Polizeiausrüstung im Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen

Von KHK Ralf Schmidt, Wiesbaden*

 

13 Streetfighter und Polizisten


Zweifellos lässt sich für das 20. Jahrhundert in Deutschland eine langfristige Zivilisierung der „Institution Polizei“ feststellen. Dazu gehörte auch, dass verstärkt der „Kampfsport“ in die Polizeiausbildung integriert wurde. Neue Einsatzformen und der Verzicht auf die herkömmlichen Polizeiwaffen wie Pistole, Schlagstock, „Chemical Mace“ und Wasserwerfer waren dabei das Ziel. Selbst die Einführung fernöstlicher Waffen, wie dem „Tonfa“, ein Schlagstock mit rechtwinkligem Griff, waren kein Tabu mehr. Den Körper als Kampfmittel, wie in den fernöstlichen Kampfsportarten, einzusetzen, kultivierten „linke Streetfighter“ ebenso wie junge Polizisten. Seit Erich Rahn 1910 die ersten Berliner Kriminalbeamten in „Jiu-Jitsu“ schulte, hatte Kampfsport immer einen gewissen Stellenwert in der Polizeiausbildung. 1939 wurde das „Jiu-Jitsu“ als „geheime Reichssache“ eingestuft und blieb hauptsächlich den Militärs vorbehalten. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde der Sport erst per Gesetz 1948 wieder allgemein zugänglich gemacht. Im Kontrast zu den säbelschwingenden Schutzmännern aus Kaisers Zeiten oder den schießwütigen Polizisten des „Berliner Blutmai“ 1929, scheint der direkte Körpereinsatz zunächst einmal weniger gefährlich, kontrollierter und weniger blutig. Körperliches Einsatztraining wird so dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Mittel im besonderen Maße gerecht und beeinflusst so das Auftreten der Polizei in der Öffentlichkeit. Trotz Allem bleibt es Gewaltanwendung und die sieht für Außenstehende nicht immer „ästhetisch“ aus. Entscheidend ist aber die Rechtmäßigkeit und nicht die Ästhetik polizeilicher Einsätze.

 


Präventiv-Effekt des „Tasers“: Oftmals reicht die Androhung

 

14 Das neue Jahrtausend

 

Eine moderne und an die Herausforderungen
angepasste Ausrüstung der Polizei.

 

Im Rahmen der allgemeinen Neuausstattung der Länderpolizeien mit Dienstpistolen fand ein „Generationswechsel“ statt. Ab dem Jahr 2010 wurde die in Hessen geführte Pistole SIG-Sauer „P6“ ausgetauscht und durch die „P30“ von Heckler und Koch ersetzt. Als herausragendes Merkmal besitzt die neue Waffe ein teilvorgespanntes Abzugssystem, „Combat Defense Action“ (CDA) genannt. Der Kraftaufwand beim Betätigen des Abzuges ist stets konstant und ein „Entspannen“ der Waffe entfällt. Hinzu kamen zwei je 15 Patronen fassende Magazine. Vorher wurde schon die Munition „modernisiert“ und neue Deformationsgeschosse beschafft. Die neuen Patronen waren speziell auf eine möglichst geringe Umgebungsgefährdung ausgelegt. Im Vorfeld belegten zahlreiche Ereignisse, dass die als Kriegsmunition hergestellten Vollmantelgeschosse eine zu hohe Restenergie aufwiesen und so unbeteiligte Dritte erheblich gefährden konnten. Ab dem Jahr 2000 vollzog sich sukzessive die Neuausstattung mit dem Einsatzmittel Pfefferspray, das CN-Reizstoffsprühgeräte wurde ausgesondert. Teleskopschlagstöcke ergänzten den bei Bereitschaftspolizeien verwendeten Mehrzweckeinsatzstock. Die Bodycam, die offen erkennbar getragene Videokamera, findet seit 2013 mehr und mehr Einzug in den Polizeialltag und dient der Abschreckung sowie der Dokumentation. Im Jahr 2018 hatten 13 der 16 Landespolizeien eine Empfehlung der Innenministerkonferenz aus dem Jahr 2001 umgesetzt und den „Taser“ (heute Distanzelektroimpulsgerät – kurz DEIG) beschafft. Nach den Spezialeinheiten stehen die Geräte mittlerweile auch dem Einzeldienst zur Verfügung.

15 Terror in Europa


Spätestens der Terroranschlag im November 2015 in Paris mit 130 Toten und 683 Verletzten führte zu einem Umdenken in Taktik, Bewaffnung und ballistischem Schutz der Polizei und änderte erneut das Erscheinungsbild. Als Antwort auf die anhaltende, nicht nur islamistische Terrorgefahr und das Agieren von militärisch organisierter Kleingruppen, wurden neben einem ballistischen Schutzhelm, Erste Hilfe Sets und „Plattenträgern“, neue Waffen eingeführt. In Hessen soll das „G38“ aus der Waffenfamilie „HK 416“ von Heckler und Koch, als Mitteldistanzwaffe (MDW) im Kaliber 5,56 mm x 45 Nato, die „MP5“ ersetzen. Einhergehend mit dem Konzept des Notinterventionsteams (NIT) und des größeren Leistungsspektrums der Waffe, soll so eine Antwort auf die Bedrohungslagen gewährleistet sein. Vereinzelt setzen die Länderpolizeien weiter auf die bewährte „MP5“ undBaden-Württemberg hat im Alleingang die „MP7“ im Kaliber 4,6 mm x 30 angeschafft. Hierbei wird die annähernde Durchschlagskraft eines Sturmgewehres mit der Kompaktheit einer MP kombiniert – ein interessanter Ansatz.

 

16 Zum Abschluss


In einer demokratischen Gesellschaft sind die Medien als Kontrollinstanz fest verankert und nötig. Häufig wird jedoch versucht, Polizeieinsätze zu skandalisieren. Trotz vieler unfairer Versuche die Polizei als Gesamtes zu diskreditieren, findet sie sich im jährlichen Ranking „der vertrauenswürdigsten Institutionen in Deutschland“ seit Jahrzehnten im vordersten Bereich wieder. Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich. Polizisten agieren heute sensibel auf Veränderungen in der Gesellschaft und müssen sich ständig den neuen Anforderungen an ihren Beruf anpassen. Dazu gehören eine moderne und lageangepasste Ausrüstung, Bewaffnung, Training und vor allem praxiserfahrene Ausbilder. Immer mehr Hersteller drängen mit neuen Waffen und Ausrüstungsgegenständen auf den Markt. Dabei ist eine Tendenz zur Militarisierung der Polizei nicht zu übersehen. Hier muss mit Bedacht agiert und sensibel abgewogen werden, wie die Polizei von der Bevölkerung in Zukunft wahrgenommen werden soll. Es besteht die Gefahr, wie am Beispiel USA zu beobachten, dass sich ohne Not eine Art „Trutzburg Mentalität“ entwickelt: Hier wir… und dort alle anderen! Für den polizeilichen Alltag gefällt dem Autor das Bild vom „bewaffneten Sozialarbeiter“ dann doch viel besser. Es genügt, wenn Einsatzkräfte – gut trainiert mental bereit – die Ausrüstung etwa für Terrorlagen, griffbereit im Fahrzeug mitführen. Und: Unser aller Wunsch sollte es sein, dass Polizeiwaffen nur im Training zum Einsatz kommen. Wahrscheinlich ist das ein „frommer Wunsch“, aberdie Hoffnung stirbt zuletzt.


Bildrechte: Autor.


Literatur:

Bannenberg/Schmidt, 2020, Zeitschrift Kriminalistik, „Krawalle“.

Schmidt, 2022, „Polizistenmord“, K-ISOM online.

Schmidt, 2017 „Phänomen Zweikampf“.

Lindenberger, 2003 „Vom Säbelhieb zum sanften Weg?“

 

Anmerkungen


*Der Autor ist Einsatztrainer für Operative Einheiten in Hessen an der Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit in Wiesbaden.

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