Ultranationalismus, Rechtsextremismus und Islamismus: Die Grauen Wölfe in Deutschland
Von Dr. Dorothee Dienstbühl, Hochschule Darmstadt
Die türkischen Ultranationalisten Graue Wölfe sind seit Jahren im Visier der deutschen Sicherheitsbehörden. Gerade in den vergangenen zwei Jahren ist ein besorgniserregendes Anwachsen der Bewegung zu verzeichnen. Zudem treten Anhänger immer häufiger aggressiv in der Öffentlichkeit auf. Aufgrund der Agitation des türkischen Präsidenten Erdogan und der damit verbundenen Verschärfung des Kurdenkonfliktes, ertönen hierzulande längst Aufrufe zur Gewalt gegen Kurden, Griechen und Armenier. Doch auch die Deutschlandfeindlichkeit nimmt zu. Während die „Causa Böhmermann“ im April diesen Jahres zu einer handfesten Staatsaffäre um die Frage der Presse- und Meinungsfreiheit geriet, offenbarte sie nebenher einen gefährlichen Nationalismus vieler in Deutschland lebenden Türken, der mit demokratischen Prinzipien unvereinbar ist.
Ursprung und Überzeugung
Die Grundlage des türkischen Rechtsextremismus bilden der türkische Nationalismus und Turanismus, die im osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts erste Anhänger fanden. Die Ideologie der Grauen Wölfe (türkisch Bozkurtlar), oder auch Ülkücüs (Bewegung der Idealisten) genannt, basiert auf den Vorstellungen von Alparslan Türkes. Dieser gründete im Jahr 1961 die Partei MHP (Milliyetçi Hareket Partisi = Partei der nationalistischen Bewegung) und agierte als deren Vorsitzender. Zwischen 1965 und 1970 bekam der türkische Ultranationalismus eine faschistische Massenbewegungsform. Der ehemalige Offizier Türkes nutzte diesen Trend und etablierte einen Führerkult um seine Person, der sich an der Person Adolf Hitlers zu orientieren schien.1 Jedes MHP-Mitglied musste ihn mit dem Titel „Basbugum“ (mein Führer) anreden. Über 30 Jahre lang führte Türkes die Bewegung. Nach seinem Tod im April 1997 setzte sich dieser Führerkult fort, indem sich der Parteivorsitzende Devlet Bahçeli, der noch immer im Amt ist, als „neuer Führer“ (Baskan) betiteln lässt.2 Die Biografie des Basbug Türkes ist noch heute auf den Internet-Seiten der Bewegung zu finden, seine Prinzipien gelten weiterhin.
Seine Ansichten prägen noch heute die Ansichten der Grauen Wölfe. Gemäß diesen sei das türkische Volk anderen Völkern überlegen und setze sie herab. Die Symbolik der drei Halbmonde steht für den Anspruch der Herrschaft über die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa unter einem vereinigten Turkvolk in der Religion des sunnitischen Islam. Zentral sind dabei die Vorstellung des fiktiven Landes „Turan“ und die Vereinigung der „Türk Dünyas?“ (Türkische Welt), die besonders die türkischen Minderheiten außerhalb der türkischen Republik anspricht. Die Symbolik des Wolfes entstammt der türkischen Mythologie, wonach die Wölfin Asena das türkische Volk vor der Unterwerfung gerettet und aus Zentralasien in das Gebiet der heutigen Türkei geführt habe. Mit erhobener rechter Hand, die einen Wolfskopf symbolisieren soll, zeigen sie daher den „Wolfsgruß“. Die Anhänger empfinden noch heute eine weltliche Unterdrückung des türkischen Volkes und ihres Stolzes. Die MHP ist derzeit in der Großen Nationalversammlung der Türkei vertreten. Eine weitere rechtsextreme und gleichzeitig islamistische Partei, die ebenfalls der Bewegung der Grauen Wölfe nahesteht, ist die BBP (Büyük Birlik Partisi = Große Einheitspartei). Jugendverbände der BBP nennen sich Alperen Ocaklar (Unterschlupf).
Doch beschränkt sich die gefährliche Ideologie nicht nur auf diese beiden Parteien. Die Mitglieder AKP (Adalet ve Kalk?nma Partisi = Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) bezeichnen sich selbst als konservativ-demokratisch. Gegen den Vorwurf des Islamismus, der sich unter anderem durch einen Zwang zum Islamunterricht in den Schulen, eine drastische Einschränkung des Alkoholausschankes oder auch den umstrittenen Gesetzesentwurfes zum Jugendschutz3 äußert, wehren sich Funktionäre nach wie vor vehement. Doch auch nationalistische Tendenzen werden der Partei sowohl von der Opposition, als auch von Beobachtern im Ausland attestiert. Nachdem die AKP bei den Wahlen im Juni 2015 die absolute Mehrheit mit 40,87 % verpasste, wurden Koalitionspläne mit der MHP laut. Stattdessen wurden aber rasch Neuwahlen für November angesetzt, bei denen die AKP mit 49,5 % erneut die absolute Mehrheit an Wählerstimmen holte. Damit war das Koalitionsdilemma gelöst, deren Parteiführung wenig Sympathie für den Parteivorsitzenden der MHP Bahçeli empfindet. Umgekehrt werfen Anhänger der MHP der AKP vor, sie täte zu wenig für das Turk-Volk, um Beziehungen ins Ausland zu pflegen und damit wirtschaftliche Vorteile vor nationalen Interessen den Vorzug zu geben.
Necdet Sevinç, ein Vordenker der MHP, charakterisierte in seinen „Notizen an einen Idealisten“ (Ülkücüye Notlar) die Anhänger folgendermaßen: „Ein Ülkücü ist in der Regel kein Mann des Denkens, sondern immer ein Mann der Tat […] Alle Denkweisen, Handlungen und Meinungen, die von Handlungs- und Denkweise der Ülkücü abweichen, sind ungültig.“4 Damit wird die Legitimation zur Gewalt als notwendiges Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen offensichtlich. Dass die türkischen Rechtsextremisten nicht nur Propaganda betreiben, sondern auch für ihre Überzeugungen bereit sind zu morden, haben sie in früheren Jahren schon mehrmals unter Beweis gestellt. In den 1980er-Jahren agierten die Grauen Wölfe paramilitärisch im Zusammenhang mit dem Erstarken linker Bewegungen und kurdischer Autonomie-Bestrebungen in der Türkei. Daneben wurden Militär und Polizei von der Bewegung dominiert. Sie gingen gewalttätig gegen alles vor, was sie als nicht-türkisch definierten, dazu zählen in der Türkei nach wie vor Linke, Kurden und Aleviten. Diese Ideologie führte zu gezielten Attentaten und Anschlägen. So wurden beispielsweise das Pogrom von Kahramanmaras 1978 und das Pogrom von Çorum 1980, bei denen hunderte türkische Aleviten ums Leben kamen, von den Grauen Wölfen verübt. Sie führten außerdem zusammen mit dem türkischen Geheimdienst den Bombenanschlag auf das Alfortville-Völkermordmahnmal 1984 durch. Mehmet Ali Agca, der das Attentat 1981 auf Papst Johannes Paul II. beging, war ebenfalls ein Mitglied der Grauen Wölfe und begründete seine Tat mit der zugrundeliegenden Ideologie. Es war auch Agca, der Abdi Ipekçi, den Chefredakteur der Zeitung Milliyet, ermordete, weil er sich für Frieden mit Griechenland einsetzte. Das Attentat auf einen Frauenladen in Berlin-Kreuzberg, bei dem die bekannte türkisch-kurdische Publizistin und Anwältin Seyran Ates, damals noch Studentin, lebensgefährlich verletzt wurde, wird ebenfalls der Ülkücü-Bewegung zugeschrieben.
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