Verbrecherisches Reisen

Der Kindersextourismus – ein anhaltendes (deutsches) Problem


Was also hat sich durch die medial geradezu euphorisch gefeierten Ergebnisse dieses Runden Tisches der Bundesregierung von 2010/2011 wirklich verändert und verbessert ? Bei den Inlandstaten (durch ein neues Kinderschutzgesetz von 2012) wenig, bei den im Rahmen des Kindersextourismus im Ausland begangenen Taten nichts. Die deutschen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden sind aber auch für die von Deutschen im Ausland begangenen Taten zuständig. Im Jahr 1993 wurde festgelegt, dass das deutsche Strafrecht –unabhängig vom Recht am Tatort- auch bei Auslandstaten i.S. der §§ 176 bis 176b sowie 182 StGB ( Sexueller Missbrauch, Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie Sexueller Missbrauch von Jugendlichen ) gilt und anzuwenden ist – wenn der Täter Deutscher ist. Mit viel Leben erfüllt wurde diese Vorschrift bisher nicht. Einem verschwindend kleinen Hellfeld steht anhaltend und bis heute ein gigantisches Dunkelfeld gegenüber. Dabei sind die Roma-Kinder in den Ghettos von Rumänien oder Bulgarien oder gleich hinter der deutsch-tschechischen Grenze, die Kinder in den Waisenheimen Moldawiens und der Ukraine, die Beach-Boys auf Sri Lanka und die Kinder Kubas, Kenias und Kambodschas mit den gleichen Hoffnungen und Träumen geboren wie unsere Kinder auch – und mit den gleichen Rechten dazu. Und Deutschland stellt (neben den unrühmlichen Vertretern anderer Nationen) die Täter, die Anderen die Opfer. Es ist die Aufgabe Deutschlands, seiner politisch Verantwortlichen und seiner Ermittlungs- und Strafverfolgungsorgane, sich mehr als bislang um dieses anhaltende und beschämende, eines Rechtsstaates unwürdige Kriminalitätsaufkommen zu kümmern.
Neben all den Faktoren, die auch bei den Inlandstaten zu einem anhaltend hohen Dunkelfeld beitragen, so einer verbreiteten und beim Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Kindern sehr ausgeprägten „Kultur des Wegschauens und des Schweigens“, neben fehlenden oder den Gegebenheiten nicht angepassten gesetzlichen Vorgaben (so zum Beispiel der fehlenden Anzeigepflicht bei Hinweisen auf schwere Straftaten oder bei bestehender Wiederholungsgefahr ), neben der eher täterfreundlichen und weniger opfergerechten Rahmenbedingungen gibt es eine ganze Reihe weiterer Gründe, die letztlich zu einer sehr traurigen, deutschen Bilanz bei der Aufklärung sexuell motivierten Auslandstaten, begangen an Kindern, führen:
Fehlende Rechtshilfeabkommen oder wenig praktikablen Rechtshilfewege zum Beispiel, bürokratische Hindernisse durch verschiedene Zuständigkeiten und Instanzen, das passive (Fehl-)Verhalten von Zeug(inn)en und die ausbleibende oder mangelhafte Beweissicherung an den (ausländischen) Tatorten, ein fehlendes oder wenig ausgeprägtes Problembewusstsein und eine andere Rechtslage in den Tatortländern, vermeintlich oder tatsächlich fehlende Hilfsorganisationen am Tatort, eine vermeintlich oder tatsächlich korrupte und ins Verbrechen involvierte Polizei, wirksame Schutzmechanismen für die nicht selten angesehenen, weil wohlhabenden und sich sehr wohltätig gebenden deutschen Täter in den Tatortländern, der erforderliche finanzielle, zeit- und personalintensive Ermittlungsaufwand oder ganz einfach Sprachbarrieren.
Allein die Urlaubsstimmung kann dazu beitragen, wegzusehen, wegzuhören, nichts zu tun ( soll ich mir die wenigen freien Tage im Jahr durch so etwas vermiesen lassen…!?) Auch der Irrglaube ( oder die Ausrede ), dass das im jeweiligen Land eben so ist und dazugehört, oder der Irrglaube ( die Ausrede ), dass diejenigen (im jeweiligen Land) ja selbst schuld sind an dem Dilemma, dass sie mit Kindersex ihren Lebensstandard sichern oder verbessern wollen und können ( sehen die Täter ihren zumeist kläglichen Dirnenlohn doch nicht selten noch als wohltätige Spende an ! ), tragen zu passivem Verhalten bei. Manchmal ist es auch nur Bequemlichkeit, fehlende Zivilcourage oder das unterschwellige Bedürfnis, sich den Traum von einer heilen Welt nicht zerstören zu lassen – was eine konsequente und effiziente Strafverfolgung verhindert.
Es gibt viele Gründe und es gibt viele Ausreden und Trostpflästerchen für die geplagten Seelen, um nichts zu sehen, um nichts zu hören, um nicht handeln zu müssen – um die (potenziellen) Täter zu schützen und die betroffenen Kinder im Stich zu lassen.
In diesem Zusammenhang kann nicht unerwähnt bleiben, dass sich gelegentlich auch das politische und professionelle Interesse an der Aufklärung solcher Auslandsstraftaten in Grenzen zu halten scheint. Diese Kriminalität berührt eben unangenehm – auch in professionellen Bereichen. Wenig sachdienliche, passive Verhaltensweisen, Verzögerungsstrategien oder Ausweichmanöver sind jedenfalls nicht selten. Gelegentlich scheint es, als würden die erforderlichen Maßnahmen nur dann eingeleitet, wenn dies unumgänglich und nicht zu vermeiden ist.
Eine besondere Rolle kommt bei solchen Auslandsstraftaten den Deutschen Botschaften und den Verbindungsbeamten (Angehörige des Bundeskriminalamtes) in den Kindersextourismusländern zu. Die Botschaften haben –aus nachvollziehbaren Gründen- primär den Auftrag, den Deutschen im jeweiligen Land beizustehen und sie zu schützen. Das sind im Bereich des Kindersextourismus die Täter! Deshalb setzen nach der Inhaftierung eines Deutschen in einem (Kinder-)Sextourismusland in steter Regelmäßigkeit diplomatische Bemühungen ein, die bewirken, dass diese ihre Freiheit frühzeitig wieder erlangen und nach Deutschland zurückreisen können. Dass daraufhin hierzulande die erforderlichen Folgeverfahren eingeleitet werden, scheint nicht immer garantiert.

Ein deutscher Arzt, der in Manila zu einer langjährigen Haftstrafe wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt und daraufhin „freigekauft“ wurde, konnte seine Praxis in Deutschland zunächst ungehindert weiterbetreiben – ganz so, als wäre nichts gewesen. Niemand fragte nach, warum ein philippinisches Gericht die hohe Haftstrafe gegen ihn verhängte. Allein den bohrenden Fragen einer auf den Philippinen i.S. Kindersextourismus recherchierenden Journalistin des Bayerischen Fernsehens, die auf den Fall aufmerksam wurde, war es zu verdanken, dass in Deutschland (erneut) Anzeige erstattet und ein Strafverfahren gegen den Mediziner eingeleitet wurde.

Die BKA-Verbindungsbeamten an den Botschaften haben im jeweiligen Land keine Ermittlungsbefugnisse. Sie haben und pflegen jedoch zumeist sehr gute Kontakte zu den örtlichen Kriminalpolizeien oder –milizen und können so Einfluss auf die Einleitung oder den Verlauf entsprechender Ermittlungsverfahren nehmen. Auch sie sind jedoch Angehörige der jeweiligen Botschaft und primär dazu verpflichtet, den Deutschen im Land beizustehen – Im Einzelfall kann das für sie sehr widersprüchlich sein !
Sollte durch eine politische oder behördliche Zurückhaltung, durch Ignorieren, Tabuisieren, Verweigern oder Vertuschen öffentliche Aufmerksamkeit vermieden und der „gute Ruf“ der Bundesrepublik Deutschland gewahrt werden, so geht diese Rechnung nicht auf. Dieser gute Ruf der Republik wird vielmehr gerade durch solche Verhaltensweisen und Praktiken immer mehr ruiniert. Weiß man doch in den Kindersextourismusländern dieser Welt, von Tschechien bis nach Thailand längst, was mit den Kindern des jeweiligen Landes geschieht und was mit den deutschen Tätern nur all zu häufig nicht geschieht: Dass sie nämlich strafrechtlich nur höchst selten zur Verantwortung gezogen werden und dass kaum jemals ein angemessenes Urteil gegen sie ergeht. Man sieht es mit Verwunderung – und mit Verachtung !

Pierre Legros, Direktor der französischen Kinderhilfsorganisation AFESIP und in Kambodscha gegen den Kindersextourismus ankämpfend, zeigte sich sehr ungehalten und er wurde laut bei einem Fachkongress von Sozialarbeitern, Kriminalisten und Juristen in Berlin. „Man sage mir, wie es möglich ist, deutsche Täter vor ein deutsches Gericht zu bringen und einer gerechten Strafe zuzuführen – ich liefere sie dutzendweise mitsamt den Zeugen und Opfern…!“ Als von einem Kongressteilnehmer auf die Rechtshilfewege verwiesen wurde, zog sich ein vielsagendes Lächeln über das Gesicht von Pierre Legros und er wies anhand reichlich gemachter Erfahrungen sehr überzeugend nach, wie wenig praktikabel, wie untauglich diese sein können.

Das Ausmaß


Die Anzahl der (potenziellen) deutschen Täter, die sich aufmachen, um irgendwo auf dieser Welt ein oder mehrere Kinder sexuell zu missbrauchen, ist allen vorliegenden Erkenntnissen zufolge anhaltend hoch. Gegenwärtig ist entsprechenden Untersuchungen zufolge davon auszugehen, dass jährlich etwa 400.000 Deutsche ( vorwiegend Männer, es gibt jedoch auch deutsche Kindersextouristinnen z.B. mit Zielen in Kenia ) in die Welt hinaus reisen, um sich Sex zu kaufen. Es erscheint – Erkenntnisse hierzulande und solche aus den verschiedenen Zielländern dieser Kindersextouristen zugrunde gelegt- nicht unrealistisch, dass davon mindestens 5 % reisen, um sich Sex mit Kindern zu kaufen. Das würde bedeuten, dass sich Jahr für Jahr und Tag für Tag, vom 1. Januar bis zum 31. Dezember an deutschen Flughäfen mehr als fünfzig Personen einfinden (oder auch nur kurz über die Grenze nach Tschechien fahren), um im jeweiligen Zielland Kinder sexuell zu missbrauchen. Dabei ist davon auszugehen, dass jeder (potenzielle) Täter nicht nur eine Tathandlung begeht und dass in vielen Fällen nicht nur ein Kind sondern mehrere Kinder betroffen sind.
Das Ausmaß dieser wenig thematisierten und ein anhaltendes Schattendasein führenden, von Deutschen begangenen und in der Zuständigkeit Deutschlands liegenden Kriminalität ist also alles andere als gering.
Gering scheint allenfalls der Wille, ein gigantisches Dunkelfeld in ein größeres Hellfeld zu wandeln und die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden mit den Mitteln und Möglichkeiten auszustatten, die erforderlich sind, um bei der Bekämpfung dieser widerlichen Kriminalität erfolgreicher zu sein.