Kriminalität

Die Frauen der Hamas: Wer sie sind und warum sie partizipieren.

Die Öffnung für demokratische Prozesse wurde somit von einer kontrollierten Öffnung für Frauen begleitet. Im Gaza-Streifen mündete diese Entwicklung darin, dass Huda Naim ab 2011 als Generalsekretärin der Hamas-Fraktion und Generalsekretärin des Parlaments eingesetzt wurde. Im Sommer 2013 ernannte die Hamas zudem Isra Mudallal zur Regierungssprecherin. Ähnlich wie für den militanten Bereich beobachtet, waren auch diese Entscheidungen, die den formalen politischen Sektor betreffen, nicht unumstritten. So berichtete Huda Naim von der Ablehnung, die sie erhalten hatte, als sie im Jahr 2006 für die Leitung des Sozialkomitees im Parlament vorgeschlagen wurde. Und auch nach ihrer Ernennung zur Generalsekretärin des Parlaments soll sie von bestimmten Kreisen abgelehnt und angefeindet worden sein, weil sie als Frau nach einem Posten griff, auf den diese Männer ein Monopol reklamierten.
Innerhalb der Hamas-Strukturen wurde die kontrollierte Öffnung für Frauen auf der politischen Ebene im Zuge des Wahlsieges fortgeführt. Seit dem Jahr 2006 finden sich auch Frauen im Schura-Rat. Während meiner Feldforschung im Jahr 2013 berichtete Huda Naim von einem Frauenanteil von ungefähr 15 Prozent in diesem Organ. Eine Repräsentation, die ohne Quote erreicht wurde. Doch werden Frauen nach wie vor vom Politbüro ausgeschlossen. Mehrere Hamas-Politikerinnen aus dem Gaza-Streifen berichteten mir, dass eine Frauenbeteiligung auch in diesem höchsten Entscheidungsorgan der Hamas diskutiert wird. „Und wir bestehen drauf!“, konstatierte Atimad Tershawi, Generalsekretärin für Regionales im Planungsministerium. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die Öffnung nicht nur einseitig von der Hamas vollzogen wird, sondern die Frauen auch dafür kämpfen.
In Hinblick auf die Möglichkeiten sind enorme regionale Unterschiede sichtbar. Aufgrund der politischen Spaltung und der israelischen Besatzung des Westjordanlandes finden wir für dieses eine völlig andere Situation als für den Gaza-Streifen vor. Während die Hamas-Frauen im Westjordanland im Wesentlichen in drei Tätigkeitsfeldern aktiv sein können (Islamischer Block, Medienarbeit; das Parlament tagt zwar nicht, doch nehmen die Frauen als Parlamentarierinnen repräsentative Aufgaben wahr), sind die Frauen im Gaza-Streifen in weiten Teilen der formalen Politik anzutreffen. Anders als im Westjordanland, wo Hamas-Wohltätigkeitsorganisationen und andere Zentren geschlossen wurden, gibt es im Gaza-Streifen zudem eine unzählige Anzahl von Möglichkeiten sich im Netz aus Bildungs-, Kultur-, Sozial- und Wohltätigkeitseinrichtungen zu engagieren.

Soziodemographische Daten


Im Folgenden möchte ich skizzieren, was die Hamas-Frauen kennzeichnet. Gibt es die typische Hamas-Frau? Berücksichtigt werden an dieser Stelle die Daten, die ich zu 21 Hamas-Frauen im Westjordanland und im Gaza-Streifen gesammelt habe. Sie sind im Islamischen Block aktiv, für Wohltätigkeitsorganisationen, sie arbeiten als Autorinnen für Hamas-Publikationen, sie wurden in einen Stadtrat oder ins Parlament gewählt, zwei der Frauen waren überdies als Ministerinnen für Frauenangelegenheiten im Amt, und ich sprach mit der Führerin der Frauenbewegung der Hamas. Bereits ein Blick auf die soziodemographischen Daten und den Lebensstil zeigt, dass es sich bei den Hamas-Frauen nicht um eine homogene Gruppe handelt. Was sie eint ist ein hoher Bildungsgrad und in Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild der Hidschab. Doch jede hat ihre eigene Lebensgeschichte, ihren eigenen Stil und Weg, die eine Bandbreite von Lebensentwürfen hervorbringen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede sollen im Folgenden für Alter, Bildung, Familienstand, wirtschaftliche Lage und äußeres Erscheinungsbild dargestellt werden.Zwischen der ältesten (Jahrgang 1953) und der jüngsten (1993) der 21 Frauen liegen 40 Jahre Altersunterschied. Nur eine der 21 Frauen studierte nicht, sie ist zugleich die zweitälteste der Gruppe. Die anderen 20 beendeten mindestens ein Studium oder waren dabei, es zu beenden, einige schlossen zusätzlich ein Masterstudium ab, eine Parlamentsangehörige promovierte erfolgreich, eine ehemalige Ministerin schrieb zum Zeitpunkt meiner Feldforschung noch an ihrer Doktorarbeit. Es gab mehrere Frauen, die einen religiösen Studiengang wählten, andere schlossen ein Lehrerstudium ab, ein paar Frauen studierten Arabische Sprache, eine Studentin war aktuell in Rechtswissenschaften eingeschrieben, eine Parlamentsabgeordnete studierte Sozialarbeit und es gab eine Reihe von Frauen, die in Ingenieursstudiengängen eingeschrieben war. Hamas ermutigt und fördert diese Frauen offenbar, einen hohen Bildungsgrad zu erreichen, das geht aus den Interviews mit den Frauen hervor.


Die Ministerin für Frauenangelegenheiten der Hamas-Regierung im Gaza-Streifen, Jamila Schanti (4. v. links),
umgeben von einer parlamentarischen Delegation, zu der auch die beiden Hamas-Politikerinnen Huda Naim (3. v.
links) und Miriam Farhat (2. v. links) gehörten. Quelle: Internetpräsenz des Palästinensischen Legislativrats

Auch das Heiratsalter variierte. Fünf der 21 Frauen waren zum Zeitpunkt meiner Feldforschung noch nicht verheiratet. Eine dieser unverheirateten Frauen war bereits Mitte 40, eine zukünftige Hochzeit scheint in diesem fortgeschrittenen Alter in der palästinensischen Gesellschaft unwahrscheinlich. Drei der restlichen vier unverheirateten Frauen studierten noch, sie waren zwischen 20 und 22 Jahre alt. Von den 16 verheirateten Frauen heirateten vier im Alter von 18 Jahren, zwei mit 20, eine mit 21, drei mit 22, zwei mit 23, zwei mit 25 Jahren und eine mit 28 Jahren. Eine Frau machte hierzu keine Angaben. Für 2008 betrug das Durchschnittsalter der palästinensischen Frauen bei der ersten Eheschließung 19.5 Jahre. Dieses wurde von den Hamas-Frauen demnach überschritten. Nicht alle Frauen machten Angaben zu den Umständen der Verlobung. Doch für diejenigen, die Auskunft gaben, finden wir sowohl traditionell arrangierte Ehen („Ich habe natürlich jemanden aus meiner Familie geheiratet.“ Oder „Ich kannte meinen Mann vorher nicht. Er kam, um sich mit mir zu verloben.“), als auch weniger traditionell arrangierte Ehen. Bei letzteren lernten die Frauen ihre Ehemänner an der Universität oder auf der Arbeit kennen. Eine Frau berichtete, dass ihr Mann sie bei einem TV-Interview sah, das sie anlässlich des Selbstmordattentates ihrer Schwester gab.
Die von mir interviewten Frauen hatten durchschnittlich 3.3 Kinder. Die Geburtenrate in Palästina beträgt 5.7 Kinder pro Frau. Die Differenz ergibt sich zum einen daraus, dass unter den Interviewpartnerinnen sehr junge oder unverheiratete Frauen waren, bei denen die endgültige Anzahl von Kindern noch ungewiss ist. Darüber hinaus stellte ich fest, dass es in der älteren Generation mehrere Frauen gab, die deutlich überdurchschnittlich viele Kinder geboren haben. Von der jüngeren Generation, Frauen, die im gebärfähigen Alter sind, wurde mir hingegen häufig signalisiert, dass sie nicht noch mehr Kinder planen, obwohl die Zahlen hier deutlich unter dem Durchschnitt lagen. Eine der Frauen aus Gaza, gab an, dass es für sie bereits eine Herausforderung sei, das Berufsleben und den Aktivismus mit ihrer Tochter zu vereinbaren.
Die wirtschaftliche Situation der Frauen ist als verhältnismäßig gut zu beschreiben. Auch wenn ich viele der Frauen nicht zu Hause, sondern am Ort der Arbeit getroffen habe, wurde deutlich, dass sie nicht zu den ärmsten der Armen gehören. Die Frauen sind stattdessen der Mittelschicht und unteren Mittelschicht zuzuordnen, wie die Anhängerschaft der Hamas insgesamt. Die biografischen Angaben zeigten zudem, dass einige Frauen in Flüchtlingslagern geboren wurden, dort aufgewachsen sind, den Verhältnissen später jedoch entfliehen konnten. Ein Sprung, der von den wenigsten Flüchtlingen gemacht wird.
Die religiöse Lebensweise der Frauen äußert sich für alle sichtbar in ihrem Kleidungsstil, sie selbst bezeichnen dies als multazima bi-l-hidschab, was so viel wie engagiert mit dem Hidschab bedeutet. Die Frauen waren insgesamt sehr konservativ gekleidet, in einfachen Farben und den Körper fast komplett bedeckend. Doch auch hier gibt es eine Bandbreite von Interpretationen und praktischen Umsetzungen. Zudem werden in diesem Punkt regionale Unterschiede besonders deutlich: Der Gaza-Streifen und das südliche Westjordanland sind seit jeher Regionen, in denen die Gesellschaft konservativer lebt als in den übrigen Teilen Palästinas. Dies schlägt sich auch im äußeren Erscheinungsbild wider. So waren es lediglich Frauen aus dem Gaza-Streifen, die ich mit Gesichtsschleier antraf. Dort trugen alle Frauen eine lange Abaya, lediglich in der Farbwahl waren dezente Unterschiede auszumachen. Bei den Frauen im Westjordanland konnte ich hingegen mehr Individualität feststellen: zum Beispiel durch eine Lederjacke, oder ein gemustertes Kopftuch.