskanzlers Helmut Kohl – bewies der demokratische Rechtsstaat eine Bereitschaft zur „Versöhnung“. Obendrein leistete er dadurch einen Beitrag, die RAF zu spalten und weiter zu schwächen, die durch das Ende der SED-Diktatur einen wichtigen Helfer verlor.

Auf andere Art besonnen hatte bereits 1977 der damalige Oberbürgermeister von Stuttgart Manfred Rommel, Sohn eines Generals der Wehrmacht, auf hasserfüllte Forderungen aus der Bevölkerung reagiert, Ensslin, Baader und Raspe nach der „Stammheimer Todesnacht“ auf einer Müllhalde zu verscharren. Rommel widersprach dem deutlich. Der christdemokratische Politiker plädierte vielmehr und letztlich erfolgreich dafür, alle drei Terroristen in Stuttgart auf einem Friedhof zu bestatten, weil mit dem Tod jede Feindschaft aufhören müsse. Nebenbei erschwerte eine solche Haltung die RAF-Propaganda gegen den „faschistischen Repressionsstaat“.

 

Anmerkung


* Der Autor ist Politikwissenschaftler, Zeithistoriker und Buchautor mit den Schwerpunkten Parteien, Demokratie, Extremismus, Terrorismus und deutsche Geschichte seit 1870/71.

 

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