Strafe schützt vor erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht

Von der Anwendbarkeit des § 81b Abs. 1 StPO auf rechtskräftig verurteilte Beschuldigte



Ferner soll noch kursorisch auf besondere Konstellationen bezüglich § 81b StPO eingegangen werden, welche in der polizeilichen Praxis immer wieder relevant werden. Dies sind erkennungsdienstliche Maßnahmen bei Kindern, also gemäß § 19 StGB Personen, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und anderen Schuldunfähigen. Bezüglich schuldunfähigen Personen können zumindest Maßnahmen im Sinne des § 81b Abs. 1, 2 Var. StPO durchgeführt werden. Denn auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB kommt die Durchführung eines Sicherungsverfahrens gemäß §§ 413ff. StPO in Betracht, mit der Möglichkeit, Maßregeln der Besserung und Sicherung anzuordnen. Im Sicherungsverfahren wird ebenfalls vom Beschuldigten gesprochen (vgl. etwa § 415 StPO). Der Umstand der Schuldunfähigkeit führt daher nicht dazu, dass strafrechtliche und strafprozessuale Maßnahmen zwingend ausbleiben müssen.14 Anders dürfte dies bei Kindern zu beurteilen sein, da nach der Gesetzeskonzeption bezüglich diesen keine Maßnahmen als Beschuldigte getroffen werden dürfen. Nun ließe sich anführen, dass § 81b Abs. 1, 2. Var. StPO vorwiegend Aspekte der Gefahrenabwehr inhärent sind, welche auch bei Kindern relevant werden können.15 Es stellt jedoch einen argumentativ kaum zu überwindenden Widerspruch dar, weshalb ein Gesetz als Rechtsgrundlage von Zwangsmaßnahmen gegen Personen dienen soll, auf welche jenes (unstreitig) als Beschuldigte keine Anwendung findet. Anders mag dies bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach „Polizeirecht“ zu beurteilen sein, da von den jeweiligen (Landes-)Gesetzen bei Vorliegen einer Gefahr grundsätzlich auch Maßnahmen gegen Kinder umfasst werden.

 

3 Resümee


In der Vergangenheit ist die Anwendbarkeit des § 81b StPO der polizeilichen Praxis durch eine kaum als übersichtlich zu bezeichnende Rechtsprechung erheblich erschwert worden. Insofern sollte mit der erfolgten gesetzlichen Neufassung des § 81b Abs. 2 StPO und des nunmehr ausdrücklich geäußerten gesetzgeberischen Willens die Chance genutzt werden, einen einheitlichen Beschuldigtenbegriff für alle im § 81b StPO geregelten Fälle zu etablieren, welcher auch rechtskräftig verurteilte Personen umfasst. Ob erkennungsdienstliche Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden dürfen, ist dabei natürlich weiterhin anhand der übrigen Voraussetzungen im Sinne der § 81b Abs. 1 bzw. Abs. 2 StPO zu entscheiden. Dies gilt im selben Umfang bezüglich einer Fahndung gemäß § 131a Abs.1 und 2 StPO, auf welche dieser Beschuldigtenbegriff folgerichtig ebenfalls vollumfänglich anzuwenden ist. Derart könnte die Handhabbarkeit für die ermittelnden Polizeibeamten vereinfacht und auch etwaige gerichtliche Entscheidungen, welche auf Initiative des Beschuldigten ergehen, müssten sich mit einem Problembereich weniger auseinandersetzen. Des Weiteren dürfte die Bedeutung des § 81b StPO zukünftig noch zunehmen, da polizeirechtliche erkennungsdienstliche Maßnahmen aufgrund von Landesgesetzen verfassungswidrig sein könnten, soweit sich die Behandlung auf die Verhütung bzw. Aufklärung künftiger Straftaten bezieht. So hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht bezüglich § 183 Abs. 1 S. 3 LVwG-SH16 in einem obiter dictum ausgeführt, dem Landesgesetzgeber würde eine diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz fehlen. Denn der Bundesgesetzgeber hätte durch § 81b Abs. 1 StPO bereits von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hinsichtlich der „Strafverfolgungsvorsorge“ gebrauch gemacht.17 Die weitere Entwicklung dieser Rechtsprechung darf gespannt erwartet werden.

 

Anmerkungen

 

  1. Dr. Sören Pansa ist bei der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein tätig. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.
  2. Vgl. hierzu ausführlich BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 – StB 14/19 –, BGHSt 64, 89.
  3. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1982 – 3 StR 364/82 –, NStZ 1983, 86.
  4. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2019 – 5 StR 195/19 –, zitiert nach juris.
  5. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021 Teil I Nr. 53, S. 3420.
  6. Vgl. hierzu ausführlich BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 – StB 14/19 –, BGHSt 64, 89.
  7. Vgl. hierzu bereits BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 1 C 29/79 –, BVerwGE 66, 192.
  8. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39/16 –, BVerwGE 162, 275.
  9. So auch mit weiteren Nachweisen Teßmer in MüKoStPO, 1. Aufl. 2016, § 157 Rdnr. 2.
  10. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2019 – 6 B 163/18, 6 PKH 10/18 –, zitiert nach juris; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juni 2016 – OVG 1 S 71.15 –, StV 2017, 665.
  11. BT-Drucksache 19/27432 S. 43.
  12. So bereits BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1960 – 2 BvL 11/59 –, BVerfGE 11, 126.
  13. Vgl. Nachweise bei Krause in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, § 81b Rdnr. 10.
  14. So auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 81b Rdnr. 7.
  15. So etwa VG Freiburg, Urteil vom 3. April 1979 - VS VI 1054/78 -, NJW 1980, 901.
  16. Dieser lautet: „Darüber hinaus dürfen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte die zur Verhütung oder Aufklärung einer künftigen Straftat erforderlich erscheinenden erkennungsdienstlichen Maßnahmen anordnen, wenn die betroffene Person dringend verdächtig ist, eine mit Strafe bedrohte Handlung im Sinne des § 179 Abs. 2 begangen zu haben, und wenn wegen der Art oder Ausführung der Handlung sowie der Persönlichkeit der betroffenen Person die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten besteht“.
  17. Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 21. Dezember 2022 – 3 A 291/20 –, zitiert nach juris.

 


 

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