
Megatrends und aktuelle Herausforderungen an die Kriminalistik
Von LKD Ralph Berthel, Frankenberg
Wissenschaft steht damit einerseits außerhalb von Hierarchien. Andererseits bedarf sie der Einheit von Institution, Lehre, Forschung und Praxis. Sie folgt dem Gedanken der Suche nach und Erforschung von Wahrheit. Sie steht damit im Gegensatz zu Meinungen oder Glauben. Diese Feststellungen erlangen vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen um postfaktische (Innen-)politik besondere Bedeutung.
Ähnlich wie etwa die Ingenieurwissenschaften oder Informatik ist auch die Kriminalistik eine angewandte Wissenschaft.11 Sie verfügt über eigenständige Theorien, sie erforscht systematisch einen abgrenzbaren und definierbaren Gegenstand und sie verfügt über spezifische Methoden und Verfahren. Im Sinne der meisten Definitionen ist eine Wissenschaft ein System von Aussagen, Theorien, Fakten, Methoden und Experimenten – eine Begründungspraxis mit meist festgelegter Methode zur Entwicklung überprüfbarer rationaler Argumente. Hier soll nun nicht die gesamte Diskussion zum Wissenschaftscharakter der Kriminalistik widergeben werden. Beispielhaft für die meisten Autoren in der jüngeren Vergangenheit soll Sterbling zitiert werden. Er begründet den eigenständigen Wissenschaftscharakter der Kriminalistik mit ihrer historischen, sozialen und kognitiven Identität. Und kommt zu dem Schluss, dass „sich die Kriminalistik – und in ähnlicher Weise auch die Kriminologie – heute als relativ klar strukturierte Wissenschaften darstellen.“12 Charakterisiert wird eine Wissenschaft, wie bereits dargestellt, durch die Einheit von Forschung, Lehre und Praxis. Der Zuordnung der Kriminalistik als Wissenschaftsdisziplin steht auch die Praxisorientierung nicht entgegen. Niemand würde einem Humanmediziner aberkennen wollen, dass er eine wissenschaftliche Ausbildung genossen hat, weil er überwiegend praktisch (am Patienten) arbeitet. Auch die von Hauptanwender der Kriminalistik gelegentlich geäußerte Befürchtung einer „Verwissenschaftlichung“ der Polizeiarbeit geht somit vollständig ins Leere.
Die Aufgabe der Kriminalistik besteht in der systematischen Erforschung und Beschreibung kriminalistischen Denkens und Handelns. Dazu zählen u.a. Methoden der Straftatenaufklärung und Täterermittlung, Strategien zur repressiven und präventiven Bekämpfung von Kriminalitätsphänomenen, die Anwendung wissenschaftlicher Denkmethoden (etwa der Heuristik), der kriminaltechnischen Untersuchung oder des Einsatzes von Mitteln der verdeckten Datenerhebung. Von Bedeutung ist dabei auch, dass die wissenschaftliche Kriminalistik systematisch andere Wissenschaftsgebiete hinsichtlich der Anwendbarkeit und Nutzbarmachung dort vorhandener Erkenntnisse für die kriminalistische Arbeit untersucht ... eigentlich untersuchen sollte, denn zumindest in Deutschland kann von einer strukturierten und systematischen Untersuchung anderer Wissensgebiete nicht die Rede sein. Ein Beispiel ist die Nutzbarmachung der Möglichkeiten der DNA-Analysetechnik.
Kriminalistik ist zwar eine Disziplin, die sehr eng mit dem Handeln der Polizei verbunden ist, sie bezieht sich jedoch nicht ausschließlich darauf bzw. wird nicht ausschließlich durch die Polizei angewandt. Vielmehr werden kriminalistische Methoden auch von Privaten, wie Detekteien, Sicherheitsabteilungen von Unternehmen oder Investigation-Abteilungen von Wirtschaftsprüfgesellschaften (diese befassen sich insbesondere mit Ermittlungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität) oder anderen staatlichen Institutionen, wie dem Zollfahndungsdienst oder der Steuerfahndung angewandt. Die Kriminalistik wird von den meisten Autoren in folgende Teildisziplinen oder Elemente unterteilt:
- Kriminaltaktik, auch operative Kriminalistik
- Kriminaltechnik, auch naturwissenschaftliche Kriminalistik sowie
- Kriminalstrategie.
Die nachfolgende Grafik zeigt die Kriminalistik im System der Kriminalwissenschaften.13
Unter Kriminaltaktik versteht der Verfasser die Gesamtheit aller repressiven und präventiven Maßnahmen unter Berücksichtigung kriminalistischer Erkenntnisse zur zielgerichteten Aufklärung und Verhütung von Straftaten. Sie bezieht sich auf die einzelne Straftat bzw. auch eine Serie, also Kriminalität in der Mikroebene. Einige Autoren verwenden auch den Begriff der kriminalistischen Handlungslehre und fassen diesen weiter als den der Kriminaltaktik. Hier soll die Kriminaltaktik als jenes Element der Kriminalistik dargestellt werden, dass sowohl die kriminalistischen Denk- als auch die Erkenntnisprozesse, die Planung und Durchführung von ermittlungstaktischen Methoden als auch Maßnahmen bei der Fallbearbeitung beinhaltet.14 Den Gegenstand der Kriminaltechnik bezeichnet Steinert als die Gesamtheit der naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisse und Methoden sowie der darauf basierenden technischen Mittel und Verfahren zur Suche, Sicherung und Auswertung von Spuren. Dabei kommen, so der Verfasser, naturwissenschaftlich-technische Mittel und Methoden zur
- Suche, Sicherung und Auswertung/Begutachtung von Spuren
- Beschaffung von Vergleichsmaterial (VM)
- Dokumentation von Tatorten
- Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung
- Identifizierung von Personen, Spurenverursachern, Sachen und Substanzen
- Gewährleistung der technischen Prävention
- Durchführung von Rekonstruktionen und Experimenten
- Forschung und Weiterentwicklung der Mittel und Methoden
- zur Anwendung. Ziele des kriminaltechnischen Agierens sind insbesondere
- Feststellung des Spurenverursachers
- Feststellung der Spurenursache
- Erkennen modaler, temporaler und lokaler Entstehungsumstände von Spuren
- Erkenntnisse zur Beschaffenheit von Vergleichsmaterial(VM)
- Unterstützung der weiteren Untersuchungsplanung/Versionsbildung
- beweissichere Überführung von Verdächtigen.15
Das dritte Element der Kriminalistik ist die Kriminalstrategie.16Sie ist die Teildisziplin der Kriminalistik, die sich basierend auf den Erkenntnissen zur objektiven Kriminalitätslage und zum Sicherheitsgefühl der Bevölkerung mit der Planung und Organisation der Gesamtheit der Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung befasst. Sie berücksichtigt dabei die den Organisationszweck bestimmenden rechtlichen, wirtschaftlichen, kulturellen, historischen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen.17
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