Zwischen Gold und Galgen

auf den Spuren der Geldfälscher im englischen Moor


Der Wind peitscht den Regen über die Hügel und rüttelt an den Fenstern der 500 Jahre alten Poststation. Im Kamin flackert das Holzfeuer, der Whisky wärmt von innen. Unser Gastgeber hat ein freundliches, vom Trunk gerötetes Gesicht und leistet uns gerne Gesellschaft, ein Träumer und Geschichtenerzähler, dessen Sätze zur Decke kringeln wie der Zigarrenrauch.

Martin Glauert
Kassel

An diesem Abend hören wir zum ersten Mal die Geschichte von David Hartley, dem Geldfälscher, den sie in dieser Gegend nur „King David“ nannten. Kleine Stücke knipsten er und seine Bande vom Rand der Goldstücke ab und schmolzen daraus neue Münzen. Dieses Geschäft nahm solche Ausmaße an, dass David Hartley mit seinem Treiben schließlich sogar die staatliche Ordnung des Königreiches ins Wanken brachte. Drüben in Heptonstall, auf dem Hügel gegenüber, bei dem Kirchturm, der manchmal durch die Wolken zu sehen ist, da liegt er begraben. Wir stoßen an und beschließen, morgen gleich mal dort hinzugehen.

Nun liegt aber zwischen unserem Hügel und Heptonstall ein tiefes Tal, wie sich am nächsten Tag herausstellt. Über den Fluss führt eine Brücke, die dem ganzen Ort seinen Namen gegeben hat: Hebden Bridge. Direkt an der Brücke steht ein Gasthaus aus altem schwarzem Stein mit dem seltsamen Namen „Hole in the Wall“. Es hat in den letzten Jahrhunderten einige Schlachten, so manche Verbrechen und wohl auch viel Vergnügen gesehen. Der Aufstieg von hier ist steil und beschwerlich. Die Steinmauer ist mit Moos bewachsen, Sträucher lassen ihre Zweige über den Weg hängen und das nasse Kopfsteinpflaster glänzt. Die Steine sind von den klugen Straßenbauern verkantet eingesetzt worden, so dass der Fuß nicht auf dem glitschigen Pflaster abrutscht.


Ein „Münzer“ bei der Arbeit in seiner dunklen Hütte,
beleuchtet vom Schein der Petroleumlampe.
Zeichnung: Werner Hülsken

Nach einer halben Stunde Aufstieg und 600 Fuß Höhenunterschied stehen wir auf dem alten Kirchhof. Der Sturm hat schon vor Jahren die große Uhr vom Turm der Kirchenruine herab gerissen, nur die Außenmauern stehen noch. In einem leeren Fensterbogen hat eine Katze Schutz vor dem Nieselregen gefunden und beobachtet uns herablassend. Wie bei einer Safekombination zählt man vom Portal der Ruine aus 12 Grabsteine geradeaus und zwei Reihen nach links: dann steht man vor einer steinernen Grabplatte mit der Aufschrift: „David Hartley 1770“. Dies ist der Endpunkt einer abenteuerlichen Geschichte.
Die Aussicht über das Land ist großartig, und das muss sich auch Hartley gedacht haben, als er begann, Münzen zu fälschen. Unliebsame Besucher oder Polizisten nämlich, die in diesem unwegsamen Moorland die einsamen Siedlungen und Höfe aufsuchten, waren schon von Weitem zu erkennen. So konnten Hartley und seine Männer ungestört in ihren Schuppen und Kellern vom Rand der gültigen Münzen kleine Stücke abschneiden. Aus diesen Schnipseln schmolzen sie neue Goldstücke, die sie dann mit gefälschten Prägestempeln zu aktueller Währung veredelten. Die Nachfrage war groß, denn es bestand im ganzen Königreich ein Mangel an Hartgeld. Das hatte selbst die Regierung veranlasst, sogar auf ausländische Münzen zurückzugreifen. Spanische Dollars mit dem Kopf des ausländischen Monarchen wurden kurzerhand mit dem Konterfei des englischen Königs überprägt, eine Praxis, die im Volksmund einen derben Kommentar fand: „The Bank to make their Spanish Dollars pass, stamped the head of a fool on the head of an ass!“ Diesen allgemeinen Bedarf an Zahlungsmitteln zu befriedigen, darauf verlegten sich nun die Fälscherbanden mit aller Kraft.


Die Fälscher beschnitten die Ränder der Goldmünzen und
schmolzen aus den gewonnenen Schnipseln neue Münzen.
Zeichnung: Werner Hülsken

Wie aber kommt jemand dazu, solch ein dunkles Geschäft zu betreiben, mag man sich fragen, zumal als Höchststrafe dafür der Tod durch den Strang drohte? Nun war der Ackerbau in dieser Gegend immer ein schwieriges Unterfangen. Die Landschaft ist wild und unwirtlich, die dünne Schicht sauren Torfbodens auf den steilen Hügelkuppen ist ständig von Erosion bedroht, die Erträge waren gering und ernährten die Familien nur mit Mühe. Die grausame Armut der Bauern im 18. Jahrhundert wurde gesteigert durch die Abgabenlast an Landbesitzer und den König. Das Fälschen von Münzen erschien vielen als ein Ausweg aus der Armut und wurde in dieser Gegend dann auch entsprechend populär. Daran änderte selbst die angedrohte Todesstrafe nichts. „Der Unterschied zwischen Tod und Steuern ist, dass der Tod häufig schmerzlos ist“, konstatiert ein örtliches Sprichwort trocken. Acht bis zehn Banden trieben ihr Fälscherwesen um Heptonstall, insgesamt waren etwa 200 Menschen darin involviert. Das Wenige, was von ihnen heute bekannt ist, wissen wir aus Steckbriefen: „Nathan Horsfall, Metzger, etwa 30 Jahre alt, breitgesetzter Mann, trägt sein eigenes Haar, welches braun und buschig ist; hat ein gerötetes Gesicht, von Pockennarben stark gezeichnet“.
Das Fälscherwesen beschränkte sich bald nicht mehr nur auf diese Banden, sondern fand in breiten Bevölkerungskreisen freudige Teilhaber. Selbst Banker und reiche Kaufleute agierten als Zulieferer und stellten Goldstücke in gewünschter Anzahl zur Verfügung. Nach der Bearbeitung durch die Fälscher erhielten sie ihre Münzen zurück, zuzüglich eines 50%igen Anteils am abgeschnitten Gold, versteht sich. Sogar der ehrenwerte Pfarrer Reverend Edmund Robinson und sein Sohn wurden 1688 dabei ertappt, wie sie im Keller ihres Hauses Münzen fälschten. Vater Edmund wurde in York öffentlich gehängt, seinen Sohn aber ließ man erstaunlicherweise laufen und gab ihm später sogar eine Anstellung - ausgerechnet an der königlichen Münzpräge!
Die Polizei hatte diesem populären organisierten Verbrechen herzlich wenig entgegenzusetzen. Selbst in der Großstadt Halifax mit seinen 6000 Einwohnern, einem Zentrum des Wollhandels in Yorkshire, standen für die Verbrechensbekämpfung lediglich zwei Gendarmen, zwei Stellvertreter und ein Nachtwächter zur Verfügung. Leider war ausgerechnet einer der stellvertretenden Gendarmen selbst im Münzfälschgewerbe aktiv!
Die königlichen Behörden spielen deshalb schließlich ihren stärksten Trumpf aus: im September 1769 betritt Inspektor Deighton die Bühne in West Yorkshire, Vater von acht Kindern und mit seinen 52 Jahren einer der erfahrensten Steuerfahnder des Königs. Deighton, mit allen Wassern gewaschen, ist fest entschlossen, den Fälschern das Handwerk zu legen, und er weiß auch, wie man das macht. Was er nicht weiß: er hat nur noch zwei Monate zu leben. Zunächst lässt sich alles gut an. Deighton mischt sich unters Volk, sitzt bis spät in die Nacht in den verräucherten Kneipen und trifft hier schließlich auf den ersehnten Judas: James Broadbent ist mit 33 Jahren bereits eine verkrachte Existenz. Einst ein stolzer Soldat, dann ein armer Weber und nun als Köhler ein einsamer Waldschrat, der seine spärlichen Pennies im Schnaps versäuft. Deighton gibt dem betrunkenen Köhler fünf Schillinge und ein Paar Schuhe, und der Mann verrät dafür David Hartley an den Inspektor. Im Oktober wird „King David“ aufgespürt und verhaftet. Im alten Brauhaus unter dem Wirtshaus „Stag Inn“ befindet sich noch heute eine schwarz bemalte Türe, dahinter ein modriger, fensterloser Keller. In diesem Kerker wird Hartley zwei Tage lang festgehalten, bevor er von bewaffneten Pferdewachen nach York ins Burgverlies gebracht wird. Ob und mit wem Hartley in diesen zwei Tagen gesprochen hat, welche Flüche und Anweisungen durch die Ritzen der Holztüre gezischt wurden, können wir nur ahnen.
Doch nun überstürzen sich die Ereignisse: in der Nacht des 10. November 1769 ist Inspektor Deighton kurz nach Mitternacht auf dem Heimweg. Hundert Yards trennen ihn noch von seinem Heim, da schlagen seine Mörder aus dem Hinterhalt zu. Zwei Einschüsse aus einer abgesägten Flinte treffen seinen Kopf, doch die Wut der Mörder ist damit nicht gestillt. Deighton wird grausam zugerichtet und ausgeraubt. Die Anklageschrift spiegelt den Hass, der die Attentäter getrieben haben muss: „Die Schurken fürchteten, dass er nicht gänzlich tot sei, sprangen mit ihren Füßen auf ihn und trampelten auf sein Gesicht, Brust und verschiedene Teile seines Körpers...“. Sieben Tage später wird Deighton an einem regnerischen und windigen Tag in Halifax beerdigt. So erlebt er seinen großen Triumph nicht mehr und sein Platz auf der Tribüne bleibt leer, als am Nachmittag des 28. April 1770 gegen halb drei David Hartley hingerichtet wird, „gehängt am Genick nahe York für ungesetzliches Prägen und Beschneiden einer öffentlichen Münze“.
„Damit wäre der Fall ja wohl erledigt“, könnte man denken. Wider Erwarten aber geht das Fälschen in vollem Gange weiter. Die Behörden versuchen es nun mit der bewährten Taktik von Zuckerbrot und Peitsche. Das Zuckerbrot kommt als Kronzeugenregelung daher: wenn ein reuiger Geldfälscher zwei oder mehr andere Fälscher verrät, so lässt man ihn ungestraft laufen. Jeder ertappte Fälscher aber verwirkt nicht nur seinen gesamten Besitz, sondern bekommt dazu mit glühendem Eisen ein „R“ auf die Wange gebrannt.


Zwischen Gold und Galgen. Synoptischer Reigen der Ereignisse.
Zeichnung: Werner Hülsken

Doch im Volke bestehen große Sympathien mit den Geldfälschern. Als der Landarbeiter Abraham Ingham in einem Gespräch beifällig die Bemerkung fallen lässt, er kenne die Mörder Deightons und werde ihre Namen der Polizei verraten, geraten die Umstehenden derart in Wut und Empörung, dass sie ihn packen, zum Kaminfeuer zerren und seinen Kopf in die Glut stoßen. Einer ergreift die rotglühende Kohlenzange und klemmt den Nacken des hilflosen Opfers fest darin ein. Damit nicht genug, sie schaufeln glühende Kohlen in seine Beinkleider, bis der Unglückselige schließlich unter größten Qualen verstirbt. Die Behörden reagieren mit Gegenterror und lassen mehrere Geldfälscher öffentlich hinrichten. Am 6. August 1774 wird Robert Thomas gehängt, sein Körper danach in einen großen Kessel mit kochendem Pech geworfen. Anschließend wird die Leiche in einen eisernen Käfig eingeschweißt, der dem Körper wie ein Anzug angepasst ist, und weit sichtbar auf einem Hügel in Halifax aufgehängt. Noch acht Jahre später hängen die gebleichten Knochen dort in ihrem Käfig. Immerhin musste die ganze Prozedur nachts vor sich gehen, da eine große aufgebrachte Menschenmenge die Hinrichtung verhindern wollte.


Die Grabplatte des David Hartley auf dem Friedhof von Heptonstall.

Aber selbst von diesen spektakulären und grausamen Hinrichtungen lässt sich die Bevölkerung nicht mehr abschrecken, längst hat sich das Fälscherunwesen mit dem allgemeinen sozialen Aufruhr vermischt. So erscheinen zwei bekannte Münzfälscher, Thomas Spencer und Mark Sattonstall, bei den Brotaufständen von 1783 an vorderster Front. Sie organisieren die Aktionen, die als „Kornrebellion“ in die Geschichtsbücher eingegangen sind, bemächtigen sich ganzer Wagenladungen von Weizen und verkaufen ihn weit unter dem Marktpreis an die hungernde Bevölkerung. Auch sie werden schließlich ergriffen und gehängt, aber unter großer Anteilnahme feierlich auf dem kleinen Kirchhof von Heptonstall zu Grabe getragen.


Am Pranger wie hier in Heptonstall waren die Verurteilten den
Misshandlungen der Bevölkerung hilflos ausgeliefert.


Direkt neben dem Kirchhof ist in der kleinen ehemaligen Volksschule ein Heimatmuseum eingerichtet, in dem die Spuren der Münzfälscher zu sehen sind. Beschnittene Goldstücke sind dort ausgestellt, Fälscherwerkzeug, Prägestempel und Gerichtsakten. Wie ging die Geschichte denn nun aus? - Mit der Öffnung der Täler durch Kanäle und Eisenbahn, durch den verbesserten Transport und die industrielle Entwicklung kam ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung auch in diesen Landstrich und das Fälschergewerbe starb allmählich aus. „Die Industrielle Revolution begann und da gab es viele Gelegenheiten für ehrlichere Gewerbe in dieser Gegend“, verkündet der Museumsleiter sein Happy-End der Geschichte und unterschlägt die neuen und ungeahnten Abgründe an Elend und Verarmung, die sich im Fabrikzeitalter auftaten. War David Hartley nun ein sozialrevolutionärer Volksheld oder lediglich ein gemeiner Verbrecher, fragen wir uns und stehen hier draußen sinnierend vor seinem Grab. Aber wir finden keine Antwort darauf und gehen schließlich in den Pub hinüber, denn es hat wieder angefangen zu regnen.