Märtyrer-Konvertiten made in Germany
Anmerkungen zur Internationalisierung militanter Djihadisten aus Deutschland
„Kommt zum Djihad, denn das ist der Weg zum Paradies. Wenn ihr nicht kommen könnt, dann helft uns mit eurem Vermögen.„ Ein Aufruf zum „heiligen Krieg„ (Djihad), wie es ihn zuvor schon oft gegeben hat. Doch diesmal war die Ende April im Internet verbreitete Videobotschaft anders. Sie kam von einem jungen Djihadisten namens Abdul Gaffer el Almani, so der Kampfname eines 20-jährigen Deutschen, der im Film seine Bereitschaft erklärte, sich für seinen neuen Glauben in die Luft zu sprengen. Eric Breininger, so sein deutscher Name, stammt aus Neunkirchen im Saarland. Erst Anfang 2007 trat er zum Islam über. Keine 18 Monate später soll er sich im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan aufhalten, enge Kontakte zur dortigen turkestanischen Terrororganisation Islamic Jihad Union (IJU) und deren Zelle in Deutschland („Sauerland-Gruppe„) unterhalten und last not least hochmotiviert für Märtyrer-Einsätze – Selbstmordanschläge gegen Deutsche am Hindukusch – sein. Der von Staatsschützern für hochgefährlich gehaltene und mit Fahndungsplakaten („The shown person below is strongly suspected in connection with the planning of bomb attacks„) auch in Afghanistan gesuchte „Märtyrer-Konvertit„ stellt nach heutigem Kenntnisstand den für Deutschland (und Deutsche im Ausland) wohl bedrohlichsten Typ unter den Djihadterroristen dar. In Deutschland trat dieser Typ erstmals Mitte der 1990er Jahre auf.
Bernd Georg Thamm, Publizist und Djihadexperte, Berlin
Ein Konvertit aus Detmold – bereit für den Märtyrereinsatz in Nahost
Stefan Josef (Steven) Smyrek, geboren 1971 im westfälischen Detmold, wuchs auf Betreiben seines britischen Vaters in einem Militärinternat in England auf und ging mit 17 Jahren zurück nach Deutschland. Dort diente er vier Jahre in der Bundeswehr, fiel den Strafverfolgungsbehörden aber auch wegen kleinkrimineller Delikte (Drogen, Raub) auf. Zunehmend vom Islam fasziniert, unterhielt er enge Kontakte zu Muslimen und konvertierte mit 23 Jahren zum Islam. Das Jahr seiner Konversion – 1994 – war für „Männer des rechten Glaubens„ ein bewegtes Jahr. In Südosteuropa kämpften Muslime schon seit 1992 in Bosnien-Herzegowina gegen „ungläubige„ Serben. Im Nordkaukasus hatten Tschetschenen den Kampf gegen ungläubige Russen aufgenommen. Auf der arabischen Halbinsel brach im Jemen ein Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd aus; und am Hindukusch entstand im bürgerkriegsgeschüttelten Afghanistan als Reaktion auf Anarchie und Unsittlichkeit die Sammelbewegung der Taliban. Nicht zuletzt vor diesen Hintergründen ereiferte sich Smyrek, der sich nun Abd al-Karim nannte, für den Djihad und wollte in Bosnien bedrängten Glaubensbrüdern helfen. Derart motivierte Konvertiten waren seinerzeit nahezu ideale Ansprechpartner für Anwerber der schiitischen Partei Gottes (Hisbollah). Israels Dienste gingen damals davon aus, dass die Hisbollah 1995 eine geheime Terrorzelle namens „Europäische Einheit„ mit dem Ziel gebildet hatte, Anschläge in Israel ausführen zu lassen; und zwar von Personen, die möglichst westlich und somit unverdächtig auftreten konnten. Hisbollah-Werber im Großraum Braunschweig wurden in der dortigen Muslimszene so auch auf Smyrek alias Abdel Karim aufmerksam, nahmen vermutlich 1996 Kontakt zu ihm auf und schleusten ihn im darauf folgenden Jahr in den Südlibanon. In einem Camp in der Bekaa-Ebene wurde der Konvertit vom 24. August bis 9. November 1997 im Umgang mit Waffen und Sprengstoff ausgebildet. Nach Abschluss der Unterweisung ließ er sich – bereit für den Märtyrereinsatz – filmen: „Ich bitte die Christen, dem Islam zu dienen und den islamischen Weg mit Blut zu schützen.„ Zurück in Deutschland bereitete er sich – als Terroristensympathisant von Staats- und Verfassungsschützern beobachtet – auf seinen Einsatz im Nahen Osten vor. Nach Israel reiste er vom Amsterdamer Flughafen Schiphol mit Alitalia via Rom ein, wo er am 28. November 1997 auf dem Tel Aviver Flughafen Ben Gurion von Beamten des Inlandsdienstes Shin Bet in Gewahrsam genommen wurde. Die spätere Anklage warf ihm Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, staatsfeindliche Verschwörung sowie sicherheitsgefährdende Weitergabe von Informationen vor. Am 3. Januar 1999 begann die Hauptverhandlung „der Staat Israel gegen Steven Smyrek„. Im Sommer jenen Jahres wurde er zu zehn Jahren Haft wegen Unterstützung der Hisbollah verurteilt. Vier Jahre später wurde er im Rahmen einer anderen Aktion (Gefangenenaustausch Israels und der Hisbollah mit Hilfe deutscher Vermittler) Ende Januar 2003 nach Deutschland mit der Maßgabe überstellt, auf ihn – den mutmaßlichen Shahid (islamischer Märtyrer) – „aufzupassen„. Ein Jahr später trat er Mitte Januar 2004 in einer ARD-Dokumentation auf, in der er sich zu seiner terroristischen Mission bekannte und beteuerte, er sei nach wie vor bereit, für Allah zu sterben: „Wir sind so gefestigt in unserer Religion, dass wir ohne Gefühle unser Leben geben„.
Der Griff ethnischer Minoritäten zur gewaltsamen Selbst-
hilfe
„Kämpft ein Volk mit dem Ziel vermehrter Autonomie oder mit dem der Gründung eines eigenen Staates unter Berufung auf historisch gewachsene Besonderheiten„, so sprechen Forscher wie der Soziologe Peter Waldmann (1998) von „ethnisch-nationalistischem Terrorismus„. Zur politischen Kultur der ethno-nationalen Terroristen gehört auch die „Tradition der Konfliktivität und der gewaltsamen Selbsthilfe„.
Deutsche Legionäre im Dienste der kurdischen PKK
Vor dreißig Jahren wurde in der Türkei von Abdullah Öcalan und anderen Kurden die marxistisch-leninistische Arbeiterpartei (Partiya Karkaren Kurdistan), kurz PKK mit dem Ziel gegründet, „die nationale Befreiung durch den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Kolonialstaat und seine Kollaborateure zu erreichen„ (Parteiprogramm). Die Vorbereitungen auf einen Guerillakrieg fanden im Libanon statt. Im Jahr 1982 beschloss die PKK die Rückkehr nach Kurdistan und die Aufnahme des bewaffneten Kampfes, der 1984 begonnen wurde. Zur Asymmetrie ihres Befreiungskampfes gehörte ab Mitte der 1990er Jahre auch der Einsatz von Selbstmordattentaten, vornehmlich von weiblichen PKK-Aktivisten verübt. Eine zu jener Zeit einzigartige Propagandamaschinerie warb in Europa, insbesondere in Deutschland für Unterstützung jedweder Art. In den großstädtischen Ballungszentren ließen sich vornehmlich Radikale für den „Traum vom Befreiungskampf„ begeistern. Nach einem Bericht der türkischen „Hürriyet„ Anfang Mai 1998, der sich auf Aussagen des früheren PKK-Kommandeurs Semdin Sakik stützte, soll die PKK „erhebliche finanzielle und logistische Unterstützung aus Deutschland erhalten haben„; auch sollen PKK-Kämpfer von Bundesbürgern ausgebildet worden sein. Zu den Deutschen, die seinerzeit an Seiten der Rebellen für einen Kurdenstaat kämpften, zählte der 27-jährige Jörg Ulrich aus Braunschweig (wurde bei Kampfhandlungen im Nordirak verletzt) und die 34-jährige Eva Juhnke aus Hamburg (trat 1993 der PKK bei, wurde im Oktober 1997 von türkischen Streitkräften im Kurdengebiet festgenommen, später in Van zu 15 Jahren Haft verurteilt). Im Oktober 1998 wurde eine unter dem Guerilla-Decknamen Ronahi kämpfende Deutsche in der ostanatolischen Provinz Van getötet. Ob sie bei einem Gefecht umkam oder nach Festnahme von Spezialeinheiten hingerichtet wurde, konnte nicht geklärt werden. Bei der Toten soll es sich um die RAF-Sympathisantin Andrea Wolf gehandelt haben. Diese soll 1993 an einem Sprengstoffanschlag auf das Gefängnis im hessischen Weiterstadt beteiligt gewesen sein, so der Schuldanwurf der Generalbundesanwaltschaft, die die mutmaßliche Terroristin seit 1996 mit Haftbefehl suchte. In jenem Jahr soll sich Andrea Wolf der PKK angeschlossen haben. Die ersten deutschen Freiwilligen meldeten sich Anfang der 1990er Jahre bei der PKK-Guerilla im Norden des Irak. Im dortigen Hauptlager bezogen sie mit anderen Freiwilligen aus Europa ein separates Camp. „Ich habe hier eine ganze Einheit„, so seinerzeit PKK-Führer Öcalan. Deutsche und andere europäische Linksextremisten sollen sich damals nicht nur dem bewaffneten Kampf der Kurden angeschlossen haben. Sie kämpften wahrscheinlich auch in Nicaragua und El Salvador.
Deutsche Kämpfer für den Nordkaukasus
1999 begann der bis heute andauernde zweite Waffengang muslimischer Nordkaukasier gegen die Zentralregierung der Russischen Föderation. Ihren neuen Djihad stellten sie auch ins Netz – www.qoqaz. Qoqaz, arabisch für Kaukasus, wurde Teil eines globalen Propaganda-Netzwerkes für den „Jihad in Chechnya„. Um das Informationsdefizit in Deutschland über den Krieg im Kaukasus zu beheben, fing ein muslimischer deutscher Student der Wirtschaftsinformatik in Münster im Februar 2000 an, eine der Websites der Tschetschenen zu verwalten. Qoqaz.de wendete sich mit einem Aufruf an Strenggläubige: „Oh, Muslime! Dies ist ein Aufruf an alle von Euch! Oh Muslime auf der ganzen Welt, im Osten und Westen, bekämpft den Feind mit Eurem Flehen zu Allah, Dem Allerhöchsten, damit ER Euren in Chechnya unterdrückten Brüdern den Sieg schenkt.„ Qoqaz.de forderte Solidarität von der islamischen Weltgemeinschaft, brachte den fernen, grausamen Djihad ganz nah in die friedlichen zivilen Welten Europas und warb in selbigen für den Djihad: „…ist die militärische Ausbildung im Islam eine Verpflichtung eines jeden zurechnungsfähigen, männlichen und gereiften Muslims, ob reich oder arm, ob Studierender oder Arbeiter, ob in einem muslimischen Land oder in einem nicht muslimischen Land lebend„. Zu den sich angesprochen fühlenden „Studierenden in einem nicht muslimischen Land„ gehörten auch vier arabische Studenten im Hamburg. Im Djihad in Tschetschenien wollten sie kämpfen, wurden dann aber in den paramilitärischen Camps der al-Qaida in Afghanistan für ein anderes Ziel interessiert und schrieben in der Folge als 9/11-Attentäter „Terrorismusgeschichte„. Andere Muslime aus Deutschland fanden über die Türkei und das Pankisi-Tal in Nordgeorgien die Region, in der sie an Seiten tschetschenischer Djihadisten kämpften und starben. So ließen am 8. Oktober 2002 zwei deutsche Staatsbürger bei Gefechten mit russischen Militärs ihr Leben. Den Tod fanden der in der Türkei geborene und in Neu-Ulm lebende 37-jährige Mevlüt Polat und der in Tunesien geborene und in Schorndorf/Schwaben lebende 40-jährige Tarek Boughdirs. Ein Jahr später meldete Ende November 2003 ein Sprecher des Einsatzstabes der russischen Armee, dass bei einem Gefecht mit Tschetschenen bei der Ortschaft Serschen-Jurt, etwa 30 Kilometer südöstlich von Grosny gelegen, drei türkische Söldner und ein 25-jähriger Deutscher getötet wurden. Bei dem deutschen Kämpfer handelte es sich um Thomas Fischer; 1978 in Blaubeuren bei Ulm geboren, konvertierte der Katholik mit 20 Jahren zum Islam, nannte sich nun Hamza. Er zählte zu den Mitbegründern des Islamischen Informationszentrums Ulm (1999); reiste 2000 in den Sudan, um an der African Islamic University den Koran zu studieren. Er pilgerte 2001 nach Mekka; von Saudi-Arabien reiste er in die Türkei, von dort später in den Kaukasus. In den Kaukasus war auch ein anderer Konvertit mit dem Ziel gereist, tschetschenischen Mudjaheddin logistischen Beistand zu leisten. Dem Mann wurden engste Kontakte zur al-Qaida-Führung in Afghanistan nachgesagt.
Abu Ibrahim „der Deutsche„ – ein Konvertit berät die al-Qaida
Auf der zu Tunesien gehörenden Mittelmeerinsel Djerba fuhr am 11. April 2002 der 24-jährige Nizar Ben Mohammed Nawar – Kampfname Saif (das Schwert) Al-Din Al-Tounsi – einen mit Flüssiggasbomben beladenen Kleinlastwagen in die Umfassungsmauer der Al-Ghriba-Synagoge. Die Gasexplosion tötete 21 Besucher des jüdischen Gotteshauses, darunter 14 deutsche und zwei französische Urlauber. Zum Anschlag bekannten sich die 1998 von Osama Bin Laden und anderen Djihad-Führern in Afghanistan gegründete „Internationale Islamische Front für den Djihad gegen Juden und Kreuzritter„ sowie deren Ableger „Armee zur Befreiung der heiligen Stätten des Islam„. Nach dem Anschlag nahmen die betroffenen Länder Tunesien, Frankreich und USA Ermittlungen auf. In Deutschland führte eine Spur ins Ruhrgebiet. Unmittelbar vor dem „Märtyrer-Einsatz„ hatte der junge Maghrebiner einen Glaubensbruder in Mülheim angerufen, um dessen „Daawa„ (Einverständnis, Befehl) für das Attentat zu erbitten. Bei diesem Mann handelte es sich um einen 36-jährigen Islamisten. Wie vielen anderen militanten Islamisten schenkten die Strafverfolgungsbehörden nach dem 9/11-Anschlägen auch ihm hohe Aufmerksamkeit, galt er in Deutschland doch als potentieller Gefährder. Nach diversen polizeilichen Befragungen setzte sich der Islamist ein halbes Jahr nach dem Djerba-Anschlag Mitte November 2002 über Amsterdam nach Saudi-Arabien ab. Hier hatte Abu Ibrahim, so der muslimische Name des 1986 zum Islam konvertierten Christian Ganczarski aus Mülheim, schon zehn Jahre zuvor mittels eines Stipendiums seine religiösen Studien in Medina fortgesetzt. Der 1966 in Gleiwitz/Polen geborene Ganczarski war 1976 mit seinen Eltern nach Deutschland übersiedelt. Zehn Jahre später wechselte der 20-jährige Katholik seinen Glauben, engagierte sich in der islamischen Gemeinde des Ruhrgebietes. Jahre später galt der Mitbegründer der Al-Taquar-Moschee in Duis-burg als Extremist. Es hieß, er wäre schon in Bosnien und Tschetschenien gewesen. Zwischen Oktober 1998 und Oktober 2001 hielt er sich fünf Mal im Taliban-Emirat Afghanistan auf. So lebte er 1999 mit Frau und Kindern acht Monate lang in einem Dorf bei Kandahar, in dem sich Veteranen des ersten Tschetschenienkrieges (1994-96) und des Afghanistankrieges (1979-89) sowie al-Qaida-Kader niedergelassen hatten. Seinen vierten Aufenthalt beendete er eine Woche vor den Anschlägen des 9/11 am 5. September 2001. In jener Zeit soll er im „Haus der Logistik„ und im „Haus der Medien„, beide waren ins Stadtzentrum von Kandahar verlegt worden, gearbeitet haben. Drei Wochen nach dem 9/11 war sein fünfter und letzter Aufenthalt in Afghanistan. Anfang April 2003 informierte das saudische Königshaus die Bundesregierung über die Festnahme Ganzcarskis und im darauf folgenden Monat darüber, dass er wieder auf freien Fuß wäre. Nach Deutschland ausgewiesen, wurde Abu Ibrahim „der Deutsche„ beim Zwischenstopp in Frankreich von Fahndern des DST am
3. Juni 2003 auf dem Flughafen Roissy Charles de Gaulle in Paris wegen „Beihilfe zum Mord und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Verbindung mit einer Terroristengruppe„ festgenommen. Danach ergab eine mehr als dreijährige Ermittlung, dass Ganczarski einer der Auftraggeber des Djerba-Attentats gewesen war. Darüber hinaus soll der Konvertit engste Verbindungen zur al-Qaida-Führung gepflegt haben. Als Spezialist für Informatik und Telekommunikation soll er am Hindukusch technische Hilfestellungen geleistet haben. Für den Ermittlungsrichter Jean-Louis Bruguière, erster Vizepräsident des Landgerichts von Paris, war Ganczarski der (im Oktober 2006) „höchstrangige„ al-Qaida-Mann in französischen Gefängnissen. In Deutschland wurde im November 2007 in der ARD-Sendung „Report Mainz„ ein bis dahin unbekanntes Video ausgestrahlt. Auf den im Jahr 2000 entstandenen Aufnahmen war Ganczarski (sein dritter Afghanistan-Aufenthalt über zwei Monate) in der Nähe Osama Bin Ladens, sowie auch der 9/11-Todesflieger Mohammed Atta und dessen Komplize Ramzi Binalshibh zu sehen. Letzterer wurde im September 2002, der Bin Laden-Vertraute Chalid Scheich Mohammed im März 2003 in Pakistan festgenommen. Beiden Männern wird zusammen mit drei anderen („Guantanamo Five„) mutmaßlichen Drahtziehern des 9/11 wegen „Mord in 2973 Fällen„ seit Anfang Juni vor einem Militärtribunal im US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba der Prozess gemacht. Chalid Scheich Mohammed hatte schon vor Jahren auf die engen Beziehungen des Konvertiten Ganczarski zur al-Qaida-Führung hingewiesen. Der Prozess gegen diesen „als ‚zentrale Person’ einer Terrorgruppe mit sieben Mitgliedern, die die Sprengung eines Lastwagens vor einer Synagoge auf Djerba geplant hat„, soll in Frankreich ebenfalls in diesem Jahr vor dem Strafgericht beginnen. Möglicherweise muss in der Folge die Rolle von Konvertiten in der islamistischen Militärorganisation al-Qaida neu bewertet werden. Und es wirft sich eine zentrale Frage auf. Von 1996 bis 2001 sollen in den 50 bis 60 Anlagen der al-Qaida in Afghanistan 20.000 motivierte Islamisten (andere Schätzungen gehen auf bis zu 70.000) sowohl paramilitärisch als auch religiös zu Djihadisten geschult worden sein. Der Konvertitenanteil unter diesen Freiwilligen aus über 40 vornehmlich islamischen, aber auch europäischen Ländern ist bis dato ebenso unbekannt, wie der Konvertitenanteil unter den etwa 12.000 „Fremdenlegionären des Djihad„, die an Seiten afghanischer Taliban-Milizionäre ab Oktober 2001 gegen die Streitkräfte der Operation Enduring Freedom (OEF) kämpften. Militante Konvertiten sollte es später auch an die Fronten des Djihad in der Golfregion ziehen.
Djihad am Golf – Freiwillige aus Deutschland im Irak
Die elektronische Post, die „Ummu (Mutter) Abdullah„ am
9. April 2006 an die „lieben Brüder und Schwestern„ verschickte, schien harmlos und war dennoch reinste Djihad-Prosa: „Ich bekomme jetzt eine großartige Möglichkeit mit meinem Baby, natürlich habe ich ein wenig Angst um mein Kind. Deshalb will ich euch bitten, für mich und mein Baby zu beten, dass Allah, der Gepriesene, uns für das Paradies akzeptieren wird„. Auffällig erinnerte der letzte Teil des Satzes an Formulierungen von Selbstmordattentätern in Palästina in ihren Abschiedsbriefen. Mutter Abdullah war das Pseudonym einer aus Niedersachsen stammenden Konvertitin: Die 39-jährige Sonja B. wuchs bei Hannover auf und wurde evangelisch erzogen. Ihr Vater, ein Araber, verließ die Familie früh. Vor einigen Jahren zog sie nach Berlin-Adlershof, später in den Bezirk Neukölln. Hier lernte sie ihren arabischen Mann Abdulrahman Hussein M. kennen, mit dem sie den gemeinsamen Sohn Abdullah hat. Der strenggläubige Muslim veranlasste sie, zum Islam überzutreten. Über ihren Mann, von dem sie später getrennt lebte, und einen Moscheeverein radikalisierte sich die Konvertitin, soll zeitweilig gar Kontakte zur kurdisch-irakischen Terrorgruppe Ansar al-Islam (Ansar al-Sunna) gehabt haben. Auf einen Hinweis eines US-Dienstes hin wurde die Frau im Mai 2006 an ihrer Ausreise gehindert und ihr zweijähriger Sohn dem Jugendamt übergeben. Bei der Durchsuchung der Wohnung wurde zahlreiches Material über islamistische Extremistenorganisationen gefunden. Die mutmaßliche Selbstmordattentäterin hatte per Internet regelmäßig Kontakte zu Gleichgesinnten aufgenommen. Da ihr (wie auch ihren Glaubensschwestern) durch strenggläubige Islam-Auslegung nahezu jeder Kontakt außerhalb der Familie untersagt war, kommunizierte sie häufig im Internet. Und eben hier gab (und gibt) es ein regelrechtes Netzwerk speziell für Frauen eingerichteter islamistischer Seiten. Nicht wenige davon waren (und sind) geeignet, aus strenggläubigen Muslimen radikale und weitergehend gewaltbereite Islamisten zu machen. Es hieß, dass Ummu Abdullah zusammen mit zwei Frauen aus Süddeutschland, die ebenfalls in die Golfregion wollten, zu einer Gruppe von bis zu 47 Frauen islamischen Glaubens gehört haben soll, die im Internet über eine türkischsprachige Homepage für Anschläge geworben werden sollten. Kommuniziert wurde in einem nur für diese weiblichen Eingeweihten aus Deutschland, Dänemark und Belgien zugänglichen Chatroom – auf Türkisch, Deutsch und Englisch. Das auf Internet-Sicherheit spezialisierte Hamburger Unternehmen PAN AMP AG hatte dies recherchiert und die Daten dem US-Dienst CIA übergeben. Aus den USA kam dann der Warnhinweis in Sachen „Schwestern-Netzwerk„ wieder nach Deutschland. Sonja B. alias Ummu Abdullah bestritt die Absicht, einen Selbstmordanschlag vorbereitet zu haben; und da weder die Ankündigung eines Selbstmordes noch die Ausreise in eine Krisenregion strafbar ist, wurde die Konvertitin auch nicht länger festgehalten. Ihr Fall und der ihrer beiden Glaubensschwestern aus Bayern war schon damals nicht der erste in Westeuropa. So sprengte sich am 9. November 2005 die belgische Konvertitin Muriel Degauque nördlich von Bagdad in der Nähe einer US-Patrouille durch Explosion ihres unter dem Tschador verborgenen Sprengstoffgürtels in die Luft und riss damit mehrere irakische Polizisten mit in den Tod. Die Tat hatte sie im Internet geplant. Ihre Reiseroute über die Türkei beschrieb sie detailliert in Chatrooms, dazu Pläne für Bombenbau und andere terroristische Aktivitäten. Als im Zusammenhang mit diesem Selbstmordanschlag in Belgien landesweit 14 Personen festgenommen wurden, geschah dies unter dem Verdacht, sie würden sich und andere auf den Einsatz im Djihad vorbereiten. „Sie hatten zum Ziel, Freiwillige ins Schlachtfeld zu schicken„, so die Brüsseler Kriminalpolizei. Ein Terrorverdächtiger, der im Monat des Anschlags in Marokko festgenommen worden war, hatte ausgesagt, dass in Belgien eine ganze Gruppe Frauen auf ihren Einsatz als Attentäterinnen warte. Eine von ihnen war wohl Muriel Degauque. Die aus dem südbelgischen Städtchen Monceau-sur- Sambre stammende 38-jährige Konvertitin wurde von ihren Eltern als schwieriges Kind beschrieben, das vieles begonnen und selten etwas zu Ende gebracht hätte. Mehr und mehr hatte sie sich für den Islam interessiert; heiratete einen Türken, trat zu dessen Religion über, ließ sich wieder scheiden. Vor ein paar Jahren lernte sie den Maghrebiner Issam Goris kennen, lernte Arabisch, fuhr mit ihrem neuen Ehemann für mehrere Monate in dessen Heimat. In Belgien zurück zog das Paar nach Brüssel in das marokkanische Viertel am Südbahnhof. In Nordafrika scheint sich Muriel Degauque radikalisiert zu haben. Im August 2005 fuhr sie mit ihrem Mann mit dem Auto über die Türkei in den Irak zu ihrem Märtyrer-Einsatz. Ihr Mann wurde kurz nach dem Attentat von US-Soldaten getötet. Für ihre Reise in den Djihad soll das Islamistenpaar Hilfe von fünf Männern in Anspruch genommen haben, die in Belgien ein Netzwerk zur Anwerbung von Terroristen für den Irak betrieben haben sollen. Schon zu Beginn der im März 2003 begonnenen Operation Iraqi Freedom wurde davon ausgegangen, dass analog zum Djihad in Afghanistan, Bosnien und Tschetschenien Freiwillige an den Golf reisen würden, um an Seiten der Gruppen des irakischen Widerstandes gegen die Truppen des „großen Satan„ USA und dessen „Bündnis der Willigen„ zu kämpfen. Bereits neun Monate nach Beginn der Kampfhandlungen wurde die Anzahl der Kriegsfreiwilligen aus Europa auf rund 100 geschätzt: 35 aus Großbritannien, 20 bis 30 aus Bosnien und 19 bis 30 aus Deutschland, hier vor allem aus Hamburg, Frankfurt/Main und München. Insbesondere in Süddeutschland begann sich ein Netzwerk von Unterstützern zu organisieren. Bereits im Frühjahr 2004 wurde die Schätzzahl der Djihadfreiwilligen aus Deutschland mit 50 deutlich nach oben korrigiert – Tendenz steigend. Im Januar 2008 hieß es, dass BKA und BfV davon ausgingen, dass „bundesweit mehr als 80 Freiwillige aus Deutschland in den Irak gereist wären, von denen etwa die Hälfte aktiv auf Seiten der al-Qaida gekämpft hat„. Nur vier Monate später meldeten Nachrichtenagenturen, dass eine von der US-Armee unterstützte Bürgerwehr in der irakischen Provinz Dijala nach eigenen Angaben eine Liste mit den Namen von 6000 Selbstmordattentätern gefunden hatte, die seit 2003 im Irak Anschläge verübt haben sollen. Die meisten Täter, so hieß es, stammten nicht aus dem Irak, sondern aus anderen arabischen Ländern und Afghanistan. In den Listen sollen sich auch die Personalien von vier Männern aus Niedersachsen, darunter zwei Studenten der TU Braunschweig befunden haben. Unbekannt bis heute ist auch hier im Irak die Anzahl der Konvertiten unter den ausländischen Djihadfreiwilligen. Bekannt hingegen wurde in der Auswertung der beschlagnahmten Dokumente, dass al-Qaida zwischen der Hamrein-Gebirgskette und den Ölfeldern von Baidschi im Nordirak mehrere Ausbildungslager unterhält, in denen im Mai 2008 auch 15 Frauen in Ausbildung waren. Ausbildungslager für ausländische Djihadrekruten, darunter auch Konvertiten, unterhält die islamistische Terrorbewegung auch in den Grenzgebieten zu Afghanistan.
Deutsche Konvertiten im Djihad gegen Deutsche im In- und Ausland
Auf einer islamwissenschaftlichen Tagung in Deutschland 2002 warnte der Israeli Emmanuel Sivan von der Hebrew University (Jerusalem) seine Kollegen in Europa: „Der islamistische Terrorismus ist ein Exilphänomen. Achten Sie darauf, was sich hier (in Europa) tut. Vergessen Sie al-Qaida. Die Gruppe hat 14 ihrer 15 Minuten Ruhm gehabt (….) die nächsten Bin Ladens werden in den Vorstädten Frankreichs, Londons oder Kölns entstehen. Deutschland ist ein Zentrum des islamischen Exils. Hier wurden nicht nur Bin Ladens Selbstmordkommandos rekrutiert, hier warten zahllose ihrer Wiedergänger auf ihren Auftritt. Es sind junge Männer, die mit dem Leben abgeschlossen haben – Dead Men Walking – die fest entschlossen sind, die, die sie für Feinde halten, mit in den Tod zu ziehen„. Ein halbes Jahrzehnt später sollten sich Sivans Worte über selbstmörderische Wiedergänger im eigenen Land bewahrheiten. Eine Woche vor dem sechsten Jahrestag des 9/11 wurden am 4. September 2007 drei Männer als mutmaßliche Terroristen in einem von ihnen angemieteten Ferienhaus in Medebach-Oberschledorn im Hochsauerland an der Grenze von Hessen zu Nordrhein-Westfalen festgenommen. Diese „Sauerland-Gruppe„ hatte zuvor eine islamistische Zelle begründet, deren Mitglieder sich zu Selbstmordanschlägen in Deutschland bereit erklärten. Schon zum Jahreswechsel 2006/2007 wurden wahrscheinlich mögliche Anschlagsziele (US-Standort Hanau) ausgespäht. Von Februar bis August 2007 beschaffte sich die Gruppe für den Bau von drei Autobomben insgesamt 730 Kilo einer 35%igen Wasserstoffperoxidlösung, die in einer Garage im Schwarzwald zwischengelagert wurde. Nach Behördenrechnungen hätte diese Menge für eine möglich herstellbare Sprengkraft von mindestens 11 Zentnern TNT gereicht. Abgehörte Unterhaltungen der „Garagen-Djihadisten„ belegen, dass „möglichst viele Menschen getötet„ werden sollten. Man wollte nicht nur die USA, sondern auch Deutschland wegen seines Engagements in Afghanistan bestrafen. Als die Gruppe im Ferienhaus mit Anschlagsvorbereitungen anfing – chemische Ingredienzien wurden zu einer explosiven Mischung angereichert, militärische Zünder (syrischer Bauart) waren besorgt worden – erfolgte der polizeiliche Zugriff. Neben der Ferienwohnung wurden noch weitere 40 Objekte in mehreren Bundesländern durchsucht. Es wurde vermutet, dass hinter den drei Festgenommenen sich ein größeres, etwa 50 Personen starkes „überwiegend auf deutschen Boden stehendes„ Netzwerk befindet. Die Bundesanwaltschaft ermittelte gegen insgesamt zehn Verdächtige, von denen sich die Mehrheit ins Ausland abgesetzt hatte. Zwei Monate später wurde Anfang November mit dem 22-jährigen Attila Selek in der türkischen Provinzhauptstadt Konya ein vierter Terrorverdächtiger festgenommen. Er soll die Sprengzünder für die Bombenbauer besorgt haben. Schon vor dem Zugriff war gegen die Sauerland-Gruppe über neun Monate ermittelt worden. Der US-Dienst NSA hatte schon im Oktober 2006 im Internet verdächtige E-mails zwischen Deutschland und Pakistan verfolgt und Kollegen in Deutschland eingeschaltet. Gegen die terroristische Zelle, sie gehörte offenbar zur turkestanischen militanten Bewegung Islamic Jihad Union (IJU), wurde im März 2007 ein offizielles Verfahren beim Generalbundesanwalt eröffnet. Die nun aufwendigste Antiterroroperation seit dem „Deutschen Herbst„ vor 30 Jahren, die „Operation Alberich„, richtete sich gegen den Kern der sauerländischen IJU-Zelle, der trotz wahrgenommener Beobachtung – im Vorfeld der Festnahmen konnten die Strafverfolger bereits die zwischengelagerte Flüssigkeit heimlich mit einer nur 3%igen Lösung vertauschen – unbeeindruckt bis zum Zugriff weiterarbeitete.
Bei den drei Festgenommenen handelte es sich um zwei deutsche Konvertiten – Fritz Gelowicz (28) aus Neu-Ulm/Bayern und Daniel Martin Schneider (22) aus Neunkirchen/Saarland, sowie den aus Langen b. Frankfurt/Hessen stammenden Deutsch-Türken Adem Yilmaz (28). Als Führer der Zelle gilt der 1979 in München geborene Fritz G., der mit seinen Eltern und dem älteren Bruder Max 1984 nach Ulm in Baden-Württemberg zog. Nach der Trennung der Eltern – Mutter Ärztin, Vater Ingenieur /Unternehmer – 1994, begann er sich als 15jähriger für den Islam zu interessieren, nahm in der Folge Kontakt zu Islamisten im Multikultihaus in der bayerischen Nachbarstadt Neu-Ulm auf. Mit 18 Jahren konvertierte er (wie sein Bruder) zum Islam, nannte sich nun Abdullah. Nach seiner Konversion fand er Eingang in die radikal-islamistischen Szenen von Ulm und Neu-Ulm. Es gibt offenbar Hinweise darauf, dass er hier zumindest einmal Kontakte zu Mohammed Atta, einem der späteren 9/11-Attentäter hatte. Nach dem Abitur studierte er an der FHS Neu-Ulm Wirtschaftsingenieurwesen, schloss aber nicht ab. Nach einem CIA-Dossier, der Dienst observierte die Islamistenszenen Ulm/Neu-Ulm, war Fritz G. im März 2006 in einem IJU-Camp in Nordpakistan. Nach seiner Rückkehr heiratete er eine streng muslimische Deutsch-Türkin.
Der 1985 in Neunkirchen geborene Daniel S. entstammt ebenfalls einem bürgerlichen Elternhaus, wurde katholisch erzogen. Im Herbst 2003 verließ er in der 12. Klasse das Gymnasium, konvertierte mit 19 Jahren zum Islam. In Ägypten lernte er die arabische Sprache. Zurück in Deutschland leistete er 2004/05 seinen Grundwehrdienst bei den Luftlandepionieren in Saarlouis ab – offenbar schon als radikaler Islamist. Hier erlernte der Konvertit – der sich später ebenfalls Abdullah nennen ließ – den Umgang mit Kampfmitteln. Wie hoch der Anteil der Konvertiten unter den Muslimen der Bundeswehrsoldaten ist, kann nicht einmal geschätzt werden. Die Zahl der Muslime in der Bundeswehr ging nach einer Schätzung des Bundesverteidigungsministeriums im März 2004 „in die Tausende„. Nach seinem Bundeswehrdienst ging Daniel S. 2006 zu Koran-Studien nach Pakistan, hielt sich möglicherweise auch in einem Ausbildungscamp auf. Im Februar 2007 kehrte er nach Deutschland zurück und zog in den Saarbrücker Stadtteil Herrensohr.
Der in der Türkei geborene Adem Y. lebte mit seinen Eltern und drei Geschwistern seit 1993 im südhessischen Langen. Im örtlichen Sportverein trainierte er mehrmals in der Woche Kraftsport, kündigte hier Ende 2003 und war dann nicht mehr gesehen. Er soll sich, wie die beiden deutschen Konvertiten, ebenfalls 2006 in Pakistan aufgehalten haben. Alle drei hatten wahrscheinlich in dortigen Terror-Ausbildungslagern nicht nur den Auftrag bekommen, Anschläge in Deutschland zu verüben. Im Auftrag der IJU, so der Kenntnisstand im Frühjahr 2008, hat die sauerländische Zelle auch eine Art „Reisebüro für den Djihad-Terrorismus„ unterhalten. Allein 20 bis 30 Bekannte der Festgenommenen tauchten mit unbekanntem Ziel ab; einige von ihnen in Pakistan wieder auf.
„Unter al-Qaida haben es die Taliban geschafft, sich zu reorganisieren. Sie haben viel Geld aus dem Verkauf afghanischen Opiums, und es ist ihnen gelungen, neue Allianzen einzugehen mit extremistischen Gruppen in Pakistan, Zentralasien, dem Kaukasus und dem Irak. Al-Qaida sorgt außerdem für ihr Training und ihre Ausbildung„, beschrieb der pakistanische Talibankenner Ahmed Rashid im Frühsommer 2006 die Situation am Hindukusch. Anzeichen für diese Neustrukturierung sahen im Februar 2007 auch US-Nachrichtendienste. Im paschtunischen Stammesgebiet Waziristan waren insbesondere im Norden eine Reihe paramilitärischer Camps eingerichtet worden, die „zwar nicht die Qualität der afghanischen Lager bis 2001 besitzen, doch die Ausbildung von Terroristen ermöglichen würden„. Mindestens ein Lager, so britische Nachrichtendienste, soll der Vorbereitung neuer Angriffe gegen den Westen dienen, in denen insbesondere Muslime aus Europa – darunter viele Briten – Terrorkurse durchlaufen. Zwischen Deutschland und Pakistan sollen im Jahr 2007 etwa 60 Islamisten gependelt sein, so Schätzungen der Sicherheitsbehörden im Februar 2008. Nach Kenntnissen des BND absolvierten die Freiwilligen aus Deutschland ihre Kurse in „einfachen Wohnhäusern„ in der Gegend um Mir Ali in Pakistan. Laut BND gehören zur „umfänglichen Ausbildung„ eine „Schieß- und Sprengstoffschulung„, Dokumentenfälschung und konspirative Kommunikationstechniken. Die von der IJU geworbenen Djihadrekruten operieren vor Ort unter direkter Anleitung von Taliban- und al-Qaida-Instrukteuren, die ihrerseits enge Kontakte zur IJU haben. Die Schleuserroute für die Rekruten führt meist über die Türkei und den Iran. Nicht alle erreichen die Camps der Djihadterroristen, sondern werden bereits an der Grenze zum Iran von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen. So wurden Anfang Juli 2007 die aus dem hessischen Langen stammenden Brüder Bekir und Hüseyin Ö. in Gewahrsam genommen und Monate später in die Türkei abgeschoben. Die Islamisten aus Deutschland sollen von Adem Yilmaz rekrutiert worden sein. Schon Mitte August hatten die Pakistani den aus Neu-Ulm stammenden Deutsch-Türken Tolga D. nach Deutschland abgeschoben, wo er nach seiner Ankunft in München u.a. wegen Kämpferrekrutierung für den Djihad verhaftet wurde. Er war zusammen mit dem aus Neunkirchen/Saarland stammenden Libanesen Hussein al-M. gut zwei Monate zuvor an der pakistanisch-iranischen Grenze aufgegriffen worden. Andere erreichten nach dem Passieren der Grenze die Ausbildungscamps. In einem Lager der IJU soll am 14. Oktober 2007 der aus Langen/Hessen stammende Deutsch-Türke Sadullah K. (28) bei einem Angriff der pakistanischen Luftwaffe umgekommen sein. Unter den Toten sollen sich allein 50 Kämpfer aus dem Ausland befunden haben. Sadullah K., der hier als „Märtyrer„ den Tod fand, soll für die Sauerland-Gruppe Geld aus Deutschland an die IJU geleitet haben. Ein zweiter „Märtyrer aus Deutschland„, ebenfalls Gefolgsmann der Sauerland-Gruppe, kam bis nach Afghanistan. Der in Freising geborene und in Ansbach/Bayern lebende Deutsch-Türke Cüneyt Ciftci sprengte sich am 3. März 2008 vor einem US-Stützpunkt in der Provinz Chost in die Luft und riss zwei Soldaten und zwei Zivilisten mit in den Tod. Die IJU rühmte danach seinen „Heldentod„ in türkischer Sprache im Internet: „Diese Operation wurde von dem aus Deutschland kommenden (… ) mutigen Cüneyt Ciftci, der sein luxuriöses Leben gegen das Paradies getauscht hat, erfolgreich vervollständigt (…). Der mit 4,5 Tonnen Sprengstoff gefüllte Kleinlaster vernichtete die Ketzerarmee. Hierdurch hat er die Herzen der Gläubigen mit Heilung und Freude erfüllt„. Vor dem Selbstmordanschlag hatte Ciftci in einem Video seinen Märtyrer-Einsatz in Afghanistan angekündigt und seine Glaubensbrüder aufgefordert, sich ihm anzuschließen. In die Fußstapfen des „Ismail aus Ansbach„ scheint nun „Abdul Gaffer aus Neunkirchen„ getreten zu sein, ein Konvertit aus dem Saarland. Eric Breininger, Jahrgang 1987, hatte Kontakte zur Sauerland-Gruppe, deren Kern Anfang September 2007 festgenommen wurde. Nur eine Woche zuvor hatte sich der 20jährige Breininger über Ägypten auf den Weg zur IJU nach Pakistan gemacht. Mit dem gleichen Ziel war im zweiten Versuch der Libanese Hussein al-Malla (22) unterwegs, der zuvor im Sommer zusammen mit Tolga D. and der Grenze verhaftet und von Pakistan nach Deutschland abgeschoben worden war. Al-Malla und Breininger, beide Islamisten kannten sich aus Neunkirchen, begegneten sich unterwegs und erreichten die Camps in Waziristan. Bereits im Frühjahr 2008 galt Breininger als hochgefährlich und wurde als mutmaßlicher Attentäter in Afghanistan selbst mit Fahndungsplakaten gesucht. Britische Glaubensbrüder von ihm unterstützten mittlerweile in Südafghanistan Angriffe der Taliban und der al-Qaida auf Koalitionstruppen, so die Einschätzung von Ed Butler, dem Oberkommandierenden der britischen Streitkräfte, Anfang August 2008. Dementsprechend kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Djihadisten aus Deutschland an Seiten ihrer Glaubensbrüder gegen „ungläubige„ deutsche Soldaten, Polizisten und Zivilisten in Afghanistan kämpfen werden. Ein deutscher Konvertit ruft zum Djihad.
Dead men walking in deutschen Städten – eine Frage der Zeit
BKA-Präsident Jörg Ziercke sieht mit Märtyrer-Konvertiten wie Eric Breininger „eine neue Qualität der Bedrohung„ und warnte im Juni 2008: „Wer als Suizidtäter nach Afghanistan oder Pakistan geht, der kann auch zurückkommen und in Deutschland Anschläge begehen. Das ist die Logik des Terrors„. Märtyrer-Konvertiten sind die wohl gefährlichsten Djihadisten unter den militanten Islamisten, deren Zahl nicht einmal annähernd geschätzt werden kann. Die genannten Beispiele dieses bedrohlichsten Typs unter den Djihadterroristen werfen eine Zahl von Fragen auf: Was veranlasst (in der Regel) christlich sozialisierte junge Deutsche zum Religionswechsel? Wer konvertiert zum Islam? Wer radikalisiert sich nach seiner Konversion und welche Gründe führen dazu? Und wer vollzieht nach der Radikalisierung den Schritt hin zum aktiven, zum Märtyrereinsatz bereiten Djihadisten? Antworten auf diese Fragen könnte möglicherweise die Konvertitenforschung der Religionssoziologie geben, die von dem nachstehenden Zahlenmaterial ausgehen kann:
Von den 3,2 Millionen im Jahr 2005 in Deutschland lebenden Muslimen waren 14.352 deutschstämmig (2004: 13.200); Frauen stellten mit 62 Prozent den größeren Teil der deutschen Neu-Muslime. Bis zum Jahr 2004 hatte die Zahl der jährlichen Konversionen konstant bei etwa 300 bis 350 gelegen. Im Jahr 2005, so der Leiter des Zentralinstitutes Islam-Archiv in Soest, „konvertierten erstmals innerhalb eines Jahres mehr als 1000 Deutsche„. Im Jahr 2006 vervierfachte sich die Zahl der Konversionen. Trotz des Anstiegs auf rund 4000 blieb und bleibt die Konversion ein Randproblem. Der Übertritt zum Islam ist nicht – wie im Christentum – mit einer Taufe und einem Kirchenbeitritt verbunden. Gläubige sind nicht verpflichtet, sich in einer muslimischen Gemeinde registrieren zu lassen. Jedoch brauchen Konvertiten aus westlichen Ländern eine Bescheinigung über ihre Zugehörigkeit zum Islam, um ein Visum für die vorgeschriebene Pilgerreise zu erhalten. Das Islam-Archiv in Soest führt das Personenstandsregister, die deutschen Moschee-Gemeinden melden dort ihre Neuzugänge.Auch vor dem Hintergrund des gesellschaftsbedrohenden Djihad-Terrorismus können natürlich nicht alle Konvertiten unter Generalverdacht gestellt werden. Zumal die meisten Konversionen zum Islam ganz unspektakulär sind, bei Frauen zum Beispiel oft durch Heirat muslimischer Männer ausgelöst. Der überwiegende Teil der Konvertiten teilt sich auf das ganze Spektrum des Islam auf - integriert sich in friedliche Gruppierungen oder praktiziert den Islam ausschließlich privat. Doch zum Spektrum der Konvertiten gehören auch „bildungsnahe Kreise mit einem Hang zur Weltverbesserung, gepaart mit Anti-Amerikanismus, Anti-Kapitalismus und Anti-Zionismus„, so die Berliner Extremismusexpertin Claudia Dantschke (Gesellschaft Demokratische Kultur) und fährt fort: „Im linken Milieu wird der Islam als letzte Alternative für einen solzialrevolutionären, weltumspannenden Kampf gesehen„. Ein besonderes Augenmerk muss dementsprechend der Minderheit der spektakulären Konversionen gelten; eben jenen, die einen radikalen Bruch vollziehen. Hier ist für die Terroristenabwehr insbesondere die Frage von Bedeutung, ob es eine „Typologie des radikalen Konvertiten„ gibt. Noch im Jahr 2007 glaubten Konvertitenforscher an eine derartige Typologie eher nicht. Gar für irreführend hielt der französische Soziologe Farhad Khosrokhavar von der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (EHESS) solche Typisierungen: „Wir haben kein Modell dafür, warum die Gefühle von Erniedrigung, Frustration und Hass auf die Gesellschaft plötzlich in eine terroristische Aktion umschlagen. Man kann bei diesen Tätern ihre Motive eigentlich nur im Nachhinein ermitteln„. In Deutschland ging mit Monika Wohlrab-Sahr (Institut für Kulturwissenschaften, Leipzig) ebenfalls eine Kultursoziologin davon aus, dass allein die soziale Herkunft es nicht erlaube, ein typisches islamistisches Profil zu erstellen: „Nicht die Konversion zum Islam als solche führt den Menschen zur Gewaltbereitschaft, sondern eine bestimmte Psychodynamik oder politische Dynamik in ihrem Leben. Das Individuum mit seiner Biografie steht bei solchen Entwicklungen sehr viel stärker im Vordergrund als der neue Lebensrahmen des Islam, in den es hineinkonvertiert„. Nach diesen und ähnlichen Aussagen anderer Sozial- und Religionswissenschaftler kann eben keine generelle Gefahr in dem Sinne abgeleitet werden, dass bei Konversionen zum Islam der Weg in die Gewalt irgendwie nahe liegt. Die Gefahr, so Konvertitenforscher in Europa, geht vielmehr von „radikalisierten politischen Biografien aus, die sich ihr Material suchen, wo sie es finden„. Ist dieses „Material„ der militante Islamismus, dann ist die Richtung zum Djihadisten mit der Einsatzbereitschaft des Märtyrertodes vorgegeben. Dieses Phänomen, so BKA-Präsident Ziercke Mitte August 2008, „ist für die Bundesrepublik eine neue Erscheinungsform des islamistischen Terrors (….) Inzwischen sind mehr als 50 Islamisten aus Deutschland in den Trainingslagern von IJU, Taliban und al-Qaida gedrillt worden. Ein Teil dieser Personen, allerdings nur eine einstellige Zahl, ist inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt (….) Angesichts der Verlautbarungen von al-Qaida und IJU sind wir davon überzeugt, dass man beschlossen hat, Anschläge auch in Deutschland zu begehen (…)„. Dead men walking nennen die Israelis die selbstzerstörerischen Einsätze islamistischer Attentäter – vom gezündeten Sprengstoffgürtel bis hin zur menschenverachtenden Amokfahrt mit einem Caterpillar-Bulldozer. Die Einsatzbereitschaft deutscher Märtyrer-Konvertiten macht deutlich, dass es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis dead man walking auch die Zivilbevölkerung deutscher Städte bedroht.
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