Funkzellenauswertung
Rechtliche und taktische Aspekte der telekommunikativen Spurensuche
Dr. Axel Henrichs
Polizeidirektor
Landespolizeischule
Rheinland-Pfalz
Fachhochschule für
öffentliche Verwaltung
- Fachbereich Polizei
Mit dem technischen Fortschritt ändern sich nicht nur Tatgelegenheitsstrukturen und Täterverhaltensweisen, sondern auch polizeiliche Ermittlungsmethoden. Dies gilt insbesondere für das Gebiet der Telekommunikation. Ähnlich den überaus erfolgreichen Datennutzungen auf der Grundlage von Erkennungsdienstlichen Maßnahmen oder DNA-Analysen, können mit der Erhebung und Auswertung von telekommunikativen Spuren entscheidende Beweiserkenntnisse erlangt werden, um die Wahrheitsermittlung zu fördern. Dass die Funkzellenauswertung rechtswissen-schaftlich noch ein relativ stilles Dasein fristet, verwundert.1 Ist doch das Themenfeld der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen ein Gebiet, das in den letzten Jahren und wohl auch künftig von einer sehr hohen technischen sowie rechtlichen Dynamik geprägt war bzw. ist. Dieser Beitrag soll wesentliche Grundzüge der Funkzellenauswertung darstellen.
Begriffe
Jörg Wilhelm
Kriminaloberrat
Landespolizeischule
Rheinland-Pfalz
Fachhochschule für
öffentliche Verwaltung
- Fachbereich Polizei
Telekommunikation i.S. des § 3 Nr. 22 TKG ist der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangen von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen. Dieser technische Begriff ist weiter als der verfassungsrechtliche Begriff der Telekommunikation nach Art. 10 Abs. 1 GG. Denn danach ist die private Fernkommunikation geschützt und soll dem Austausch unter Anwesenden gleichgestellt werden. Der Schutbereich des Fernmeldegeheimnisses umfasst sowohl den Inhalt der Telekommunikation als auch die näheren Umstände des Fernmeldevorgangs, allerdings nur, soweit diese überhaupt auf Kommunikationsinhalte beziehbar sind. Anders das Aussenden von Daten im Stand-by-Modus: Es erfolgt unabhängig von einem konkreten Kommunikationsvorgang oder dem Aufbau einer Kommunikationsverbindung, die einen personalen Bezug hat; der Datenaustausch ist ausschließlich zur Sicherung der Betriebsbereitschaft nötig, trägt aber keine individuellen und kommunikativen Züge. Die Daten fallen nicht anlässlich eines Kommunikationsvorgangs an, sondern im Bereitschaftszustand eines Mobiltelefons, der erst technische Voraussetzung eines Kommunikationsvorgangs ist.4
Ziel der Funkzellenauswertung ist die Analyse der telekommunikativen Visitenkarte des Beschuldigten, die er am Tatort hinterlassen hat.
Funkzellenauswertung setzt einen hohen technischen Aufwand voraus (Foto: Hofem)
Geeignete Fallkonstellationen - Taktische Relevanz
Geeignete Fallkonstellationen
Die Maßnahme eignet sich sowohl zur Aufklärung von Serientaten (z.B. Sexualdelikte)5 als auch zur Ermittlung von Einzeldelikten. Dabei steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Aufklärung von mit ähnlichem Modus Operandi ablaufenden Taten an unterschiedlichen Orten mit zunehmender Anzahl signifikant an. Denn hierbei werden die Datenbestände, die aus den jeweiligen Funkzellenabfragen stammen, in einem „cross-over-Verfahren„ miteinander abgeglichen. Tauchen Kennungen wiederholt auf, so deutet das darauf hin, dass die dahinter stehenden Personen als Tatverdächtige in Betracht kommen können. Die vor Ort stattgefundene Kommunikation kann sich hierbei als Kontakt des Beschuldigten mit anderen Verdächtigen oder als Kontakt zum Opfer darstellen. Hierfür stehen allgemein bekannte Fälle hinreichend Pate, wie z.B. die Absprache des Täters vor Ort mit räumlich abgesetzten Hintermännern bei Einbrüchen oder der so genannte „Enkeltrick„. Die geografische Lage der jeweiligen Tatörtlichkeit spielt hierbei eine nicht unbedeutende Rolle: Liegen die Tatorte zu nahe beieinander, kann es zu zahlreichen Doppel- oder so genannten „Anwohnertreffern„ kommen, weil eine Mehrzahl von Telekommunikationsteilnehmern sich in benachbarten Funkzellen aufhalten und eine täterbezogene Identifizierung dadurch erschwert wird. Liegen die Tatorte zu weit auseinander, besteht die Gefahr, dass unterschiedliche Behörden bzw. Dienststellen die Ermittlungen führen und von den jeweils andernorts geführten Ermittlungen keine Kenntnis besitzen. Hierdurch bleibt die Chance ungenutzt, vorliegende Erkenntnisse wechselseitig verwerten zu können.
Abbildung 1: Funkzellenangaben des Providers
Abbildung 2: Tatsächliche Ausprägung nach Vermessung
Ist hingegen lediglich ein aufzuklärender Einzelfall gegeben, so müssen mangels vergleichbaren Datenbestands die angelieferten Daten bereinigt werden, um anschließend u.a. „zu Fuß„ weitere Selektionsmuster anzuwenden. Hier gingen entsprechend für Aufsehen sorgende Fälle durch die Medien, wie die Straftaten zum Nachteil der Opfer Mannichl7 oder Mooshammer8 bzw. der Holzklotz-Wurf auf die Autobahn mit tödlichem Ausgang9 belegen. In all diesen Fällen wurde in den Medien über durchgeführte Funkzellenabfragen berichtet. Diesen beiden Fallgruppen ist gemein, dass zu Beginn der Ermittlungen keinerlei Anhaltspunkte im Hinblick auf die Identität der Beschuldigten vorlagen. Eine dritte Gruppe von Fällen eignet sich dann zur Funkzellenabfrage, wenn z.B. anhand der Daten eines bei einem Festgenommenen aufgefundenen Mobiltelefons ermittelt werden soll, ob dieser für weitere Taten in Betracht kommt.10 Zur relevanten Tatzeit bzw. Tatort muss sodann der Datenbestand angefordert bzw. vorhandene Dateien ausgewertet werden.
Hypothetisches Kommunikationsmuster
Je nach Modus Operandi der Tatbegehung bzw. Tatverdächtigendisposition sollte die tatsachenorientierte Hypothese bestimmter Telekommunikationsmuster taktische Grundlage für die Beantragung der Funkzellenabfrage darstellen. Es unterscheiden sich die an der Tat orientierten Gesetzmäßigkeiten, die einer Begründung bzw. kriminalistischen Annahme zugänglich sind (deliktsspezifische Kommunikationsmuster), von den an der Individualität des Täters festzumachenden telekommunikativen Präferenzen (personenspezifische Kommunikationsmuster). Diese sich mitunter ergänzenden taktischen Vorüberlegungen, sind der gedankliche Ausgangspunkt zur Erlangung der funkzellenspezifischen Verkehrsdaten. Ein „Schuss ins Blaue„ verbietet sich sowohl aus rechtlichen, z.B. fehlende Vergleichbarkeit des Modus Operandi, als auch aus taktischen Gründen, z.B. wegen des hohen Personalaufwands. Damit wird auch die spätere Auswertung der Datenbestände maßgeblich beeinflusst, da hierdurch klar wird, wonach der Ermittler sucht. So wird bei einem aufwändig vorbereiteten Einbruchsdiebstahl und dem zwingenden Zusammenwirken mehrerer Tatbeteiligter nach Kommunikationsspuren gesucht, die sowohl innerhalb der relevanten Funkzelle (z.B. bei telefonischer Absprache in Tatortnähe) als auch darüber hinaus (z.B. Kontaktaufnahme mit dem Auftraggeber) erkennbar sind. Im Einzelfall ist somit eine Analyse dahingehend geboten, ob im angenommenen Zeit- und Raumfenster der Tatbegehung bzw. in der entsprechenden Vor- und Nachtatphase Telekommunikation überhaupt erforderlich (z.B. bei einer Affekttat, bei Alleintäterschaft oder gemeinschaftlichem Zusammenwirken) oder möglich war (z.B. Blitzeinbruch). Darüber hinaus sind andere Erkenntnisse, z.B. Wahrnehmungen von Zeugen über das (Telefonier-)Verhalten der Verdächtigen oder Videoaufzeichnungen,11 für die Bewertung von entscheidender Bedeutung, ob zum tatrelevanten Zeitpunkt Telekommunikation stattgefunden haben kann. Derartige Tatsachen sind wohl eher selten bzw. werden den Ermittlungsbehörden nicht zwingend bekannt. Andererseits kann sich aber auch in einem Zusammenwirken mehrerer Täter eine hohe Wahrscheinlichkeit für erforderliche Absprachen per Telekommunikation ergeben.Eingrenzung von Tatzeit und Tatörtlichkeit - ZellvermessungDamit nicht im späteren Abgleich der Daten eine nicht erforderliche, weil zu große Datenmenge bearbeitet werden muss und der Kreis der von der Maßnahme betroffenen unbeteiligten Dritten so klein wie möglich ausfällt, sind die zu beauskunftenden Verkehrsdaten auf ein Minimum zu beschränken, d.h. nach Ort und Zeit so genau wie möglich einzugrenzen.12 Bei der Tatörtlichkeit sollte beachtet werden, dass funkzellenbezogene Providerinformationen, die von einer theoretisch fast radialen Ausbreitung der Netzabdeckung (z.B. 120 Grad) ausgehen, nahezu nie mit der tatsächlichen Ausbreitung der Zelle übereinstimmen. Die Funkzellengröße ist von verschiedenen, meist topografischen Gegebenheiten oder der Bebauung des Gebiets abhängig. Daher ist eine Vermessung der tatrelevanten Funkzellen dringend anzuraten.
Sind die in Frage kommenden Funkzellen vermessen worden, können so nicht nur „adressenbasierte„, sondern mit der Angabe des jeweiligen Local Area Codes (LAC) und der Identifikationsnummer der Funkzelle (Cell-ID) „technikbasierte„ Beschlüsse zur Funkzellenabfrage erwirkt werden, was eine hohe Präzision der Auswertung gewährleistet und zugleich Kosten reduziert.
Diese Angaben sowie im richterlichen Beschluss enthaltene Vorgaben, auf welche Art (in welchem Programmformat, z.B. Excel) bzw. mit welchem Medium (z.B. CD-Rom) die Daten angeliefert werden sollen, erleichtern die nachfolgende Auswertung ungemein.
Abbildung 3: Angabe der Funkzelle mit LAC und Cell-ID nach Vermessung
Rechtliche Problemfelder
Grundstruktur des 100g StPO und die Besonderheit der Funkzellenabfrage
Als Rechtsnachfolger der seit 31.12.2001 aufgehobenen Regelung des § 12 FAG erlaubt § 100g StPO heute den Zugang der Strafverfolgungsbehörden auf insbesondere retrograde Verkehrsdaten13 des Beschuldigten. Diese auf die Telekommunikation bezogenen Informationen sind verfassungsrechtlich von Art.10 Abs. 1 GG geschützt, da sie die näheren Umstände der Fernkommunikation betreffen, also wer wann, mit wem, wie lange, von wo aus und über welches Medium telekommuniziert hat bzw. dies erfolglos versuchte.14 Grundsätzlich müssen zur allgemeinen Verkehrsdatenauskunft gem. § 100g StPO, für die § 100b Abs. 1 bis 4
S. 1 StPO analog gilt, in der Entscheidungsformel der richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen (Eil-)Anordnung - soweit möglich - die Namen und die Anschrift des Betroffenen enthalten sowie u.a. die Rufnummer oder eine andere Kennung des zu überwachenden Anschlusses oder des Endgeräts bezeichnet sein (§ 100b Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2 StPO). Liegen insbesondere diese tatbestandlichen Voraussetzungen vor, werden als Rechtsfolge durch die TK-Dienstleister vorhandene Verkehrsdaten gesichert und müssen an die Strafverfolgungsbehörden bzw. das Gericht übermittelt werden (§ 100b Abs. 3 S. 1 StPO). Anders als noch die bis zum 31.12.2007 geltende Vorgängerregelung aus §§ 100g bzw. 100h StPO ist der zu übermittelnde Datenbestand nicht mehr auf eine tatsächliche Verbindung (daher auch die frühere Bezeichnung als Verbindungsdatenauskunft) beschränkt, sondern verpflichtet heute die TK-Dienstleister, alle in seinem Gewahrsam befindlichen Verkehrsdaten, die in §§ 96 Abs. 115 und 113a16 TKG benannt sind, preis zu geben. Damit sind nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich auch Standortdaten im Stand-by-Betrieb umfasst.17 Im Text des § 100g Abs. 2 S. 2 StPO erscheint die Maßnahme der Funkzellenabfrage nicht, sie wird lediglich umschrieben mit den auf den ersten Blick wenig sagenden Worten: „Abweichend von § 100b Abs. 2, S. 2 Nr. 2 genügt im Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.„ Sie stellt also eine Besonderheit der Verkehrsdatenauskunft dar, die selbst dann durchgeführt werden kann, wenn vom Beschuldigten weder Namen noch die Kennung seines TK-Geräts (IMEI) bzw. seiner Rufnummer (IMSI) bekannt sind. Dazu ist dann lediglich eine auf die genaue Tatörtlichkeit und Tatzeit bezogene Auskunft über alle vorhandenen Verkehrsdaten möglich. Die Funkzellenauswertung ähnelt insoweit der Rasterfahndung gemäß § 98a/b StPO, da dort auch Datenbestände beauskunftet werden müssen, auf die gewisse Rasterkriterien zutreffen.
Realitätsmodus - Tatsächlich erfolgte Telekommunikation
Bei der Prüfung von Sachverhalten im Hinblick auf ihre Eignung zur Funkzellenabfrage und -auswertung stellt sich die Frage, ob als Tatbestandsvoraussetzung „tatsächlich erfolgte Telekommunikation„ anzunehmen ist. Um es im Wortlaut des Gesetzgebers in dem hier nicht einschlägigen
§ 100a Abs. 1 S. 2 StPO zu sagen: Die Maßnahme ist nur zulässig, „...wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass...„ eine Mobilfunkendeinrichtung in Zusammenhang mit der Tatausführung benutzt worden ist. Diese Frage ist von hoher praktischer Relevanz, da im Falle der nicht vorhandenen Bezugstatsachen, auch wenn es sich um schwerste Delikte wie Mord oder Totschlag handelt, die Maßnahme von vornherein ausscheiden würde. Was spricht nun für bzw. gegen das Erfordernis der „tatsachengestützten Annahme„? Der Wortlaut der Norm deutet vage auf einen Bezug zur Telekommunikation hin, wenn es dort heißt „...Bezeichnung der Telekommunikation.„ Daraus könnte bei enger Auslegung geschlossen werden, dass faktisch Telekommunikation stattgefunden haben müsste. Dieser Wortlaut wurde nahezu unverändert übernommen aus der Vorgängerregelung des § 100h Abs. 1 S. 2 StPO18 – diese erlaubte allerdings ausdrücklich nur die Übermittlung von Verbindungsdaten („im Falle einer Verbindung„). In der Vorgängerregelung war auch der spezifische Zusatz enthalten „...Telekommunikation, über die Auskunft erteilt werden soll.„ Dieser letzte Halbsatz ist in der heute gelten Fassung weggefallen, was wiederum gegen einen solchen faktischen Telekommunikationsbezug spricht. Gegen diese tatsachengestützte Annahme spricht zudem, dass im Gesetzestext ausdrücklich eine dies klarstellende Formulierung fehlt, wie sie z.B. in § 100a Abs. 1 S. 2 StPO vorhanden ist. Dort benennt der Gesetzgeber eindeutig, wie übrigens auch in ähnlicher Formulierung bei anderen Ermächtigungsgrundlagen,19 dass „aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen„ sein muss, dass dieses Faktum vorliegt, z.B. der Beschuldigte den Anschluss Dritter benutzt. Zudem hat der Gesetzgeber es unterlassen, mit einem Verweis auf die entsprechende Norm des § 100a Abs. 1 S. 2 StPO insoweit für Klarheit zu sorgen; lediglich auf die Vorschriften des § 100b Abs. 1 bis 4 S. 1 StPO wird verwiesen. Aus den Gesetzesmaterialien20 ergibt sich ebenfalls nicht eindeutig, ob insofern eine Tatsachengrundlage für erforderlich gehalten wird, so dass diese Unklarheit Interpretationsspielraum für den Rechtsanwender lässt. In der Gesetzesbegründung heißt es in der entscheidenden Passage:21 „Das Auskunftsverlangen über TK-Verbindungsdaten hat sich insbesondere im Rahmen der so genannten Funkzellenabfrage als wichtige Ermittlungsmaßnahme zur Identifizierung noch unbekannter Täter schwerer Straftaten erwiesen. Dieses Instrument soll den Strafverfolgungsbehörden in Zukunft weiter zur Verfügung stehen. Andererseits bedarf es im Interesse der wirksamen Begrenzung des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis in der Auskunftsanordnung einer genauen Bezeichnung des von der Maßnahme Betroffenen sowie derjenigen Telekommunikation, über die Auskunft erteilt werden soll22.„ Diese Aussage deutet stark auf eine möglichst präzise Bezeichnung der betreffenden Telekommunikation hin. Allerdings bezieht sich diese Passage ausweislich des weiteren Textes auf die „normale„ Verkehrsdatenauskunft gem. § 100g Abs. 1 StPO.
Fortsetzung folgt
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