Erziehung auf Salafistisch

Von Dr. Britt Ziolkowski, Stuttgart1

Erst in jüngerer Zeit und in Folge von Erfahrungen aus der Praxis richtete sich der Blick auch auf Kinder und Jugendliche, die bereits in salafistischen Haushalten aufwachsen und die vor diesem Hintergrund eine neue Generation salafistisch Radikalisierter repräsentieren. Der vorliegende Beitrag möchte sich diesem Teilphänomen salafistischer Radikalisierung nähern. Es soll dargestellt werden, in welcher Form und mit welchen Inhalten salafistische Akteure nach Einfluss auf die Erziehung in salafistischen Haushalten streben. Hierzu sollen drei Fallbeispiele genauer beleuchtet werden. Erstens handelt es sich um ein Unterrichtsvideo des Predigers Hassan Dabbagh, zweitens soll ein salafistischer Erziehungsratgeber der Psychologin und Missionarin Aisha Utz analysiert werden und drittens stehen die Lehrvideos des Predigers Pierre Vogel zum Thema im Fokus.

1 Lehrvideo von Hassan Dabbagh

Hassan Dabbagh ist Imam der Al-Rahman-Moschee in Leipzig. Regelmäßig werden Mitschnitte von seinen Vorträgen und Predigten auf YouTube hochgeladen. Darunter finden sich auch Beiträge, in denen er sich mit der Kindererziehung auseinandersetzt. Ausführlich äußert er sich in einem Video mit dem Titel „Unsere Verantwortung in der Kindererziehung“.

Dabei skizziert er zunächst die Bedeutung der Kindererziehung: Nur wenn die Eltern ihre Kinder „gut erziehen“, und zwar „nach der richtigen Methode der Religion, dann werden auch die Kinder inshallah [so Gott will] gute Kinder werden. Und diese Kinder werden später auch ihre Kinder gut erziehen.“ Die Erziehung des Nachwuchses sei eine Herausforderung. Dabbagh konstatiert: Eine „gute“ Erziehung brauche „bestimmte“ Methoden. Dabei bleibt Dabbagh im gesamten Vortrag ziemlich abstrakt: Welche Methoden damit gemeint sind, führt er nicht detailliert aus. Er betont: „Diese Themen [gemeint sind Erziehungsthemen] sind keine Themen für eine Stunde.“ In einem einmaligen Vortrag könne sich also nur oberflächlich mit der Kindererziehung beschäftigt werden. Zu fragen bleibt an dieser Stelle, warum Dabbagh im Fortgang in der Tat sehr abstrakt bleibt. Eine Erklärung könnte sein, dass es ihm auf diese Weise möglich ist, ein sehr breites Publikum anzusprechen.

Ausführlich geht Dabbagh jedoch auf ein Recht der Eltern und die Instanzen der Kindererziehung ein. In Hinblick auf das Recht der Eltern bezieht sich der Prediger auf Sure 31 des Korans, in der sich Luqman, eine vorislamische Gestalt, mahnend an seinen Sohn richtet. Dabbagh argumentiert mit dieser Sure, dass die Eltern das Recht haben, gut von ihren Kindern behandelt zu werden. Das Recht der Eltern ist damit gleichzeitig eine Pflicht der Kinder. Der Prediger ermahnt die Kinder: „Du brauchst sie [die Eltern] am letzten Tag, aber sie dich nicht. Pass auf. […] Du brauchst am letzten Tag, dass sie mit dir zufrieden sind. Du brauchst am letzten Tag, dass dein Vater und deine Mutter dir den Segen geben. Aber sie brauchen das nicht von dir.“ Dabbagh führt ein Hadith (dabei handelt es sich um Überlieferungen zu Aussprüchen und Handlungen Mohammeds) an, wonach eine Person in die Hölle kommt, insofern sie ihre Eltern schlecht behandelt. Die Pflicht der Kinder ist somit mit Drohungen vor einer Bestrafung im Jenseits verbunden.

Dass die Kinder keine „falschen Bahnen“ nehmen, könne von vier Instanzen verhindert werden, den Instanzen, die laut Dabbagh, im Islam als „Institutionen“ der Erziehung gelten: die Gesellschaft, die Schule, die Moschee, die Familie. Jedoch versagen nach seinem Ermessen die ersten drei Instanzen in Deutschland. Ja, er beschreibt ihren Einsatz für die Kindererziehung sogar als kontraproduktiv für eine vermeintlich wahre islamische Erziehung.

In Hinblick auf die Gesellschaft hebt er die muslimischen Gesellschaften hervor, in denen die soziale Kontrolle groß sei: „Dein Nachbar, dein Onkel, deine Tante, Freund der Familie, sind alle beteiligt am Erziehungsprozess.“ Dies würde die Kinder von Grenzüberschreitungen abhalten. In Deutschland sei das anders: „Die Gesellschaft hier macht überhaupt nicht mit. Sondern die Gesellschaft hier macht die Erziehung schwerer.“

Auch in Hinblick auf die Schulen hebt er die muslimischen Gesellschaften als positives Beispiel hervor. Die Schule hätte dort einen positiven Einfluss auf die Erziehung der Kinder, Schulen seien dort ein „Betrieb“, in dem „richtige Männer“ gemacht werden. In Deutschland, so Dabbagh, werden die muslimischen Schüler hingegen zu „Revolutionären“ gegen ihre muslimischen Eltern und Werte erzogen. Er spricht von „satanischen Methoden“, wenn den Mädchen in den Schulen empfohlen wird, den Hidschab abzulegen.

Und auch die Moscheen würden in Deutschland ihrer Aufgabe nicht gerecht werden: Imame würden sich hier nicht um die Jugendlichen kümmern. Kinder würden in einigen Moscheen lernen, wie man raucht, Drogen nimmt oder „schlechte“ Wörter benutzt.

Vor diesem Hintergrund würde in Deutschland nur die Familie bleiben: Die Last der Verantwortung der Kindererziehung liege bei ihr. Dabei weist er darauf hin, wie wichtig es sei, dass in der Familie geliebt werde und Eltern – Dabbagh spricht hier vor allem die Väter an – Zeit mit ihren Kindern verbringen. Darüber hinaus betont er, dass es im Islam eine lange Tradition der Auseinandersetzung mit der Kindererziehung gebe. Bereits vor tausend Jahren hätten sich islamische Gelehrte mit Fragen zum Thema beschäftigt. Die wichtigsten Regeln zur Erziehung würden im Koran stehen, so der Prediger. Das wichtigste sei die Liebe zur Religion. Dem Kind müsse das Wissen vermittelt werden, dass es sich vor Gott verantworten muss. Darüber hinaus müsse den Kindern „Bescheidenheit“ und „Härte“ beigebracht werden. Das Kind solle nicht „verwöhnt“ werden, sondern befähigt sein, Situationen auszuhalten. Dabbagh kürzt seine Ausführungen mit dem Schluss ab: „Man kann nicht in der kurzen Zeit erklären, wie man das macht.“

Dass er an dieser Stelle hervorhebt, abstrakt bleiben zu müssen, passt zu seinen Ausführungen zur körperlichen Züchtigung als Erziehungsmethode. Denn seine Haltung dazu erscheint ambivalent. So ist zunächst zu hören: „Manchmal muss man den Kind auch Härte zeigen, damit es lernt, was es gemacht hat, ist falsch.“ Während er über Deutschland spricht, richtet er sich an die Eltern: „Und den größten Fehler, den du in diesem Land machst, ist, deine Kinder zu schlagen.“ Im Fortgang betont er, dass das Schlagen der Kinder nicht richtig sei und die Eltern ihr Kind nur im letzten Schritt „tadeln“ sollten. Anschließend gibt er an, dass das Schlagen, das sich sofort an das Fehlverhalten des Kindes anschließt, abzulehnen ist: Hierbei würde es sich um eine „Rache“-Handlung handeln. Die Aussagen Dabbaghs bleiben vage. Lehnt er Schlagen absolut ab? Oder sieht er es als letztes Mittel, wenn alle anderen Methoden nicht gefruchtet haben? Und warum betont er, dass das Schlagen der größte Fehler ist, der hier in Deutschland begangen werden kann? Dabbagh scheint körperliche Züchtigung als durchaus legitimes Mittel in der Erziehung anzusehen. Darauf deuten seine Ausführungen zur Gesellschaft als Erziehungs-Instanz hin. Hier berichtet er beispielhaft von einem alten Mann in einem nicht näher benannten islamisch geprägten Land, der den Kindern mit dem Stock droht, wenn sie Fehlverhalten an den Tag legen. Dabbagh führt aus: „Dann machst du das nicht.“ Der Mann mit dem Stock würde also dazu beitragen, dass die Kinder sich ordentlich benehmen. Körperliche Züchtigung wird von Dabbagh also mindestens als legitimes Droh-Werkzeug anerkannt.

Wenngleich das Video Dabbaghs in fünf Jahren nur 4.000 Mal angeschaut wurde, ist sein Einsatz in Hinblick auf die Erziehung nicht zu unterschätzen: 2014 versuchte er in Leipzig im Namen der Gesellschaft „Der Friede für Bildung und Migration“ einen Kindergarten zu gründen. Das Landesjugendamt verweigerte Dabbagh die Betriebserlaubnis, woraufhin die Gesellschaft zunächst vors Verwaltungsgericht und schließlich vor das Sächsische Oberverwaltungsgericht zog, das das Projekt im August 2017 endgültig ablehnte. Zentral für die Ablehnung war die Frage, ob das Wohl der Kinder in dieser Einrichtung gewährleistet wäre. Ein Blick auf den Träger und seinem Geschäftsführer Dabbagh zog massive Zweifel in dieser Hinsicht nach sich.

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