Kriminalität

Die Frauen der Hamas: Wer sie sind und warum sie partizipieren.


Von Islamwissenschaftlerin Britt Ziolkowski, Universität Hamburg

Seit dem jüngsten Gaza-Konflikt im Sommer 2014 ist die Hamas auch in Deutschland wieder in aller Munde. Doch gibt es in der breiten Bevölkerung nur wenig Wissen über die Bewegung. Bei denen durch die Medien verstärkten Imaginationen entspricht die Hamas einem terroristischen Monster, männerdominiert und militant. Zudem wird die Wahrnehmung auf einzelne Aspekte gelenkt, mit denen der Hamas Maßnahmen und Praktiken zugeschrieben werden, die das Leben der Frauen beschränken.

Hier finden wir Berichte über das Wasserpfeiffenverbot von Frauen in der Öffentlichkeit oder auch über das Bildungsgesetz aus dem Jahr 2013, mit dem die Geschlechtersegregation ab dem zehnten Lebensjahr für einen Teil der Schulen durchgesetzt werden sollte. Doch bei genauerer Betrachtung können wir feststellen, dass es bisher bei Maßnahmen auf diesem Level blieb: Hamas sind nicht die Taliban, unter denen Frauen Schulbildung und das Recht auf Arbeit verweigert wurden. Häufig greift das von den westlichen Medien transportierte Bild der Hamas und ihrer Frauenpolitik zu kurz. Das wird besonders deutlich, wenn man sich mit den Frauen der Hamas beschäftigt. Denn in der Tat gibt es eine Vielzahl von Palästinenserinnen, die nicht nur mit der Hamas sympathisieren, sondern sich aktiv engagieren. Dies ist vor allem für den Gaza-Streifen zu beobachten, wo die Hamas seit 2007 alleine regierte. Die Strukturen der gesamten Region richteten sich nach der islamistischen Organisation, was auch den Frauen umfangreiche Möglichkeiten zur Beteiligung gab. Im Westjordanland hatte die Bewegung seit der politischen Spaltung einen schweren Stand, Hamas-Mitglieder wurden immer wieder verhaftet, Hamas-Wohltätigkeitsorganisationen geschlossen, von der Politik wurden sie im Prinzip isoliert.

Doch wer sind diese Frauen, die sich einer Organisation unterordnen, die das weibliche Leben zuweilen beschränkt? Und warum engagieren sie sich für die Hamas? Um das Paradox aufzulösen, das die Beteiligung der Frauen bei der Hamas für Viele darstellt, möchte ich diesen Fragen nachgehen. Dabei skizziere ich im Folgenden kurz die Möglichkeiten der Frauen, aktiv zu sein: In welchen Bereichen findet man sie, wo sind sie besonders aktiv, welche regionalen Unterschiede gibt es? Anschließend möchte ich die Frauen anhand soziodemographischer Daten vorstellen. Im dritten Abschnitt werde ich auf die Wege, Motive und Anlässe eingehen. Warum ist eine Partizipation bei der Hamas für die Frauen attraktiv? Die Daten hierfür sammelte ich während einer Feldforschung im Jahr 2013, sowohl im Westjordanland als auch im Gaza-Streifen. In einen abschließenden Punkt möchte ich einen Exkurs nach Deutschland vornehmen.

Möglichkeiten zur Beteiligung


Frauen konnten sich seit den Anfängen der Hamas in dem Netzwerk aus Bildungs-, Kultur-, Sozial- und Wohltätigkeitseinrichtungen engagieren. Ein solches Engagement hat in Palästina eine Tradition, die lange vor der Existenz der Hamas zu beobachten war. Seit dem frühen 20. Jahrhundert gab es zahlreiche Frauen-Organisationen, die sich diesen Bereichen widmeten. Die Organisationen hatten eine christliche oder muslimische Ausrichtung, oder sie waren konfessionell ungebunden. Seit den 1970er Jahren, als die islamistischen Kräfte in Palästina an Boden gewannen, gibt es explizit für Frauen, die diesem Lager angehören, Möglichkeiten, sich in den oben genannten Bereichen zu engagieren. Gleichzeitig öffnete der studentische Flügel der islamistischen Kräfte, der Islamische Block, den Frauen einen weiteren Weg zur Partizipation. Da Hamas die größte und wichtigste Organisation aus dem islamistischen Lager darstellt, wird der Islamische Block heute zumeist als ihr studentischer Flügel wahrgenommen.
Gesicherte Daten zur Beteiligung der Frauen bei militanten Aktivitäten sind rar. Doch scheint es so, als wenn die Frauen hier über einen langen Zeitraum ausgeschlossen wurden. Erst für die Zeit der Zweiten Intifada, die von 2000 bis 2005 andauerte, sind entsprechende Fälle bekannt: Frauen, die Selbstmordattentate durchführten oder durchführen wollten, oder Frauen die bei der Durchführung eines solchen halfen, indem sie zum Beispiel den männlichen Attentäter zum geplanten Ort des Attentats begleiteten. Offensichtlich ist, dass dieses Thema innerhalb der Hamas kontrovers diskutiert wurde. Denn mit einer eindeutigen Zustimmung für diese Form der Partizipation hätte es sicher mehr weibliche Selbstmordattentäter gegeben. Nur zwei Frauen führten eine so genannte Märtyreroperation unter dem Banner der Hamas durch, ein paar wenige wurden im Vorfeld der geplanten Tat vom israelischen Militär inhaftiert. Die These der kontroversen Diskussion wird bei Betrachtung der Proklamationen und Einschätzungen hochrangiger Hamas-Leute zur Frage bekräftigt: Hier fehlte es an einer eindeutigen Linie – stattdessen wurde in verschiedenen Phasen eine ganze Bandbreite von möglichen Standpunkten sichtbar. So gab es eine Phase, in der die Hamas-Führer zurückhaltend betonten, dass Frauen in anderen Bereichen besser aufgehoben seien. In einer anderen Phase äußerten sie uneingeschränkte Zustimmung, zu der in einer späteren Phase jedoch einschränkende Bedingungen folgten.
Nach der Zweiten Intifada ermöglichten die zweiten nationalen Parlamentswahlen in den Palästinensergebieten den Hamas-Frauen, sich auch auf politischer Ebene zu engagieren. Nachdem Hamas die ersten nationalen Wahlen als Legitimation der Oslo-Prozesse boykottierte, signalisierte sie mit ihrer Teilnahme bei den Parlamentswahlen 2006 die Bereitschaft, im formalen politischen Bereich Fuß zu fassen. Zu einer tatsächlichen Beteiligung der Hamas-Frauen kam es hier durch eine externen Faktor: Für die Parlamentswahlen wurde eine Frauenquote eingeführt, mit der mindestens 20 Prozent einer Partei oder Bewegung im Parlament von Frauen vertreten werden müssen. Auf diese Weise zogen sechs Frauen für die Hamas in den Legislativrat. Im Zuge der Regierungsbildung übernahm auch eine Frau aus den Reihen der Hamas die Spitze im Ministerium für Frauenangelegenheiten. Auch für die folgende Hamas-Regierung im Gaza-Streifen blieb dies das einzige Ministerium, das von einer Frau geführt wurde. Hier wurde sogar zunächst ein Mann als Minister eingesetzt, erst später übernahm Jamila Schanti den Posten. Auf den unteren Ebenen der Ministerien hingegen traf ich im Gaza-Streifen vermehrt auf Mitarbeiterinnen.

Propagandafoto der Hamas von der Selbstmordattentäterin Fatima Najjar. Die Großmutter sprengte sich 2006 im Gaza-S treifen in die Luft. Quelle: Internetforum von Hamas-Sympathisanten

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