Kriminalität

Islamistische Videopropaganda und die Relevanz ihrer Ästhetik

Die Brisanz von Schock- und Verführungsbildern: Herausforderungen für Staat und Gesellschaft


Wie bedeuten diese Propaganda-Produkte und ihre Art für uns? Fisabilillah ist ein extremes Beispiel, dabei ein sehr spezielles, gleichwohl umso bedenklicheres. Der Bürgerkrieg in Syrien, die Instabilität im Irak und das Unwesen des IS haben momentan und auf absehbare Zeit hohe Priorität, für die Politik, für die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden wie in der öffentlichen Debatte um die Themen Migration und Integration. Entsprechend fließen in den Videos der Terror des IS mit den hiesigen (Werbe-)Aktionen von Islamisten und (Neo-)Salafisten – etwas der „Lies!“-Kampagne – zusammen. Nicht zuletzt war etwa Cuspert prominentes Mitglied der seit 2011 verbotenen Gruppierung Millatu Ibrahim, und es gibt Hinweise, dass sich Personen aus diesem Umfeld heute beim HMC beteiligen.
Gerade mit Blick auf jene Prozesse, Mechanismen und Mittel der Radikalisierung und Rekrutierung, schließlich der Prävention und Deradikalisierung spielt die audiovisuelle bzw. Online-Propaganda eine erhebliche Rolle. Dies wurde international von Regierungskreisen erkannt, was etwa der White House Summit on Countering Violent Extremism (Februar 2015) oder der Beschluss der EU-Innenminister in Riga (Januar 2015) verdeutlichen. Schockierende Videos, etwa die der Ermordung der Journalisten James Foley, Steven Sotloff oder des jordanischen Piloten Muas al-Kasasba, kriegsverherrlichende „Dokumentationen“ des Erfolgs und der Stärke des IS, volksverhetzende Clips, die indoktrinieren sollen, für die Teilnahme am „Heiligen Krieg“ werben und zu Straftaten aufrufen: Sie werden über das Internet und speziell das Web 2.0 bzw. die Sozialen Medien angeboten und verbreitet. Mit ihren expliziten Darstellungen von Leichen, Tod und Gewalt, aber auch ideologisch-extremistischen Botschaften und Anschauungen – in bisweilen verharmlosender Gestaltung und unter dogmatischer Berufung auf vermeintliche Glaubenslehren des Islam – drängen sie sich gerade jungen Menschen weitgehend unkontrolliert und wenig regulierbar auf. Neben ihrer Verführungskraft stellt die Propaganda ein allgemeines gesellschaftliches und politisches Problem dar: Die Bilder der Wuppertaler „Sharia Police“ um den salafistischen Konvertiten Sven Lau oder die Aufnahmen der „kulturterroristischen“ Verheerungen in Ninive, Nimrud und Hatra Anfang 2015 verunsichern die Bevölkerung, erzeugen einen verzerrten Eindruck von der Lage hierzulande wie in Syrien und Irak. Für Fernsehsender, Zeitschriften oder Online-Medien stellt sich die Frage, wie mit den Bildern der Salafisten und des IS umzugehen ist. Sei es, weil man sich nicht zum Komplizen machen und Extremisten eine Bühne bereiten will, sei es, weil es um die echte oder vermeintliche Wirkung auf das Publikum geht, dessen Stimmung womöglich so aufgeheizt wird, dass sich wiederum außenpolitische Entscheidungsträger unter Druck oder Flüchtlinge und Migranten in gesteigerter Gefahr sehen, Opfer von Ressentiments oder gar Übergriffen zu werden. Nicht nur der reale und direkte Mobilisierungseffekt auf potenzielle Sympathisanten, Unterstützer oder Rekruten oder die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen im Umgang mit Schock- und Agitationsbildern machen daher radikalislamistische Propaganda allein so kritisch, sondern bereits die indirekte Wirkung. Das schon in anderen Bereichen (z.B. Werbung oder Pornografie) beobachtete und gut dokumentierte Phänomen des sogenannten „Andere-Leute-“ oder „Third-Person-Effekts“ kommt hier zum Tragen.3 Gemeint ist damit, vereinfacht gesagt, dass Menschen oftmals die Wirkmacht von Medieninhalten auf andere überschätzen, derweil sie sich selbst als relativ „immun“ wähnen. Diese Wahrnehmungsverzerrung mag auf den ersten Blick beruhigend erscheinen, besagt sie doch, dass Medieninhalte letztlich nicht so gefährlich sind, wie es scheint. Doch tatsächlich bedeutet das nicht, dass Propaganda in der Gesamtbevölkerung keinen signifikantem Einfluss auf Sichtweisen, Einstellungen und Handlungsbereitschaft hat. Und mehr noch: Die Videos sind – politisch und sozialpsychologisch – umgekehrt eben so brisant, wie sie gemeinhin eingeschätzt werden. Die bloße Annahme einer konkreten individuellen wie gesellschaftlichen Wirk- oder Verführungskraft kann sich niederschlagen in der Forderung von Reglementierungen, nach Verboten und Zensur, im Extremfall in Selbstjustiz-Aktionen im Namen einer vermeintlichen Notwehr gegen ausgemachte „Demagogen“ und diejenigen, die mit ihnen assoziiert werden. Selbst wenn er „nur“ das Konfliktklima weiter anheizt, ist der Third-Person-Effekt also ein möglicher weiterer Eskalationsfaktor in den Auseinandersetzungen um einerseits Benachteiligungs-, Ausgrenzungs- und Diffamierungsgefühle (Mohammed-Karikaturen, „Charlie-Hebdo“-Satire), andererseits Fremdenfeindlichkeit und Systemablehnung („Islamisierung des Abendlandes“, „Lügenpresse“). Ein Faktor, der eine Rolle ausgerechnet in jener bürgerlichen Mitte der Gesellschaft spielt, die über Medienarbeit und -inhalte kritisch nachdenkt.Egal aber, ob es aber um die öffentliche Ordnung geht, um ethisch-moralische Selbstverortung, symbolisch-identitäre Wertebekenntnisse oder die Sorge um konkrete Beeinflussung einzelner: Allein die erzwungenen Überlegungen und Entscheidungen, Propaganda-Bilder nicht oder nur bearbeitet zu verbreiten oder möglichst aus dem Netz zu verbannen (etwa durch Löschungen auf Plattformen wie YouTube), bedeutet, dass Radikale und Terroristen Einfluss darauf nehmen, ob und wie berichtet wird. Etwas, das angesichts der Bedeutung von angstfreier Meinungs- und Informationsfreiheit im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht gleichgültig lassen darf.

Gestaltungsweisen als Untersuchungsgegenstand


Zurück zu den Videos selbst. Müssen wir uns stärker mit der Machart dieser Internet-Filme auseinandersetzen? Ja. Denn ihrer Ästhetik, dem Pathos und der „Coolness“, der sinnlichen, affektive und emotionalen Faszination und Anziehungskraft ist nicht einfach mit inhaltlichen guten Gründen und rationalen Gegenargumenten beizukommen. Wie jede effektive Propaganda zielt die von Salafisten und Jihadisten immer auch auf Gefühle, auf das Erleben. Sie operieren mit Motiven und Vorstellungen, die bei Jugendlichen, die besonders anfällig sind für einfache Lösungen und große Gesten, verfangen. Mehr noch machen sie kalkuliert ein Alternativ- oder gar Gegenangebot zur „biederen“ Vernunft allgemein humanistischer und speziell demokratischer Werte, Normen und Moralität einer Gesellschaft, der man sich nicht zugehörig fühlt. Jede Prävention krankt daran, dass sie bewirbt, was die Jugendlichen ohnehin u.a. in der Schule anempfohlen bekommen, und die Langweiligkeit des pädagogischen Zeigefingers bei allen schicken Designideen von Aufklärungsbroschüren und Kampagnenplakaten distanziert umso mehr. Die Art der Ansprache selbst ist zudem nicht zu trennen von der vermittelten Botschaft. Inhalt und Form können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Entsprechend werden jugendgefährdende wie medienethisch hochproblematische Hass- und Hetzpropaganda im WWW etwa vom in Mainz ansässigen Jugendschutz.net (gegründet von den Jugendministern aller Bundesländer und organisatorisch an die Kommission für Jugendmedienschutz – KJM – angebunden) bewertet. Geprüft werden (audiovisuelle) Texte und gegebenenfalls auf Entfernungen von Web-Plattformen (etwas, das auch erfreulich schnell dem Video Fisabilillah auf YouTube widerfuhr) hingearbeitet. Als offensive Gegenwehr legen wiederum verschiedene Stellen in den Vereinigten Staaten oder auf EU-Ebene Programme zur Entwicklung und zum Einsatz von Gegen-Propaganda und Konternarrativen auf, beispielsweise in Form der vom Center for Strategic Counterterrorism Communications entwickelten Social-Media-Kampagne „Think Again Turn Away“ des US-Außenministeriums. Auch die Wissenschaft befasst sich u.a. zur Folgeabschätzung mit dem Thema, etwa was Inhalte, Rezeption und Wirkungspotenziale anbelangt. Zum Einsatz kommen dabei sozialwissenschaftliche Werkzeuge wie Interviews und Fragebögen oder experimentell psychophysiologische Experimente wie die Messung von Erregungszuständen über die Hautleitfähigkeit beim Betrachten von Propagandavideos. Es sei hier nur die von der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus (FTE) des Bundeskriminalamts (BKA) beauftragte Studie „Propaganda 2.0“4 erwähnt.