Wissenschaft  und Forschung

Virtualisierung und Meinungsbildung im Rechtsextremismus

Von RA Marcel Auber, Ludwigsburg

 

1 Einleitung

 

Das Internet hat das Leben der Menschen nachhaltig verändert. Bedenkt man, in wie vielen Bereichen sich unser Verhalten durch die Virtualisierung und die hierfür genutzten Konsumgeräte gewandelt hat, kann man die Aussage von Wissenschaftlern, die Erfindung des Internets sei nach dem Buchdruck die bahnbrechendste Erfindung überhaupt, gut nachvollziehen. Wie nahezu alle Entwicklungen bringt das Internet neben positiven Auswirkungen auch negative Begleiterscheinungen mit sich. So haben neben den Pionieren der sog. Tech-Brache auch die Extremisten der Welt verstanden, das Netz für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Diese Tatsache stellt sowohl die Branche selbst, die Nutzer und zu guter Letzt auch die Sicherheitsbehörden vor enorme Herausforderungen. „Die Virtualisierung hat den Rechtsextremismus geradezu revolutioniert“, so ist es dem Abschnitt „Virtualisierung des Rechtsextremismus bzw. Rechtsterrorismus“ im Jahresbericht 2020 des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zu entnehmen. Die Autoren begründen ihre Annahme mit der Aussage, dass es vor der Digitalisierung nahezu unmöglich gewesen sei, als Einzelperson im Sinne einer rechtsextremistischen Ideologie zu agieren, ohne zuvor mit einer entsprechenden Partei, Organisation oder sonstigen Gruppierung in Kontakt getreten zu sein.2

 

 

2 Verbreitung von Ideologien durch die Virtualisierung


Diese Annahme ist sicherlich zutreffend, letztlich jedoch nur ein Teilaspekt dieser Revolution, da die Virtualisierung einen exponentiellen Faktor an Möglichkeiten bietet, Ideologien zu verbreiten, neue Anhänger zu generieren oder das eigene Personenpotential zu bestärken. Gewiss ist dies kein Alleinstellungsmerkmal des Rechtsextremismus. Denken wir bspw. an die menschenverachtende Propaganda, die der sog. Islamische Staat äußerst professionell anfertigte und über die verschiedensten Plattformen in die Welt streute. Oder die sog. INCEL-Bewegung, die ihre misogynen Botschaften über das Netz verbreitet. Gerade die Entstehung dieser Bewegung, deren Nähe zum Rechtsextremismus nicht mehr geleugnet werden kann,3 wäre ohne das Internet undenkbar gewesen. Dennoch soll sich dieser Artikel auf den Phänomenbereich des Rechtsextremismus beschränken und einige Aspekte in diesem Kontext beleuchten.

 

3 Nutzung des Internets durch die rechtsextremistische Szene


Die Nutzung des Internets stellt keineswegs eine neue Errungenschaft innerhalb der rechtsextremistischen Szene dar, bereits in den frühen 1990er-Jahren betrieben Rechtsextremisten das Thule-Netz,4 um Texte und Musik zu teilen. Da dieses zunächst auf der Grundlage eines Mailbox-System operierte, war es nur für versierte Computernutzer zugänglich und konnte dadurch keine große Reichweite generieren. Heute liefern digitale Plattformen wie die „Sozialen Netzwerke“, „Imageboards“5 oder „Messangerdienste“ attraktive Plattformen, die für jedermann zugänglich und leicht zu bedienen sind. Nicht zuletzt die „Sozialen Netzwerke“ sorgen durch ihre Algorithmen zusätzlich für eine schnelle Verbreitung der durch Rechtsextremisten erstellten Schlagzeilen. Viele dieser Plattformen sind Bestandteile von Technologieunternehmen, deren Wert sich zum Großteil dadurch bemisst, wie lange sich die einzelnen Nutzer auf den jeweiligen Webseiten aufhalten. Je länger die Verweildauer, desto mehr Daten können über die Nutzer gesammelt werden. Je mehr Daten in die entsprechenden Datenbanken fließen, desto gezielter können die Unternehmen Werbemaßnahmen einsetzen. Bedenkt man, dass bspw. Facebook im Jahr 2020 einen Umsatz von 85,9 Milliarden Dollar und einen Marktwert von 800 Milliarden Dollar erzielte6, ohne ein haptisches Produkt herzustellen, ist es leicht vorstellbar, wie gut die gesammelten Daten den monetären Interessen der Betreiber entgegenkommen.

 

4 Implementierung von Algorithmen


Um die Nutzer möglichst lange auf ihren Webseiten zu halten, wurden Algorithmen implementiert, die sich verschiedene Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie zunutze machen. Bei den Algorithmen handelt es sich um streng gehütete Geheimnisse der jeweiligen Unternehmen. Dennoch konnten durch verschiedene Forschungsprojekte Anhaltspunkte für deren Funktionsweise „entschlüsselt“ werden.7 Der Nutzen der Algorithmen offenbart sich bereits auf den Startseiten der jeweiligen Plattformen, auf denen den Konsumenten Nachrichten angezeigt werden. Vermeintlich handelt es sich um solche, die sich am ehesten mit den Interessen der Nutzer decken. Tatsächlich werden aber die Nachrichten präsentiert, die im Sinne einer langen Verweildauer nützlich für die jeweiligen Betreiber sind – ähnlich den Schlagzeilen, die sich auf der ersten Seite einer Zeitung befinden und den Leser zum Kauf der Zeitung animieren sollen. Der Vorwurf, die Unternehmen würden durch den Einsatz der Algorithmen die Verbreitung extremistischer Inhalte unterstützen, darf aus meiner Sicht daher nicht erhoben werden. Wie jedes andere Unternehmen, versuchen die Tech-Giganten den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Nicht nur Rechtsextremisten, auch andere politische Akteure oder Unternehmen machen sich die Algorithmen zunutze. Hierfür wurden verschiedene Prozesse entwickelt, die genutzt werden können, um Meldungen schnell und mit größtmöglicher Reichweite zu verbreiten.


Mit dem „Clickbaiting“ und „Click and Share“ möchte ich auf zwei dieser Prozesse kurz eingehen, die nach meiner Auffassung von rechten bis rechtsextremistischen Meinungsmachern kombiniert werden.


Um höhere Nutzerzahlen zu generieren und so die Verbreitung von Nachrichten weiter zu beschleunigen, wird durch eine reißerische Meldung, Überschrift oder Bildmaterial, die Neugierde des Betrachters geweckt, ohne diese ausreichend zu befriedigen. Dieser wird dadurch verleitet, die Meldung anzuklicken, um seine Neugierde auf der verlinkten Website zu stillen („Clickbaiting“). Durch auf den Websites implementierte Buttons kann die Nachricht dann auf dem eigenen Profil geteilt werden – „Click and Share“. Von dieser Möglichkeit machen auch seriöse Medien Gebrauch von der „Augsburger Allgemeinen“ bis zur „taz“.


Durch die Faszination des „Click and Share“ wird der Nutzer zeitgleich auch zum Reproduzenten der entsprechenden Nachricht. Fraglich bleibt hierbei, ob sich dieser Reproduzent zuvor ausreichend mit dem Text und dem ursprünglichen Verfasser auseinandergesetzt und somit den Inhalt validiert hat. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit deuten darauf hin, dass dies nicht immer der Fall ist.


Als Beispiel möchte ich hier einen Vorfall anführen, der sich 2019 in einem Düsseldorfer Freibad ereignet hat. Das auflagengrößte deutsche Boulevardblatt berichtete von tumultartigen Auseinandersetzungen, die sich zwischen der Polizei und 60 Flüchtlingen aus dem nordafrikanischen Raum ereignet haben sollen.8 Wie das ARD-Magazin Monitor wenig später berichtete, blieben nach deren Recherchen nicht viele der Anschuldigungen übrig. Dennoch hatte die Nachricht immense Auswirkungen auf die öffentliche Meinung. Nicht nur Politiker der AfD, die von „kriegsähnlichen“ Zuständen sprachen, auch ein Vertreter des Bundesministeriums des Innern (BMI) ließ es sich nicht nehmen, im Rahmen eines Interviews, das im Zusammenhang mit dem Vorfall geführt wurde, ausländerrechtliche Konsequenzen anzudeuten, bevor die Ermittlungen zum Vorfall aus polizeilicher Sicht abgeschlossen waren. Auch wenn das Geschehen nach Abschluss der Ermittlungen relativiert werden musste, blieben die Schlagzeilen von „kriegsähnlichen Zuständen“ in einem deutschen Freibad, ausgelöst durch nordafrikanische Flüchtlinge, im Gedächtnis und wurden zuvor hunderttausendfach im Netz geteilt.

 


Angehörige der rechtsradikalen Szene

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