Kriminalität

Ein Indikatoren-Faktoren-Modell zur Analyse rechtsextremistischer Terrorismusrelevanz

2. Indikatoren und Gefahrenfaktoren auf der ideologischen Ebene

Obwohl die militante Rechte bisher als ideologiefeindlich, affektgeladen und bezüglich der Strategien für terroristische Aktivitäten eher konzeptlos galt, ist festzuhalten, dass die rechten Ideologeme und Mythologeme im Hinblick auf die [Reichweite] und [Verankerung] der Ziele einen geeigneten Interpretations- und Handlungsrahmen zur Verfügung stellen. Die [Gewalttoleranz] scheint dabei ein invariantes, die rechten Szenen prägendes Kriterium zu sein. Auch die NPD öffnete sich Mitte der 1990er Jahre für gewalttätige Gruppen. Unterschiede zwischen den rechtsextremistischen Akteuren liegen auf der taktischen Ebene.

Trotz der gesellschaftlichen und gesetzlichen Sanktionierung der politisch motivierten Gewalt und insbesondere der PMK-rechts verhilft der rechtextreme Deutungsrahmen den Tätern dazu, die Mehrheitsgesellschaft bzw. den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren. Mehr noch: Täter entwickeln neben moralischen Rechtfertigungsdiskursen und -ritualen eine Art ideologisierten Fanatismus im Kampf für die machtpolitische Bedeutung und kulturelle „Größe“ der konstruierten, von „Kolonialisten“ und „deutschen Marionetten“ sowie Zionisten angeblich manipulierten und unterdrückten Volksgemeinschaft.Die ideologischen Grundsätze sind im Rechtsextremismus jedoch unterschiedlich ausgeprägt und verankert. Die positive Bezugnahme auf die „Volksgemeinschaft“ bildet ein verbindendes Element und ist in Teilen der Bevölkerung anschlussfähig. In solchen Gruppen kann von einer relativen [Attraktivität der Ziele] (eine kulturell und ethnisch homogene Volksgemeinschaft) gesprochen werden. Im Sinne der [Nachvollziehbarkeit] wird den Fremden und „denen da oben“ die Schuld für soziale Konflikte und „Systemüberlastung“ in die Schuhe geschoben. Daraus resultiert ein gewisses Mobilisierungs- und Rekrutierungspotenzial der Akteure, deren ideologische Deutungsrahmen und Sinnangebote in bestimmten sozialen Gruppen Anklang finden.
Je nach Aktionsform der Akteure – kulturelle Subversion, Kampagnenorientierung („Volkstod“), rechtsextreme Gewalt – variieren die Bestandteile des zentralen Deutungsrahmens im Hinblick auf die strategische Umsetzung der Ziele. Gewaltbereite Kameradschaften sowie ein Teil der Szenen, die sich am Ethos des „politischen Soldaten“ orientieren, legen folgende Gefahrenfaktoren an den Tag: Notwendigkeit radikaler Lösungen einschließlich eines „Krieges gegen das System“, Dehumanisierung und/oder Dämonisierung der „Feinde“, Glorifizierung der Aufopferung für das Vaterland, Legitimation/Habitualisierung politischer Gewalt und effiziente Vermittlung ideologischer Angebote durch Hassmedien.

3. Indikatoren und Gefahrenfaktoren auf der Bezugsgruppen-Ebene

Terroristische Anschläge sollen laut Waldmann „allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen“.18 Neben der Mobilisierung von Sympathisanten stellt die Radikalisierung des eigenen Milieus ein zweites strategisches Motiv dar. Daher wirft die „Zweigleisigkeit ihrer Motivation und Zielsetzung“ die Frage nach den Bezugsgruppen terroristischer Akteure auf.19
Terroristen agieren im Interesse eines als interessiert unterstellten Dritten, wobei sie sich unabhängig von verfolgten Zielen oder vertretenen Ideologien als Vorkämpfer für die „Unterdrückten“ verstehen, woraus sich das Bewusstsein moralischer Überlegenheit speist. „Botschaften“ in Form von Terroranschlägen sollen den positiven Bezugsgruppen veranschaulichen, dass Widerstand nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich sein kann. Auf dieser Ebene ist aus der Perspektive der Akteure und im Sinne der Bezugsgruppentheorie von der Identifizierung mit dem Legitimationsspender die Rede.20 Zugleich zielt das strategische Kalkül darauf ab, potentielle Unterstützer zu gewinnen. Aus dem Zusammenspiel von Identifizierungsprozessen terroristischer Akteure mit ihren positiven Bezugsgruppen entstehen komplexe Interaktionsmuster.
Es gilt allerdings zu bedenken, dass der Einfluss der Aversion gegen Fremde auf das Entstehen rechtsextremer und terroristischer Gewalt untererforscht ist. Zudem existieren zahlreiche Schwellen bzw. Grenzen oder Schleusen und Filter zwischen den radikalen Milieus und Terrorgruppen sowie zwischen den radikalen Milieus und den „latenten Rechtsextremisten“, deren Funktionsweise nach wie vor nur wenig untersucht worden sind.21
Die „Laborbedingungen“, unter denen Einstellungen abgefragt werden, machen es zugegebenermaßen einfacher, den rechtsextremen Items zuzustimmen,22 denn die Zustimmung zieht meist keine Konsequenzen auf der Verhaltensebene nach sich. Der Sachverhalt weist auf Diskrepanz zwischen Einstellungen und Verhalten hin. Ein Beispiel: Unter den 14,4 Prozent der sehr ausländerfeindlichen Jugendlichen, die gegebenenfalls das Reservoir für die militanten Szenen bilden könnten, verbindet sich die Einstellung nur bei 5,2 Prozent der Befragten mit entsprechenden Verhaltensweisen (szenetypische Kleidung, Musik, verbales Verhalten oder Gewalttaten).23 Eine weitere Studie arbeitete heraus, dass 2002 ca. vier Prozent der Jugendlichen mit rechtsextremen Einstellungen ausländerfeindliche Gewaltakzeptanz an den Tag legten.24
Zugleich besteht der Unterschied zwischen der Mitte der Gesellschaft zu extremistischen Rändern auch darin, dass „die Angehörigen der ‚Mitte‘ nicht nur vielfach dieselben Vorstellungen wie die Rechten vertreten, sondern sie auch die andere Seite sehen und für Gegenargumente offen sind. Sie halten die Ambivalenz aufrecht“.25
Aus den diffusen Sympathien von Teilen der Bevölkerung in Form von Ressentiments gegen Ausländer lassen sich keine tragfähigen Schlüsse auf die [Ideologisierung] und die [Größe] sowie [Verbreitung] in der Bezugsgruppe ziehen. Dies trifft mit hoher Plausibilität ebenfalls auf die [Verankerung] terroristischer Akteure in der Bevölkerung zu. Trotz verhältnismäßig hoher Zustimmungswerte für ausländerfeindliche Aussagen scheint wenig wahrscheinlich, dass mordende Neo-Nationalsozialisten Zuflucht und Unterstützungsleistungen außerhalb des radikalen Milieus erhalten würden. Im Sinne der Co-Radikalisierung26 scheint „das Feuerwerk alarmierender Impressionen, Emotionen und Phantasien“,27 das wenig differenzierende Einstellungsstudien durch ihre Interpretation produzieren, kontraproduktiv zu wirken. Denn die skandalisierende Darstellung und Berichterstattung über „fast jeden sechsten Ostdeutschen“ mit einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ füllt die rechtsextremistischen Konstruktionen ihrer positiven Bezugsgruppe mit Leben.
Das Helferpotential ist überdies nicht mit den rechtsextremen Szenen, also mit den 0,03 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung, deckungsgleich. Denn auch radikale Milieus sind nicht bedingungslos bereit, für Terroristen Unterstützung zu leisten. Bereits in den 1980er Jahren stellten Soziologen fest, dass sie den terroristischen Akteuren gegenüber mehr oder weniger unsicher oder ablehnend gegenüberstehen: „Selbst an den militanten Rändern des Links- und Rechtsextremismus stößt Terrorismus eher auf Ablehnung und Ambivalenz als auf Sympathie“.28 So fiel beispielsweise die Kritik an der aus der Münchener „Kameradschaft Süd“ hervorgegangenen terroristischen Vereinigung um Martin Wiese symptomatisch aus: Der „Möchtegernführer“ und „seine Idioten“ in der „Hauptstadt der Bewegung“ hätten nur „verbrannte Erde hinterlassen“.29 Daran ist unter anderem das taktische Kalkül des Spektrums abzulesen, eine „ausgewogene“ Militanz einzusetzen.30
Die sozialkulturelle Struktur gewaltaffiner bzw. terroristischer Gruppen31 bedingt zudem, dass es neben der ideologischen Ambivalenz auch strukturelle Restriktionen gibt, die rechtsterroristische Akteure vor große Herausforderungen stellen. Denn mit Blick auf die Mobilisierung von Sympathisanten und Helfern – vorausgesetzt, dass Terroristen auf Unterstützung angewiesen sind, – ergibt sich ein schwer zu lösendes Problem. Bekanntlich sind terroristische Akteure auch darauf bedacht, ihre Außengrenzen geschlossen zu halten, um Infiltrierung und Zerschlagung zu vermeiden. Daher kommt nicht jeder Anhänger der Szene als Unterstützer in Frage. Grundsätzlich bestehen jedoch Gefahren darin, dass das vorhandene Helfer- bzw. Sympathisantenumfeld indirekte und legale Unterstützung leisten sowie geographische Rückzugs-, Schutzräume und ökonomische Ressourcen zur Verfügung stellen könnte. Es handelt sich somit konkret um die Fähigkeit der Szenen, terroristische Aktionsformen zu flankieren. Auch der psychisch-symbolische Beistand spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. [Unterstützungsbereitschaft] entsteht jedoch öfter aus Freundschaften, Liebschaften und Verwandtschaften, weshalb es wichtig ist, soziale Netzwerke von terrorismusrelevanten Personen zu kennen und dieses Wissen gezielt für Risikoanalysen einzusetzen.
Darüber hinaus darf die psychologische Sogwirkung terroristischer Gewalt nicht unterbewertet werden. Zwar erfreut sich das terroristische Handeln im Rechtsextremismus keineswegs so großer Akzeptanz wie das Märtyrertum im Islamismus. Dennoch ist die Gewaltanwendung in den Szenen alles andere als verpönt. Daher können die Minderwertigkeitsgefühle von Sympathisanten, die sich mit den eigentlichen „Helden“ solidarisieren, zur Aktion führen.
Auf der Ebene der negativen Bezugsgruppe ist hervorzuheben, dass ein Teil des Rechtsextremismus unter einer Art „Kriegssyndrom“ leidet. Hartes Durchgreifen des staatlichen Machtapparats und der Sicherheitskräfte kann die imaginierte Bedrohung durch das System bestätigen und das radikale Milieu um die terroristischen Gruppen herum zusammenschweißen.32 So lösen polizeiliche Sanktions- und Kontrollmaßnahmen unter Umständen Radikalisierungsschübe aus.