Ultranationalismus, Rechtsextremismus und Islamismus: Die Grauen Wölfe in Deutschland

Von Dr. Dorothee Dienstbühl, Hochschule Darmstadt

Die türkischen Ultranationalisten Graue Wölfe sind seit Jahren im Visier der deutschen Sicherheitsbehörden. Gerade in den vergangenen zwei Jahren ist ein besorgniserregendes Anwachsen der Bewegung zu verzeichnen. Zudem treten Anhänger immer häufiger aggressiv in der Öffentlichkeit auf. Aufgrund der Agitation des türkischen Präsidenten Erdogan und der damit verbundenen Verschärfung des Kurdenkonfliktes, ertönen hierzulande längst Aufrufe zur Gewalt gegen Kurden, Griechen und Armenier. Doch auch die Deutschlandfeindlichkeit nimmt zu. Während die „Causa Böhmermann“ im April diesen Jahres zu einer handfesten Staatsaffäre um die Frage der Presse- und Meinungsfreiheit geriet, offenbarte sie nebenher einen gefährlichen Nationalismus vieler in Deutschland lebenden Türken, der mit demokratischen Prinzipien unvereinbar ist.

Ursprung und Überzeugung


Die Grundlage des türkischen Rechtsextremismus bilden der türkische Nationalismus und Turanismus, die im osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts erste Anhänger fanden. Die Ideologie der Grauen Wölfe (türkisch Bozkurtlar), oder auch Ülkücüs (Bewegung der Idealisten) genannt, basiert auf den Vorstellungen von Alparslan Türkes. Dieser gründete im Jahr 1961 die Partei MHP (Milliyetçi Hareket Partisi = Partei der nationalistischen Bewegung) und agierte als deren Vorsitzender. Zwischen 1965 und 1970 bekam der türkische Ultranationalismus eine faschistische Massenbewegungsform. Der ehemalige Offizier Türkes nutzte diesen Trend und etablierte einen Führerkult um seine Person, der sich an der Person Adolf Hitlers zu orientieren schien.1 Jedes MHP-Mitglied musste ihn mit dem Titel „Basbugum“ (mein Führer) anreden. Über 30 Jahre lang führte Türkes die Bewegung. Nach seinem Tod im April 1997 setzte sich dieser Führerkult fort, indem sich der Parteivorsitzende Devlet Bahçeli, der noch immer im Amt ist, als „neuer Führer“ (Baskan) betiteln lässt.2 Die Biografie des Basbug Türkes ist noch heute auf den Internet-Seiten der Bewegung zu finden, seine Prinzipien gelten weiterhin.

Seine Ansichten prägen noch heute die Ansichten der Grauen Wölfe. Gemäß diesen sei das türkische Volk anderen Völkern überlegen und setze sie herab. Die Symbolik der drei Halbmonde steht für den Anspruch der Herrschaft über die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa unter einem vereinigten Turkvolk in der Religion des sunnitischen Islam. Zentral sind dabei die Vorstellung des fiktiven Landes „Turan“ und die Vereinigung der „Türk Dünyas?“ (Türkische Welt), die besonders die türkischen Minderheiten außerhalb der türkischen Republik anspricht. Die Symbolik des Wolfes entstammt der türkischen Mythologie, wonach die Wölfin Asena das türkische Volk vor der Unterwerfung gerettet und aus Zentralasien in das Gebiet der heutigen Türkei geführt habe. Mit erhobener rechter Hand, die einen Wolfskopf symbolisieren soll, zeigen sie daher den „Wolfsgruß“. Die Anhänger empfinden noch heute eine weltliche Unterdrückung des türkischen Volkes und ihres Stolzes. Die MHP ist derzeit in der Großen Nationalversammlung der Türkei vertreten. Eine weitere rechtsextreme und gleichzeitig islamistische Partei, die ebenfalls der Bewegung der Grauen Wölfe nahesteht, ist die BBP (Büyük Birlik Partisi = Große Einheitspartei). Jugendverbände der BBP nennen sich Alperen Ocaklar (Unterschlupf).

Doch beschränkt sich die gefährliche Ideologie nicht nur auf diese beiden Parteien. Die Mitglieder AKP (Adalet ve Kalk?nma Partisi = Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) bezeichnen sich selbst als konservativ-demokratisch. Gegen den Vorwurf des Islamismus, der sich unter anderem durch einen Zwang zum Islamunterricht in den Schulen, eine drastische Einschränkung des Alkoholausschankes oder auch den umstrittenen Gesetzesentwurfes zum Jugendschutz3 äußert, wehren sich Funktionäre nach wie vor vehement. Doch auch nationalistische Tendenzen werden der Partei sowohl von der Opposition, als auch von Beobachtern im Ausland attestiert. Nachdem die AKP bei den Wahlen im Juni 2015 die absolute Mehrheit mit 40,87 % verpasste, wurden Koalitionspläne mit der MHP laut. Stattdessen wurden aber rasch Neuwahlen für November angesetzt, bei denen die AKP mit 49,5 % erneut die absolute Mehrheit an Wählerstimmen holte. Damit war das Koalitionsdilemma gelöst, deren Parteiführung wenig Sympathie für den Parteivorsitzenden der MHP Bahçeli empfindet. Umgekehrt werfen Anhänger der MHP der AKP vor, sie täte zu wenig für das Turk-Volk, um Beziehungen ins Ausland zu pflegen und damit wirtschaftliche Vorteile vor nationalen Interessen den Vorzug zu geben.

Necdet Sevinç, ein Vordenker der MHP, charakterisierte in seinen „Notizen an einen Idealisten“ (Ülkücüye Notlar) die Anhänger folgendermaßen: „Ein Ülkücü ist in der Regel kein Mann des Denkens, sondern immer ein Mann der Tat […] Alle Denkweisen, Handlungen und Meinungen, die von Handlungs- und Denkweise der Ülkücü abweichen, sind ungültig.“4 Damit wird die Legitimation zur Gewalt als notwendiges Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen offensichtlich. Dass die türkischen Rechtsextremisten nicht nur Propaganda betreiben, sondern auch für ihre Überzeugungen bereit sind zu morden, haben sie in früheren Jahren schon mehrmals unter Beweis gestellt. In den 1980er-Jahren agierten die Grauen Wölfe paramilitärisch im Zusammenhang mit dem Erstarken linker Bewegungen und kurdischer Autonomie-Bestrebungen in der Türkei. Daneben wurden Militär und Polizei von der Bewegung dominiert. Sie gingen gewalttätig gegen alles vor, was sie als nicht-türkisch definierten, dazu zählen in der Türkei nach wie vor Linke, Kurden und Aleviten. Diese Ideologie führte zu gezielten Attentaten und Anschlägen. So wurden beispielsweise das Pogrom von Kahramanmaras 1978 und das Pogrom von Çorum 1980, bei denen hunderte türkische Aleviten ums Leben kamen, von den Grauen Wölfen verübt. Sie führten außerdem zusammen mit dem türkischen Geheimdienst den Bombenanschlag auf das Alfortville-Völkermordmahnmal 1984 durch. Mehmet Ali Agca, der das Attentat 1981 auf Papst Johannes Paul II. beging, war ebenfalls ein Mitglied der Grauen Wölfe und begründete seine Tat mit der zugrundeliegenden Ideologie. Es war auch Agca, der Abdi Ipekçi, den Chefredakteur der Zeitung Milliyet, ermordete, weil er sich für Frieden mit Griechenland einsetzte. Das Attentat auf einen Frauenladen in Berlin-Kreuzberg, bei dem die bekannte türkisch-kurdische Publizistin und Anwältin Seyran Ates, damals noch Studentin, lebensgefährlich verletzt wurde, wird ebenfalls der Ülkücü-Bewegung zugeschrieben.

Auftreten und Vereinswesen in Deutschland


Längst sind die Grauen Wölfe auch in Deutschland angekommen. Bereits 1978 wird die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (türkisch: Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu), kurz ADÜTDF oder Türk Federasyon, also die Auslandsabteilung der MHP, in Frankfurt am Main und mit Unterstützung aus der deutschen Politik gegründet. Bereits im Jahr 2000 wurden die Mitgliederzahlen auf bis zu 80.000 Personen geschätzt.5 Genaue Zahlen sind allerdings nicht bekannt, die Einschätzungen zum Personenpotential gehen sehr weit auseinander. Die ADÜTDF orientiert sich an der Ideologie und Politik der MHP. Sie ist dem türkischen rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen und wird deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet. Offiziell lehnen die Funktionäre Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer ideologischen Überzeugungen ab. Nach eigener Darstellung sind sie ein Interessenverband für türkisch stämmige Menschen. Ihre Aufgabe sehen sie in der Förderung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Belangen und in der Vermittlung türkischer Geschichte und Werte bei gleichzeitiger Integrationsarbeit. Die Ansichten über Integration sind allerdings einseitig zu sehen, wenn sie aus Perspektive der ADÜTDF so kommuniziert werden: „Als Türken wollen wir weitere Zugeständnisse an unsere Lebensart, Würde und Identität erreichen. Das verstehen wir unter Integration.“6 Auch sei die Haltung gegenüber der deutschen Gesellschaft von Distanz geprägt und vom Fernhalten von den „Ungläubigen”. Diese Einstellung wird letztendlich mit dem Koran begründet, in dem es in Sure 5, Vers 51 heißt: „Ihr Gläubigen! Nehmt nicht die Juden und Christen zu Freunden! Sie sind untereinander Freunde (aber nicht mit euch). Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen (und nicht mehr zur Gemeinschaft der Gläubigen).”7 Insofern muss Agitation und Zielsetzung eher als separativ, denn als integrativ betrachtet werden.

Foto: A. Lemberger

Strittig bleibt die Haltung bezüglich Gewalt. Gewaltakte, die Anhängern der Grauen Wölfe zuzurechnen sind, sind nicht automatisch den Mitgliedern der ADÜTDF nachzuweisen. Gleichzeitig existieren keine Distanzierungen von gewalttätigen Angriffe durch türkische Rechtsextreme, gerade auch in der jüngeren Vergangenheit, beispielsweise am 12. September 2015 in Hannover, bei der u.a. ein Kurde mit einem Messer durch einen türkischen Rechtsextremisten schwer verletzt wurde. Diese hassmotivierte Gewalt wird nicht thematisiert und deutsche Medien fordern zumeist auch keine Stellungnahmen des Verbandes ein. Hier zeigen sich Medienvertreter wie auch Politiker sehr zurückhaltend. Während in der Türkei die Aktivitäten und der Ultranationalismus zeitweise mit großer Sorge beobachtet und die MHP sogar in den Jahren 1981 bis 1987 verboten wurde, entstanden in Deutschland just zwei weitere Organisationen. Die Ülkücüs gründeten die ATIB in Köln und die ATB (Avrupa Türk Birligi = Verband der türkischen Kulturvereine in Europa) in Frankfurt am Main, die seither die türkische Partei BBP (s.o.) in Europa vertreten soll.

Von Facebook auf die Straße


Neben diesen Vereinen und seinen Mitgliedern verbreiten sich ihre Ansichten aktuell nahezu unabhängig. In Deutschland treten gerade die jugendlichen Anhänger der Grauen Wölfe meist nicht-organisationsgebunden, jedoch in sozialen Netzwerken verbunden und in kurzfristig verabredeten Zusammenschlüssen auf. Auf Facebook hat sich nun auch eine neue Gruppe gebildet, die AYTK (Almanya Yeni Türk Komitesi = Das neue Türkenkomitee für Deutschland oder: das Komitee für «Neu-Türken“ in Deutschland).8 Die Assoziationen an „Yeni Türkiye“ die „neue“ Türkei Erdogans und oder an die Jungtürken des osmanischen Reiches erscheinen gewollt. Denn tatsächlich vereinen sich hier zunehmend die jungen Anhänger von AKP, MHP und BBP. Sie präsentieren sich islamistisch-nationalistisch mit Parolen, die sich klassisch mit „ein Vaterland, eine Religion, eine Fahne“ zusammenfassen lassen und bringen damit womöglich eine neue Jugendbewegung hervor. Auch Mitglieder der DITIB (Diyanet Isleri Türk Islam Birligi = Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.), Dachverband der türkisch-sunnitischen Moscheegemeinden sind involviert und aktiv.

Die Anhänger finden sich in einer gefährlichen Opferrolle vereint, die durch den Eindruck genährt wird, sie würden als Angehörige des türkischen Volkes, wenn gleich viele in Deutschland geboren wurden und die deutsche Staatsbürgerschaft haben, bzw. als türkische Muslime unterdrückt werden. Diese Ansicht basiert auf dem typisch für extremistische Narrative überheblichen Völkerkult, gepaart mit der ewigen Opferrolle und sich anbietenden Feindbildern. Die Ülkücüs erreichen Jugendliche mit türkischen Wurzeln in ihrem überzogenen Ehrempfinden, das regelmäßig noch elementarer Bestandteil der Erziehung in patriarchalisch geprägten Elternhäusern ist. Sie definieren sich durch die Abgrenzung zu anderen Ethnien und fühlen sich ihnen überlegen. Damit bieten sie gerade den jungen Migranten eine Identität, die sie in der multikulturellen Gesellschaft nicht finden können.

Auf Facebook hat sich in den vergangenen Jahren der aggressive Ton so gesteigert, dass er sich zur offenen Hetze entwickelt hat. Eine regelrechte Hassrhetorik verunglimpft vor allem Jesiden, Kurden und Juden, aber auch die Deutschlandfeindlichkeit nimmt zu. Neben dem rechtsextremistischen und ultranationalistischen Duktus zeigen sich sich klare islamistische Tendenzen. Diese Kombination reicht als Basis für Bündnisse bis in die syrischen Kriegsgebiete. So vermeldete unlängst das islamistische Nachrichtenportal “Ummah Islam”, das der Al Qaida nahe steht, Anfang Februar 2016, dass sich verschiedene Gruppen im syrischen Krieg nun endgültig geeinigt hätten und zusammen kämpfen würden.9 Mittlerweile ist bekannt, dass Anhänger der Grauen Wölfe nach Syrien gereist sind, um dort als Gotteskrieger zu kämpfen.10 Entsprechend zeichnen sich die Kommentierungen in sozialen Netzwerken, vor allem bei Facebook durch islamische Glaubensbezeugungen hinter den nationalistischen Parolen aus. Die Bandbreite der Hasstiraden zeigt sich dann, wenn beispielsweise zur Floskel „Inschallah“ (so Gott will) Symboliken der Nationalsozialisten zum Tragen kommen. Auf Facebook finden sich Hakenkreuze oder Portraits von Adolf Hitler bei Anhängern und Sympathisanten der Grauen Wölfe in ihrer Timeline und temporär sogar in den Profilbildern. Ebenso sind bei Aufmärschen neben dem Wolfsgruß auch Hitlergrüße zu sehen. Was paradox erscheinen mag, dokumentiert aus Perspektive der Ülkücüs ein geschlossenes Weltbild, in dem das vereinte, sunnitische Turkvolk nach Allahs Willen die Herrschaft über drei Kontinente, wenn nicht gar weltweit, anstrebt. Der deutsche Nationalsozialismus wird dabei als guter Ansatz verstanden, zudem verbindet sie der Hass auf das jüdische Volk. Mit dem Absolutheitsanspruch der richtigen „Rasse“ und Religion erheben sie sich zu einer Elite. Die Herkunft, die in Deutschland als unterdrückte Minderheit stilisiert wird, ist Bedingung der Zugehörigkeit. Das daraus resultierende Selbstbewusstsein wirkt aktuell ganz offensichtlich anziehend und mobilisierend.

Organisation in Rocker- und Boxerclubs


Doch es sind nicht nur islamistische und rechtsextremistische Tendenzen, die miteinander verschmelzen. Eine weitere Komponente zeigt die Gründung sog. Boxclubs (BC) auf, die der fanatischen Ideologie noch eine weitere Identität anbieten. Auch hier sind die Entwicklungen rasant: Im April 2015 gründete sich im hessischen Dreieich der erste „Chapter“ der Osmanen Germania (OG). Die Mitglieder des Boxclubs zeigen äußerliche Erkennungsmerkmale auf, wie sie von Outlaw Motorcycle Clubs (OMC) der Hells Angels oder den Bandidos bekannt sind. Sie tragen Lederkutten mit clubinternen Patches als Uniform. Äußerlich also etablierten Rockergruppen nacheifernd, zeigen sich doch Unterschiede. Denn während solche meist bemüht sind, sich von extremistischen Inhalten abzugrenzen, zeigt sich dazu hier bei dem neu gegründeten OG BC ein sehr ambivalentes Bild. Obwohl man auf Facebook-Präsenzen, beispielsweise der Osmanen Germania Stuttgart die Herkunft, Ethnie oder Religion als gleichgültig betont,11 beweisen sowohl Aktivitäten, Raptexte und auch Symboliken das Gegenteil. In einem, ebenfalls auf einer Facebook-Präsenz der OG, hochgeladenen Videos (selbiges wurde mittlerweile entfernt), beschwört der Songtext das „osmanische Blut“, zeigt das Wappen der Mitglieder über ganz Deutschland und propagiert in diesem Zusammenhang die Zahl 1453, die mehrfach erwähnt vermutlich auf das Jahr der Eroberung Konstantinopels hinweist. Noch expliziter wird es, als ebenfalls über soziale Netzwerke eine türkisch-nationalistische Demonstration in Frankfurt beworben wird. Auf Facebook bekennen sich Männer, die sich einem Boxclub der Osmanen zugehörig fühlen, nicht selten gleichzeitig als Sympathisanten des türkischen Präsidenten Recep Erdogan oder als Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfen.12

Etwa zur gleichen Zeit, im Mai 2015, entstand im Umfeld der Grauen Wölfe in Duisburg Turan e.V. Bemerkt wurde dies allerdings erst, als sie sich Ende März 2016 aggressiv in Duisburg präsentierten und einen Polizeieinsatz provozierten. Die Namensgebung dürfte kein Zufall sein: Wie bereits beschrieben handelt es sich dabei für das Synonym für das mythische goldene Volk mit Zentrum irgendwo in Zentralasien). Seit seiner Gründung organisiert Turan e.?V., für seine Mitglieder Kampfsportkurse, genau wie Osmanen Germania. Auch die Aufmachung in Anlehnung an Rockclubs, ist ähnlich. Die politischen Themen der Organisation sind nicht auf den Krieg in der Türkei beschränkt.

Beide Phänomene, sowohl die Clubs der Osmanen Germania, als auch Turan e.V. scheinen wie aus dem Nichts erschienen zu sein und nun wie Pilze aus dem Boden zu wachsen. Freilich bergen rasantes Wachstum, Expansion und eine gewisse Pluralität Konfliktpotentiale, die das Phänomen durch interne Prozesse schnell wieder zerstören könnte. Allerdings darf darauf nicht vertraut werden. Denn ihre aktuelle Demonstration an Personenstärke, Vernetzung und Macht sollte als Warnung ausreichend gewesen sein. Entsprechende Propaganda und typischer Symboliken der Grauen Wölfe lassen keine Zweifel daran, dass sie mehr vorhaben, als sich nur auf der Straße zu zeigen. Verbände von Armeniern, Kurden, Jesiden und Aleviten reagieren ausgesprochen besorgt.

Die Causa Böhmermann als Katalysator jahrelanger Entwicklungen


Die Unruhen in Deutschland beschränken sich nicht nur auf Facebook-Parolen und Aufmärschen in deutschen Großstädten mit lokalen Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten. Denn auch der Sachverhalt um die im Neo Royale vorgetragene Schmähung Recep Tayyip Erdogans durch den TV-Moderator Jan Böhmermann am 31. März 2016 offenbarte einen tiefen Konflikt der in Deutschland lebenden Türken, der bereits Anlass für Gewalt und Drohungen darstellte. Die persönliche Beleidigung des türkischen Präsidenten wurde längst nicht nur zum Anlass für eine regelrechte Staatsaffäre. Vielmehr zeigte sich in Befragungen und in sozialen Netzwerken, dass viele, besonders männliche Türken und Deutsche mit türkischen Wurzeln, sich ebenfalls beleidigt und gedemütigt fühlten. Sie begründeten ihr Empfinden so: Wenn der Mann, der von ihnen als sein Volk zum Präsidenten gewählt wurde, beleidigt wird, beleidige man auch bewusst den Wähler und verletze dessen Ehre. Und tatsächlich war die Gefährdung von Jan Böhmermann so hoch, dass die Polizei ihn unter Schutz stellen musste. Welche Drohungen er genau bekommen hatte, wurde zunächst nicht offen gelegt. In den sozialen Netzwerken reichten die Auffassungen zur gerechten Bestrafung Böhmermanns von Aufrufen zum Mord, über Gefängnisstrafen bis hin zu Geldstrafen und Auflagen, Wiedergutmachung zu leisten und Demut zu bezeugen.

In der ganzen Debatte um Presse- und Meinungsfreiheit, der Frage nach Qualität und Stil Böhmermanns Verbalisierungen, sowie der höchst umstrittene Umgang mit der ganzen Angelegenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel, blieb dieser Aspekt weitestgehend im Hintergrund. Während in Deutschland der Unmut über den türkischen Präsidenten wuchs, der als ein beleidigter Diktator wahrgenommen wurde, der Einfluss in verbürgte demokratische Prinzipien nahm, erkannte man die Identifikation durch in Deutschland lebende Türken mit Erdogan zunächst nicht als problematisch. Aber sie ist nicht nur gefährlich für deutsche Satiriker, sie ist symptomatisch für ein klaffendes Integrationsproblem, das noch in der dritten Einwanderungsgeneration bestimmend sein kann. Und all diese Personen, die sich durch ein qualitativ fragwürdiges Schmähgedicht eines Spartenkanalsatirikers gegen den Präsidenten ihres Herkunftslandes so tief gedemütigt fühlen, dass sie Vergeltung fordern, offenbaren mangelnde Anerkennung des demokratischen Grundverständnisses in Deutschland. Denn die Streitkultur, die zu einer Demokratie dazu gehört, wird abgelehnt, stattdessen ersetzen Gewalt und Drohungen die Diskussion.

Der Fall Böhmermann zeigt einen Missstand auf, in dem ein veralteter Paragraph im StGB das kleinere Problem darstellt. Er macht es notwendig, endlich die unangenehme Frage zu stellen, ab wann Immigranten tatsächlich integriert sind. Diese Frage wurde faktisch noch nie beantwortet. Aber ganz offensichtlich reichen die deutsche Sprache oder ein bestimmtes Bildungsniveau nicht aus.

Hohes Sicherheitsrisiko und die reale Gefährdung demokratischer Werte


Am 10. April 2016 riefen, u.a. der von der AKP initiierte Zusammenschluss AYTK, DITIB, Anhänger der Grauen Wölfe und Boxerclubs wie Turan e.V. zu einem „Friedensmarsch für die Türkei und die EU“ in mehreren deutschen Großstädten auf. Freilich ging es dabei weniger um Frieden, als um Provokation und Machtdemonstration. Der deutsche Rechtsstaat sieht sich neben ohnehin schon großen Problemen, wie beispielsweise der Asylkrise, immensen Sicherheitsrisiken gegenüber, die sehr eng mit der türkischen Innenpolitik zusammenhängen. Die Türkei steht möglicherweise schon am Rande des Bürgerkrieges. Der wird sich jedoch nicht auf die Republik Türkei beschränken, sondern auch auf deutschem Boden ausgetragen werden. Die Reaktion und Entwicklungen auf die Causa Böhmermann zeigen ebenfalls einen Zwiespalt von hier lebenden türkischen Migranten auf, der möglicherweise viel tiefer ist, als der Traum einer multikulturellen Gesellschaft. Extremistische Kräfte werden in dieser Atmosphäre weiter gestärkt. Die Grauen Wölfe profitieren davon sowohl als rechtsextreme, als auch islamistische Kraft.

Zu Recht konstatierte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bereits 2004, dass die Grauen Wölfe „zur Entstehung einer Parallelgesellschaft in Europa“ beitragen und sieht in ihr „ein Hindernis für die Integration der türkischstämmigen Bevölkerung“.13 Trotz der hochgradig rassistischen und ultranationalistischen Ideologie sind die Grauen Wölfe und entsprechende Vereine und Ableger der türkischen MHP und BBP bislang in Deutschland nicht verboten. Vielmehr sind Anhänger in deutschen Parteien oder auch in lokalen Integrationsräten engagiert. In Deutschland fehlt noch immer das Bewusstsein, dass Rechtsextremismus keine rein deutsche Attitüde ist, sondern dass auch andere Nationalitäten solchen hervorbringen, der zudem kompatibel mit islamistischen Inhalten ist. Solange dieses Verständnis sowohl in der politischen Führung, als auch in der Medienlandschaft eine Ausnahmeerscheinung bleibt, müssen sich Sicherheitsbehörden darauf beschränken, die akuten Brandherde auf der Straße zu bekämpfen. Das reicht angesichts des Personenpotentials jedoch längst nicht mehr.

Anmerkungen

  1. Überhaupt zeigt sich seit den Anfängen der Ülkücü-Bewegung eine Affinität zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus: So gab es eine nationalsozialistische Gruppierung 1969 in Izmir, als eine Gruppe ehemaliger CKMP-Mitglieder (Vorgängerpartei der MHP) den Verein „Nasyonal Aktivitede Zinde Inkisaf“ (NAZI) gründeten. Der Verein unterhielt zwei Kampfverbände. Die Mitglieder trugen SA-Uniformen und verwendeten den Hitler-Gruß. Diesen sieht man noch heute häufig bei Veranstaltungen, Demonstrationen und Kundgebungen, an denen Mitglieder der Grauen Wölfe teilnehmen. Auch in Deutschland fallen vermehrt türkischstämmige Migranten mit dem Hitlergruß oder Symboliken wie dem Hakenkreuz auf.
  2. Bahçeli war vor allem während seiner Studentenzeit ein aktives Mitglied der Grauen Wölfe, inwiefern er in Gewalttaten involviert war, ist unklar. Offiziell hat er die Partei vom militanten Rand gelöst und ein Prinzip der Gewaltlosigkeit verankert. Die rechtsnationale Ideologie blieb davon unberührt und auch seine Rhetorik blieb faschistoid, www.main-spitze.de/lokales/ruesselsheim/muslime-in-ruesselsheim-tuerkischer-kulturverein-hat-anhaltendes-negativ-image_14081343.htm (aufgerufen am 15. April).
  3. Dieser sieht u.a. vor, dass Gebetsräume in allen Schulen zu errichten sind und der Besuch von Internetcafés für Jugendliche unter 18 Jahren verboten sei.
  4. Necdet Sevinç: Ülkücüye Notlar, Istanbul 1976, S. 28.
  5. Vgl. Lemmen, T.: Islamische Organisationen in Deutschland, Bonn 2000, online verfügbar, unter: www.fes.de/fulltext/asfo/00803008.htm#E11E2 (abgerufen am 15. April 2016).
  6. Stuff, Christiane: Islamischer Fundamentalismus in Deutschland, in: Kindelberger, Kilian (Hrsg.): Fundamentalismus. Politisierte Religionen, 2004, S. 75 ( S. 70 - 77).
  7. Vgl. Stuff 2004, a.a.O.
  8. Vgl. www.facebook.com/AYTK-Almanya-Yeni-Turk-Komitesi-1004762422889709/ (abgerufen am 15. April 2016).
  9. Vgl. Erklärung: Vereinigungsgespräche zwischen der Mujahidingruppen, online verfügbar, unter: www.ummahislam.com/vereinigungsgespraeche-zwischen-der-mujahidingruppen (abgerufen am 14. April 2016).
  10. Vgl. Herrmann-Marschall, Sigrid: Neue Allieanzen, alte Sympathien, vom 6. Februar 2016, online verfügbar unter: www.vunv1863.wordpress.com/2016/02/06/neue-allianzen-alte-sympathien/#more-3122 (abgerufen am 14. April 2016).
  11. Vgl. FB-Post vom 4. September 2015: Herrmann-Marschall, Sigrid: Osmanische Eroberungsträume, September 2015, online verfügbar unter: www.vunv1863.wordpress.com/tag/osmanen/ (aufgerufen am 14. April 2016).
  12. Vgl. Herrmann-Marschall, Sigrid (Siehe Fußnote 11).
  13. Vgl. Bericht des Verfassungsschutzes des Landes Nordrhein-Westfalen, Oktober 2004, S. 15 f.