Wissenschaft  und Forschung

Cybermobbing

Erscheinungsformen,Epidemiologie, Folgen, Prävention

6 Täter und Opfer sind oft Jugendliche


Da Cybermobbing überwiegend über das Smartphone läuft und Jugendliche besonders viel Zeit damit verbringen, ist Cybermobbing bei dieser Altersgruppe am ausgeprägtesten. Kinder und Jugendliche sind die bevorzugte Altersgruppe für bestimmte Cybermobbing-Formen, wie zum Beispiel Cybergrooming. Die bevorzugten Opfer für online-basierten sexuellen Missbrauch oder Vergewaltigung sind Kinder und Jugendliche. Im Verlauf des Lebens nimmt die Zahl der Menschen, die schon einmal Opfer von Cybermobbing geworden sind, verständlicherweise zu. Das Bündnis „Cybermobbing“ führte in drei europäischen Ländern – Deutschland, Österreich, Schweiz – eine Studie an 4.001 Erwachsenen durch. In dieser Studie wurden allerdings sowohl Cybermobbing als auch andere Mobbing-Formen erfasst. Bei Erwachsenen spielte Mobbing am Arbeitsplatz eine große Rolle. Die Ergebnisse:10 in Deutschland sind 30,1%, in Österreich 32,5% und in der Schweiz 34,8% der Befragten schon einmal Opfer von Mobbing-Attacken gewesen. Diese Zahlen beziehen sich auf alle Mobbing-Formen. Speziell für Cybermobbing bei Erwachsenen lagen die Prävalenzraten in Deutschland bei 9,2%, in Österreich bei 9,4% und in der Schweiz bei 8,6%.

Schülerprojekt gegen Cybermobbing.

7 Opfer-Täter-Transition – aus Opfern werden Täter


Wie bereits bei anderen Gewaltformen ist auch in der Cybermobbing-Forschung festgestellt worden, dass ein hoher Prozentsatz der Opfer später zu Tätern werden. In der Cyber-Life II-Studie11 wurde festgestellt, dass etwa 20% der Täter selbst schon einmal Opfer von Cybermobbing gewesen sind. Die Täter wurden in der Studie nach ihren Motiven gefragt. Dabei gaben 43% an, dass sie mit dieser Person schon einmal Ärger hatten, 28% erklärten, dass sie von dieser Person schon einmal gemobbt wurden und 18% gaben an, dass sie andere, die gemobbt worden sind, rächen wollten. Insgesamt tauchten sehr häufig Rachebedürfnisse und Neidgefühle als Motive der Täter auf. Durch die Täter-Opfer-Transition und die ausgeprägten Rachebedürfnisse kommt es zu einer Perpetuierung der Gewalt. Der Gewaltzirkel lädt sich neu auf und dreht sich weiter, es kommt zu einem Teufelskreis der Gewalt.

8 Psychische Folgen für die Opfer


Die Folgen von Cybermobbing können ähnlich wie bei anderen Formen von ausgeprägten negativem Stress auf folgenden Ebenen analysiert werden: Emotionale Reaktionen, kognitive Reaktionen, Körpersymptome, Einflüsse auf das Verhalten. Auf der Gefühlsebene stehen Kränkungen, Verletztsein, Wut, Angst und Depression im Vordergrund. Überwiegend sind ja Schüler vom Cybermobbing betroffen. Entsprechend gibt es auch schulbezogene Folgen wie Schulangst, Vermeidungsverhalten, deutlichen Leistungsknick und oft Verschlechterung der Schulnoten. In der Cyberlife-II-Studie12 wurde auch nach den Folgen und Auswirkungen gefragt: 62% der Opfer fühlten sich verletzt, 47% waren wütend und 36% hatten Angst. Bei 20% war der Leidensdruck so hoch, dass sie Suizidgedanken hatten.

9 Extremes Cybermobbing mit Suizid des Opfers: Bullycide


2007 suizidierte sich in Los Angeles die 13-jährige Megan Meier, weil sie die Beleidigungen und Demütigungen durch Cybermobbing nicht mehr ertrug. Im Jahr 2012 beschäftigten besonders die Suizide der 15-jährigen Amanda Todd aus Kanada und des 20-jährigen Tim Ribberink aus den Niederlanden die Medien. In diesen beiden Fällen wandten sich die Eltern mit eindrucksvollen Appellen an die Öffentlichkeit und erhielten eine entsprechend große Resonanz in den Medien. Die Zahl der Suizidopfer nach Cybermobbing ist mittlerweile beträchtlich gestiegen und das Phänomen ist ein trauriges Kapitel auf allen Kontinenten der Welt.

Aus der Cyberlife-II-Studie geht hervor, dass 20% der Opfer von Cybermobbing unter Suizidgedanken leiden.13 Die Studienautoren geben nach einer entsprechenden Hochrechnung 280 000 deutsche Cybermobbing-Opfer an Schulen an, die einen so starken Leidensdruck hatten, dass sie unter Suizidgedanken litten.

Der Cybermobbing-Experte Wolke hat mit seinen Mitarbeitern (Lereya at al.) hierzu eine interessante Studie durchgeführt.14 Sie untersuchten zwei Kohorten von Schülern in zwei verschiedenen Ländern, 4.026 Schüler aus Großbritannien und 1.420 aus den USA. Das Ergebnis der Studie war, dass die Schüler unter dem Mobbing mehr litten als unter körperlichen Misshandlungen durch Erwachsene. In der FAZ wurde die Studie unter der Überschrift „Mobbing schadet Kindern mehr als Misshandlung“15 vorgestellt. Die Zeitung „Welt“ formulierte den Titel etwas salopper: „Mobbing schadet der Seele mehr als Prügel zu Hause“.16 Die Studie von Lereya et al. gilt als besonders aussagekräftig, weil die Stichprobe insgesamt fast 5.500 Probanden enthält und die Untersuchung mit sehr aufwändigen standardisierten Erhebungsinstrumenten durchgeführt wurde. Bei den Zielvariablen wurden auch Selbstverletzungen und Suizidalität erfasst. Die Prävalenzzahlen hierzu lagen in der britischen Kohorte bei 12% und in der amerikanischen Kohorte bei 13%. Die Studie von Lereya et al.17 wurde in der renommierten Zeitschrift „Lancet“ publiziert und unterstreicht die hohe klinische Relevanz von Suizidgefahr bei Opfern von Cybermobbing.

In Deutschland führte der Suizid von Robert Enke im Jahr 2009 zu einer großen Zahl von Nachahmungssuiziden (Werther-Effekt, Enke-Effekt). Suizidforscher und namhafte Medienwissenschaftler haben deshalb eine sehr restriktive Suizidberichterstattung gefordert. Nach einer entsprechenden Empfehlung von einer Expertenkommission wird deshalb über neue Fälle von Suiziden bei deutschen Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht in den Medien berichtet. Medienberichte in deutschen Zeitungen über Suizide nach Cybermobbing beziehen sich deshalb auf ausländische Fälle. Im anglo-amerikanischen Raum ist das Phänomen der Suizide nach Cybermobbing so stark ausgeprägt, dass bereits vor mehr als zehn Jahren ein eigener Begriff in der Fachliteratur eingeführt wurde: „Bullycide“. Dieses Wort setzt sich aus den beiden Worten „bullying“ und „suicide“ zusammen. Bullying oder Cyberbullying sind in den USA die geläufigeren Begriffe für Mobbing und Cybermobbing. Innerhalb Europas sind die meisten Bullycide-Fälle in Großbritannien aufgetreten. Dort gab es Suizidserien von mehreren Jugendlichen während der Amtszeit des Premierministers David Cameron, so dass sich sogar die Regierung und das Parlament mit diesem Phänomen beschäftigt haben.