Polizei

„Die Kolleginnen und Kollegen haben Herausragendes geleistet!“

Gespräch mit dem Polizeiführer des G20-Gipfeleinsatzes Hartmut Dudde


Kriminalpolizei: Gab es im Rahmenbefehl Leitlinien, die Ihnen besonders wichtig waren?

Hartmut Dudde: Ein Rahmenbefehl bildet stets das Gesamtkonzept ab und gerade das Gemisch aus allen Leitlinien macht die Qualität des Einsatzes aus. Insofern ist eine Bewertung schwer, denn jede einzelne Leitlinie ist wichtig. Wenn die Summe der Leitlinien umgesetzt wird, kann man von einem guten Einsatz sprechen. Das Auftreten jedes einzelnen Polizeibeamten ist da ebenso wichtig wie die Sicherheit der Staatsgäste und der Bürger.

Kriminalpolizei: Traten bei dem Großeinsatz taktische Probleme auf, die Sie überrascht haben?

Hartmut Dudde: Ja, mich hat besonders der Freitagabend überrascht, an dem es uns wegen der extremen Gewaltbereitschaft der Störer nicht gelungen ist, in einigen Straßen zeitnah vorzugehen. Wir sind so massiv angegriffen worden, dass wir trotz des Einsatzes von Wasserwerfern, trotz des Einsatzes von MZP und trotz der Bereitstellung besonders geschulter BFHu eine Zeit lang einfach nicht weitergekommen sind. So habe ich mir das vorher nicht vorstellen können und das war eine neue taktische Erfahrung für mich.

Kriminalpolizei: Bei einer polizeilichen Fachveranstaltung wurde vor einigen Tagen kritisiert, dass es in Hamburg an einem „ausgeklügelten Raumschutzkonzept“ gefehlt habe. War dies tatsächlich eine Schwachstelle und würden Sie heute den Raumschutz anders ordnen?

Hartmut Dudde: Alle eingesetzten Einsatzabschnittsführer waren ausgesuchte Kollegen, die über umfassende Einsatzerfahrungen und ein hohes Maß an taktischem Verständnis verfügen. Wir arbeiten grundsätzlich mit der Auftragstaktik, so dass auch der Führer des EA Raumschutz eigenverantwortlich ein Konzept zu gestalten hatte. Erlauben Sie mir an dieser Stelle den Hinweis auf den Einsatzgrundsatz: Wer alles schützen will schützt nichts! Insofern mussten Schwerpunkte gebildet werden, die sich wiederum nur aus der Lageeinschätzung des Staatsschutzes ergeben konnten. Dieses Konzept hat grundsätzlich auch gut funktioniert. Es gab nur eine Ausnahme und das war der Freitagmorgen. Wir hatten uns auf schwere Störungen der Hafenwirtschaft an diesem als „Aktionstag“ angekündigten 7. Juli eingestellt und vermutet, dass der dortige Betrieb zum Erliegen gebracht werden sollte. Entsprechend musste sich der Raumschutz auch an diesen Örtlichkeiten orientieren, alles andere wäre grob fahrlässig gewesen. Bei der gezeigten Tatbegehungsweise und der Schnelligkeit der Störer hätten wir allerdings auch bei 50.000 Einsatzkräften nicht überall sein können. Das Stadtgebiet Hamburg kann nicht mit einem lückenlosen Raumschutzkonzept überzogen werden.

Kriminalpolizei: Sie hatten Polizeikräfte aus Bund und 16 Ländern und damit praktisch einen „gesamtdeutschen Einsatz“ zu führen. Hinzu kamen Kräfte aus dem benachbarten Ausland. Waren mit dieser Konstellation besondere taktische Probleme verbunden?

Hartmut Dudde: Es kommt auf den konkreten Arbeitsbereich an. Wir haben im Übrigen quasi einen polizeilichen G5 gehabt: Neben deutschen Polizeikräften nämlich Niederländer, Dänen, Österreicher und Franzosen.

Bei den geschlossenen Einheiten können wir uns glücklich schätzen, dass wir einen Inspekteur haben, der für die Bereitschaftspolizeien der Länder die gleichen Standards gewährleistet. Diese Einheiten sind somit uneingeschränkt kompatibel.

Hinsichtlich der kriminalpolizeilichen Aufgaben rund um die Groß-Gesa hatten wir auswärtige Kräfte in vierstelliger Größenordnung in Hamburg eingesetzt. Und auch das hat, da wir uns viel Zeit für deren intensive Einweisung genommen haben, gut funktioniert. Über die AG Kripo sind uns die Kriminalbeamten unproblematisch zur Verfügung gestellt worden.

Im Bereich der Verkehrsmaßnahmen war es zunächst eine echte Herausforderung, die erforderlichen Kräfte für die Lotsungen, Schleusungen und Absperrungen aus ganz Deutschland zu bekommen und in eine feste Einsatzstruktur einzubinden. Bei geschlossenen Einheiten ist das deutlich einfacher, gerade weil es feste Ansprechpartner auf Abteilungsebene gibt. Dennoch hat auch der Verkehrsbereich sehr gut funktioniert, er war jedoch mit einem besonderen logistischen Aufwand verbunden.

Aus taktischer Sicht haben sich also keine Nachteile ergeben und auch die ausländischen Polizeikräfte sind unproblematisch integriert worden. Es gab keine Probleme in der Zusammenarbeit der sehr leistungsbereiten Kräfte, sondern vielmehr einen regen und im Ergebnis sehr positiven Erfahrungsaustausch.

Kriminalpolizei: Es wird aktuell die Frage diskutiert, ob der föderative Staatsaufbau den Herausforderungen der inneren Sicherheit noch gerecht wird. Beim G20-Einsatz mussten alle Polizeikräfte mit dem Hamburger Polizeirecht arbeiten und die Presse hat ja z.B. über den unzulässigen Einsatz von Gummi-Geschossen und Reizstoffen berichtet. Gab es erkennbare Unsicherheiten?

Hartmut Dudde: Nein. Am meisten erschüttert mich hier, dass die Presse heute – wahrscheinlich durch den bestehenden Auflagendruck – kaum noch bereit ist, sich die Zeit zu nehmen, sorgfältig zu recherchieren und sauber zwischen Fakten und Wertung zu trennen. Das Hamburger Polizeirecht beinhaltet keine Besonderheiten, die Standardmaßnahmen bilden sich alle ab und von daher gab es keine Probleme.

Die Diskussion über Gummi-Geschosse und Reizstoffe ist aus meiner Sicht künstlich eröffnet worden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit muss es in schwierigen Situationen möglich sein, zur Verhinderung des Schusswaffengebrauchs auch diese Einsatzmittel zu benutzen, und in einer lebensgefährlichen Situation darf durch einen Unterabschnittsführer natürlich der Einsatz von Gummi-Geschossen angeordnet werden – stets mit der Zielstellung, den Schusswaffengebrauch zu verhindern. Dies ist im konkreten Fall sehr besonnen erfolgt. Gleiches gilt für den Einsatz von Reizstoffen. Als Polizeiführer setze ich diese nur sehr ungern in Hamburg ein. Das hat etwas mit der engen Bebauung und der Betroffenheit Unbeteiligter zu tun, aber auch mit der Tatsache, dass dieses Einsatzmittel nicht zwischen Polizeikräften und Störern unterscheidet. Und unsere Beamten gehen grundsätzlich ohne Atemschutzmaske in den Einsatz. Wenn aber der Wasserwerfereinsatz allein nichts mehr bringt, dürfen selbstverständlich Hundertschafts- oder Zugführer im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch den Einsatz der MZP anordnen, was im HmbSOG im Übrigen ja auch geregelt ist und damit keine rechtlichen Probleme bereitet. Der Reizstoffeinsatz hat letztlich auch dafür gesorgt, dass der Störerdruck nachgelassen hat.

Insofern gab es zu keinem Zeitpunkt einen unrechtmäßigen Einsatz von Gummi-Geschossen oder Reizstoffen. Dies gilt auch für die Beimischung von Reizstoffen beim Wasserwerfereinsatz.