Vollzugsrecht im Wandel der Zeit

Von Prof. Michael Knape, Berlin


 

3 Polizeitypische Einsatzmittel – der modifizierte Waffenkatalog


Die den Länderpolizeien zur Verfügung stehenden Waffen lassen sich in polizeitypische und militärische unterscheiden. Polizeitypische Waffen sind solche, mit denen unmittelbarer Zwang in seiner schärfsten Art und Weise ausgeübt werden kann. Sie ist jedoch nicht automatisch mit der hohen Wahrscheinlichkeit des Todes des Täters verbunden. Kennzeichen ist die Kontrollierbarkeit ihrer Wirkungen auf den Betroffenen. Hierzu zählen neben den Hiebwaffen auch Pistolen, Revolver und grds. die in den Ländern gängigen MP. Rein militärische Waffen (MG, Handgranaten) bezwecken in erster Linie die physische Vernichtung des Angreifers.19 Dabei ist die Kontrollierbarkeit ihrer Wirkungen allenfalls von nur sekundärer Bedeutung. Das BayPAG erlaubt weiterhin, also auch heute noch (!), in der gesetzlich vorgesehen Form, dem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes aus dem Jahre 1977 (VE ME PolG) folgend, zusätzlich den Einsatz von MG und Handgranaten. Insoweit beruhen die unterschiedlichen Regelungen auf unterschiedliche Beurteilungen der Lage/Sicherheitslage durch den jeweiligen Gesetzgeber.20


Im Einklang mit dem Leitbild einer bürgernahen, modernen Polizei, basierend auf einer zeitgemäßen Führungs- und Einsatzlehre sowie unter strikter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben polizeilicher Aufgabenerfüllung, kurzum ihres verfassungsgemäßen Auftrags, vollzog sich spätestens Anfang des neuen Millenniums, also beginnend ab dem Jahr 2000, in den meisten Ländern der Bundesrepublik Deutschland endgültig ein Wandel in der Führungskultur, einhergehend mit einem völlig neuen Verständnis polizeilicher Aufgabenerfüllung und Innerer Sicherheit, zudem getragen von einer modernen andersartigen inneren Führung innerhalb der Polizei.21 Aus Sicht des Autors war es ein Segen, dass das MG und die Handgranaten im Land Berlin aus dem Waffenkatalog des § 2 Abs. 4 UZwG Bln gestrichen wurden. Insoweit passte sich die Berliner Rechtslage die der anderen Länder – mit Ausnahme des Landes Bayern und des Bundes (BPOL) – an. Auch die veränderte Beurteilung der Bedrohungslage nach dem 11.9.2001 und der vom amtierenden Bundeskanzler ausgerufenen Zeitenwende seit dem 24.2.2022 hat auf der Ebene der Landespolizeigesetze zu keiner Erweiterung des Katalogs zulässiger Waffen geführt. Die Frage, mit welchen Mitteln etwaige terroristische Bedrohungsszenarien wirksam abgewehrt werden können, wird vor allem i.Z.m. der Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr (BW) im Innern geführt.22 Abgesehen davon, dass die BPOL (früher: BGS) besondere Waffen zum Einsatz bringen kann, wenn sie in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 GG die Landespolizeien unterstützt (z.B. § 69 Abs. 5 NPOG, § 58 Abs. 5 PolG NRW, § 58 Abs. 5 POG RP), wird vereinzelt von der obersten Landesbehörde auch die Möglichkeit eingeräumt, Spezialeinheiten (SEK) mit besonderen Waffen auszustatten (z.B. § 68 Abs. 4 ThürPolG).23


Wenngleich auch mit Blick auf die Spezialeinheiten des LKA (im Land Berlin: Abt. 6 des LKA, u.a. mit dem dort angesiedelten Präzisionsschützenkommando) das Gewehr im Waffenkatalog weiterhin Bestand hat – dies in Übereinstimmung mit allen anderen gesetzlichen Regelungen des Bundes und der Länder –, war dennoch der Verzicht betreffend die Ausbildung der Schutzpolizei für den mittleren und gehobenen Dienst in Hinblick auf den Einsatz des Gewehrs nur folgerichtig und konsequent zugleich. Neue andere Einsatzmittel kamen stattdessen hinzu. Vor allem galt es, die große Lücke zwischen Pfefferspray und Schlagstock einerseits sowie Schusswaffe (Pistole, MP) andererseits zu schließen. Seit 2001 ist das SEK mit dem Distanz-Elektroimpulsgerät (kurz: Taser) ausgerüstet. In ausgesuchten Basisdienststellen der Berliner Schutzpolizei lief seit 2017 ein auf drei Jahre angelegter Testlauf mit dem Taser, der von der damaligen Senatsverwaltung für Inneres, Sport und Digitalisierung mangels valider Zahlen, Fakten, Daten bis 2022 verlängert wurde. Ein Abschlussbericht des Testlaufs ist laut Senatsinnenverwaltung für das Jahr 2023 avisiert. Ob der Taser – ein sehr nützliches und wichtiges Einsatzmittel für die Polizeien aller Länder (!) – letztendlich tatsächlich in größerem Umfang im Land Berlin eingeführt werden wird, insbesondere den Beamtinnen und Beamten des täglichen Dienstes, aber auch denen der Einsatzhundertschaften der BP letztlich als Einsatzmittel – Waffe und nicht etwa nur als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt24 – zur Verfügung gestellt wird, bleibt abzuwarten.25 Hier ist sich die zuständige Senatsinnenverwaltung noch nicht einig. Bevor der Taser tatsächlich den PVB als Einsatzmittel zur Verfügung gestellt wird, muss der Berliner Gesetzgeber diesbezüglich jedoch noch aktiv werden und das UZwG Bln i.S. der Wesentlichkeitstheorie – gefordert sind wesentliche Entscheidungen durch den Gesetzgeber26 – entsprechend novellieren.27 Eine Einstufung von Tasern und die Bestimmung, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen diese eingesetzt werden dürfen, obliegt allein dem Gesetzgeber.28 Der Waffengebrauch selbst muss also nach Art. 2 Abs. 2 GG nicht nur die Zulässigkeit des Waffeneinsatzes, sondern auch die zulässigen Waffen selbst bestimmen. Erst wenn diese gesetzlichen Bestimmungen geschaffen sind, kann der einzelne PVB oder polizeiliche Einheitsführer „auf Grund“ dieses Gesetzes nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eingreifen.29


Die Herabstufung der Reiz- und Betäubungsstoffe (z.B. Pfefferspray) von ehemals Waffen auf Hilfsmittel der körperlichen Gewalt i.S.d. § 2 Abs. 3 UZwG Bln ist durchaus sachgerecht und entspricht daher allgemeiner bundesweiter Regelungssystematik. Neben dieser Nennung im UZwG Bln existiert mit § 21b UZwG Bln jedoch immerhin eine inhaltlich knappe formalgesetzlich Vorschrift, welche zumindest in groben Zügen die Voraussetzungen für den Einsatz dieser Stoffe regelt. Eine ausführlich gefasste Verwaltungsvorschrift der AV Pol UZwG Bln ergänzt als Orientierungshilfe, keinesfalls etwa i.S. einer gesetzlichen Grundlage, zudem in Nr. 80b zu § 21b UZwG Bln für den Rechtsanwender die Voraussetzungen, unter denen dieser von diesen Einsatzmitteln Gebrauch machen kann.


Daher reicht es nicht aus, Distanz-Elektroimpulsgeräte, von deren Gebrauch für Betroffene eine weitaus größere Gefahr als beim Einsatz von Reiz- und Betäubungsstoffen im o.a. Sinne ausgeht, nur in den jeweiligen Begriffsbestimmungen der einschlägigen Vorschriften zu nennen. So stuft der Gesetzgeber des Landes Brandenburg z.B. in § 61 Abs. 3 BbgPolG Distanz-Elektroimpulsgeräte – im Übrigen wegen ihrer Gefährlichkeit (!) – völlig zu Recht als Waffen ein.30 Gleichwohl versäumt er es jedoch, z.B. in einer anderen Vorschrift des BbgPolG die tatbestandlichen Voraussetzungen für deren Einsatz zu regeln, etwa i.S.d. § 67 Abs. 1 Nr. 1 BbgPolG. Dies verlangt der Bestimmtheitsgrundsatz, getragen vom Vorbehalt des Gesetzes. Eine solche Regelung muss vorrangig vom Gedanken der Gefahrenabwehr – wie z.B. i.S.d. § 67 Abs. 1 BbgPolG – getragen sein. Hier darf der Landesgesetzgeber aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit keine Reglungslücke entstehen lassen.31


Während z.B. bei Demonstrationseinsätzen mit Pfefferspray gezielt in die gewalttätige Störermenge hinein gesprüht wird,32 ist der Einsatz des Tasers sehr viel komplizierter. Dies belegen die spezifischen Einsatzsituationen des polizeilichen Alltags der Vergangenheit. Daher muss der Einsatz des Tasers unter einsatztaktischen Gesichtspunkten ständig geübt werden, damit sein Gebrauch zum gewünschten polizeilichen Erfolg führt: Angriffsunfähigkeit i.S.d. UZwG Bln bzw. in denjenigen Zwangsvorschriften jener Polizeigesetze, in denen die Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwanges – und auch speziell für den Taser (!) – integraler Bestandteil des jeweiligen Polizeirechts der Länder ist. Unbedingtes Ziel des polizeilichen Einsatzes muss sein, beim Angreifer unter gleichzeitiger Beibehaltung seines Lebens und seiner Gesundheit kurzfristig dessen Angriffsunfähigkeit herbeizuführen, damit PVB ihn gefahrlos überwältigen und fixieren können. Das muss in einem modernen demokratischen Rechtsstaat oberste Handlungsmaxime, kurzum das vorrangige Ziel polizeilicher Intervention sein, soweit die Voraussetzungen für den Einsatz des Tasers vorliegen. Deshalb ist es so wichtig, dass diese tatbestandlichen Voraussetzungen in einer speziellen Vorschrift des Vorschriftenkompendiums über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch PVB existieren.33


Insoweit müssen darüber hinaus im Rahmen des einsatzbezogenen Trainings der Polizei unterschiedliche Einsatz-/Fallvarianten trainiert und intensiv besprochen werden. Es genügt nicht, wenn die PVB nur während ihres Vorbereitungsdienstes an den Polizeischulen des Bundes und der Länder oder während ihres Studiums an den Hochschulen der BPOL, des BKA oder der Länderpolizeien auf solche – Stress beladenen – Einsatzlagen vorbereitet werden, um in Krisensituationen professionell und handlungssicher – rechtlich wie taktisch – operieren zu können. Wie das Schießen mit Pistole und MP (sog. Jahresschießleistungsprogramm) sollte auch der Gebrauch des Tasers unter Aufsicht von erfahrenen Einsatztrainern der Polizei ständig geübt und situationsbezogen diskutiert bzw. ausgewertet werden. Diesbezüglich muss ein PVB den Taser führen und diesen noch außerhalb des Einwirkungsradius des Angreifers – man denke z.B. an Messerattacken und dergleichen – einsetzen, während ihn ein oder zwei PVB mit der Pistole am langen Arm – Rohrmündung auf den Boden gerichtet – sichern (sog. Sicherungshaltung). Die Absprache, wer den Taser gebraucht und wer den Taser führenden PVB sichert, muss in der konkreten Einsatzsituation schnell, unverzüglich und reibungslos erfolgen. Sollte der Angreifer durch den Einsatz des Tasers nicht außer Gefecht gesetzt werden können (z.B. wegen entsprechend dicker Winterbekleidung), kann einer der beiden sichernden PVB diesen dann immer noch aus kürzerer Entfernung durch einen oder zwei gezielte Schüsse in Arme oder Beine angriffsunfähig schießen. Womöglich könnte eine ganze Reihe angetrunkener oder geistig verwirrter Angreifer, die sich zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befanden, heute noch leben. Man denke – abgesehen von einer ganzen Reihe anderer vergleichbarer Fälle im Land Berlin – z.B. nur an den berühmten „Neptunbrunnenfall“ in Berlin Mitte am 28.6.2013, als ein offenbar geistig verwirrter junger nackter Mann – mit einem 20 cm langen Sägemesser bewaffnet – noch im Wasser des Brunnens stehend PVB angriff und sodann von einem der rückwärts gehenden PVB aus dessen Dienstwaffe – Pistole – erschossen wurde. Auch der Fall in der Dortmunder-Nordstadt, der sich am 8.8.2022 ereignete, wirft ein – wie auch immer geartetes – durchaus zwiespältiges Licht auf den Polizeieinsatz, somit auf die eingesetzten PVB. Sachverständige Gutachter kommen insoweit zu einem sehr kritischen Ergebnis des Einsatzgeschehens. Der Geschehensablauf scheint – mehr oder weniger – zwischenzeitlich voll umfänglich ermittelt worden zu sein. Der Innenminister des Landes NRW kündigte bereits an, den Einsatz der Polizei gründlich und umfassend aufzurollen, um anschließend dann die notwendigen und zwingend gebotenen Schlüsse für die Aus- und Fortbildung sowie für spätere Einsätze vergleichbarer Art zu ziehen. Da es eine der wichtigsten Aufgaben der Polizei ist, Leben und Gesundheit zu schützen, können Schusswaffenunfälle und Schießirrtümer nicht einfach hingenommen werden; Polizei-, Sozialwissenschaften und Psychologie erarbeiten dazu exakte Hinweise.34 Was war passiert? Ein 16-jähriger Senegalese, bewaffnet mit einem Messer und offensichtlich in suizidaler Absicht handelnd, wurde von einem PVB mit einer MP (Einstellung: Dauerfeuer [!]) mit fünf von sechs Schüssen in den Körper getroffen und getötet. Die eingesetzten PVB glaubten offenbar, dass der junge Senegalese sie angreifen würde. Die Body-Cams aller PVB waren ausgeschaltet, Pfefferspray wirkte nicht und der Gebrauch des Tasers war nicht von Erfolg gekrönt. Das Ergebnis des polizeilichen Einsatzes ist höchst bedauerlich und lehrt einmal mehr, wie wichtig der geübte und professionelle Umgang mit dem Taser gerade gegen offenbar in suizidaler Absicht agierende, geistig verwirrte Personen ist.


Zum Ende der 80er- und mit Beginn der 90er-Jahre des letzten Millenniums nahm die Diskussion im Land Berlin Fahrt auf, den Mehrzweckschlagstock35 (kurz: Tonfa) nicht nur bei den Spezialeinheiten (SEK), sondern – quasi flächendeckend – auch bei den Einsatzeinheiten der BP und im Basisdienst, mithin den PVB des Täglichen Dienstes, zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidung, alle Bedienstete im Polizeidienst damit ausrüsten, fiel im Land Berlin nach langer Pro- und Contra-Diskussion mit der Senatsinnenverwaltung und der Polizeiführung dann endlich Anfang 2000, also im neuen Millennium. Der Tonfa impliziert aufgrund seiner Bauart vielfältige Einsatzmöglichkeiten, mit ihm muss aber ständig trainiert werden (einsatzbezogenes Training), damit eine sichere Handhabung durch die Einsatzkräfte gewährleistet ist. Aufgrund seiner speziellen Bauart kann er einerseits als Schlagstock und somit als Hiebwaffe36 gebraucht werden. Diese Einsatzart wird ganz überwiegend in notwehrähnlichen Situationen in Betracht kommen. Andererseits kann der Mehrzweckschlagstock aber auch als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt zum Einsatz kommen. Seine spezielle Bauart bietet die hervorragende Möglichkeit, renitente Störer bzw. (Straf-)Täter im sog. Kreuzfesselgriff mit dessen Hilfe problemlos ab-/wegzuführen. So fixiert, können solche Störer keinen Widerstand mehr leisten. PVB der Einsatzeinheiten der BP praktizieren diese Einsatzart in geradezu vorbildlich professioneller Art und Weise schonend z.B. während bzw. am Ende von Demonstrationseinsätzen, wenn erkannte (Straf-)Täter von der Straße zum Gefangentransportwagen geführt werden müssen. Hier wird mittels des Tonfas die körperliche Gewalt, die der PVB durch unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen aufbringen muss, lediglich verstärkt bzw. unterstützt. Da es sich bei allen Reglungen – sei es im UZwG Bln oder UZwG (Bund), sei es um Reglungen innerhalb des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts/Polizeirecht als implementierte Vorschriften über den unmittelbaren Zwang – im Unterschied zum Waffenkatalog um einen nicht abschließenden, sondern nur beispielhaft gefassten Katalog aufgezählter Hilfsmittel handelt, ist diese Art und Weise seines Einsatzes unproblematisch zulässig und rechtmäßig zugleich, weil auch grds. verhältnismäßig.37 Dies ist bundesweite Regelungssystematik. Die Einsatzweise des Tonfas wird in allen Einsatzeinheiten der BP des Bundes (BPOL) und der Länder in nahezu gleicher Weise geübt, trainiert, insoweit praktiziert.

 

 

4 Schlussbemerkungen


Die vorangestellten Ausführungen zeigen, dass die Berliner Polizei in allen nur erdenklichen Bereichen innerhalb der letzten 40 Jahre einen markanten Wechsel weg von einer eher paramilitärisch geprägten Aus- und Fortbildung sowie Strukturierung der BP hin zu einer modernen, bürgernahen demokratischen Aspekten gerecht werdenden Polizeiorganisation vollzogen hat. Die Eingrenzung des Waffenkatalogs auf rein polizeitypische Waffen ist dafür beredtes Zeugnis. Ausschlaggebend waren und sind dafür aber auch die Gewerkschaften der Polizei.38 Eng verknüpft mit diesem grundlegenden Wandel ist der Name „Klaus Hübner“, der von 1969 bis 1987 Polizeipräsident in Berlin war.


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