Strafbarkeit des Cybermobbings de lege lata und de lege ferenda
Von Prof. Dr. Anja Schiemann, Münster
1 Einleitung
Für den Begriff des Cybermobbings gibt es keine feststehende Legaldefinition. Nach allgemeinem Sprachverständnis werden hierunter Handlungsweisen zusammengefasst, die verschiedene Formen der Diffamierung, Belästigung, Bedrängung und Nötigung beinhalten können und mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel, insbesondere über das Internet, verbreitet werden.2 Im Jahr 2018 gaben 18% der Erwachsenen an, von Cybermobbing betroffen zu sein.3 Bei Kindern und Jugendlichen ist das Phänomen sogar noch verbreiteter. Laut JIM-Studie aus dem Jahr 2018 wurden in dieser Gruppe 34% Opfer von Cybermobbing.4
Daher wurde und wird immer wieder gefordert, ähnlich wie im österreichischen Strafgesetzbuch einen expliziten Straftatbestand zum Schutz vor Cybermobbing zu schaffen. Allerdings können die klassischen Fälle des Cybermobbings bereits über eine Vielzahl bestehender Normen des StGB erfasst werden. Das Problem liegt häufig eher darin, dass Fälle des Cybermobbings – auch wegen der fehlenden Anzeigebereitschaft – strafprozessual nicht verfolgt werden.5 Zudem ist beim Cybermobbing im Gegensatz zum Mobbing in der realen Welt der Täter häufig unbekannt, so dass sich für die Strafverfolgungsbehörden eine Ermittlung des unter einem Pseudonym oder anonym handelnden Täters und der Nachweis der Tat(en) schwierig gestaltet.6
2 Straftatbestände7
Dennoch kommt zunächst ein bunter Strauß an Vorschriften in Betracht, die die strafrechtliche Ahndung auch der klassischen Fälle des Cybermobbings möglich machen:
- Ehrverletzungsdelikte gem. §§ 185 ff. StGB
- Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs gem. §§ 201 ff. StGB
- Recht der Selbstdarstellung gem. §§ 22, 23, 33 KUrhG
- Nachstellung gem. § 238 StGB
2.1 Ehrverletzungsdelikte
Die Ehrverletzungsdelikte sind wegen ihres unbestimmten (aber verfassungsrechtlich unbeanstandeten)8 Wortlauts, grundsätzlich auch auf Beleidigungen, Verleumdungen und üble Nachrede mittels Nutzung des Internets oder anderer Kommunikationsmittel übertragbar und insoweit technikoffen.9 Es handelt sich um Kundgabedelikte, so dass nicht nur direkte Äußerungen erfasst werden, sondern es gerade im Internet ausreichen kann, einen Beitrag zu teilen oder einen Link zu setzen.10
Der Beleidigungstatbestand § 185 StGB umfasst drei Begehungsformen:
- die Äußerung eines beleidigenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen,
- die Äußerung eines beleidigenden Werturteils gegenüber einem Dritten sowie
- die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache gegenüber dem Betroffenen, wobei die Behauptung dann unwahr sein muss.11
Die Äußerung muss eine Missachtung oder Nichtachtung zum Inhalt haben. Die Frage nach dem ehrverletzenden Inhalt hängt dabei vom objektiven Sinngehalt ab, die ein verständiger Dritter der Äußerung beimisst. Bei Äußerungen im Internet, z.B. in Blogs oder Foren, ist aber in der Regel ein großzügigerer Maßstab anzulegen, da die Eigenart und die besondere Internetsprache zu berücksichtigen sind – so dass gerade auch bei Bewertungsportalen plakative und provokative Äußerungen nicht per se ehrverletzend sind. Vielmehr kommt es auf die Substanz der Äußerung an.12 Bei Fällen klassischen Cybermobbings, in denen persönliche Angriffe oder Diffamierungen einer Person ins Netz gestellt werden, ist der Beleidigungstatbestand unproblematisch erfüllt.
Werden dagegen nicht Werturteile, sondern Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten im Internet verbreitet, die einen Angriff auf die Ehre des Betroffenen darstellen, so kann als eigenständiger Tatbestand § 186 StGB verwirklicht sein. Der Tatsachenbegriff ist sehr weit und nur vom Bereich des intersubjektiven Meinens und Wertens begrenzt, so dass eine Tatsachenbehauptung alles umfassen kann, was wahr oder falsch sein kann und der Nachprüfbarkeit prinzipiell zugänglich ist.13 Die Tatsache muss geeignet sein, die betroffene Person verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wobei sie objektiv geeignet sein muss, das Opfer in der Meinung eines größeren, nicht geschlossenen Teils der Bevölkerung als verachtenswert erscheinen zu lassen.14 Mit Ausnahme eng umgrenzter Chatgruppen wird daher auch Cybermobbing häufig den Straftatbestand der üblen Nachrede gem. § 186 StGB erfüllen, sofern es sich um unwahre Tatsachen handelt. Denn der Straftatbestand des § 186 StGB fordert die Verbreitung nicht erweislich wahrer Tatsachen. Beschränkt sich der Täter auf die Verbreitung ehrverletzender, sich schließlich als wahr herausstellender Tatsachen, so kommt eine Verwirklichung des § 186 StGB nicht in Betracht. Werden z.B. peinliche Videoaufnahmen des Opfers im Internet veröffentlicht, so ist § 186 StGB gerade nicht erfüllt. Anders ist es dagegen, sofern Videomontagen ins Netz gestellt werden.15
Da ehrverletzende Publikationen im Internet grundsätzlich weltweit abrufbar, dauerhaft auffindbar und kaum wieder zu löschen sind, ist bei Cybermobbing durch Verbreiten ehrverletzender, unwahrer Tatsachen in der Regel die Qualifikation des § 186 Hs. 2 StGB erfüllt, die einen höheren Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht.16Bei der Verleumdung gem. § 187 StGB muss im Gegensatz zu § 186 StGB feststehen, dass die behauptete Tatsache unwahr ist.17 Zudem muss der Täter sicheres Wissen von der Unwahrheit der Tatsache haben. Sind die Voraussetzungen des § 187 StGB erfüllt, so ist sowohl die drohende Strafe des Grunddelikts als auch die der Qualifikation gegenüber § 186 StGB höher. Stellt der Cybermobber also eine unwahre Tatsache wider besseres Wissen ins Internet, die geeignet ist, das Mobbingopfer verächtlich zu machen oder herabzuwürdigen, so drohen empfindliche Strafen. Schon der Grundtatbestand sieht einen Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe vor, die Qualifikation, die bei Cybermobbing in der Regel auch in Bezug auf § 187 StGB in den entsprechenden Fallkonstellationen erfüllt ist, sieht sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren vor.
Auch die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen kann nach Maßgabe des § 192 StGB als Formalbeleidigung strafbar sein, wenn sich das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form oder den Umständen der Behauptung ergibt.18 Insofern kann gerade das Verbreiten einer Videoaufnahme über Soziale Medien und Internet, die den Betroffenen in einer intimen oder unangenehmen Situation zeigt, eine Strafbarkeit nach § 192 StGB in Verbindung mit § 185 StGB begründen. Allerdings kann dann der besondere Unwertgehalt, der durch Veröffentlichung in dem entgrenzten Medium Internet gegeben ist, im Gegensatz zu den in §§ 186, 187 StGB enthaltenden Qualifikationstatbeständen beim gem. §§ 192, 185 StGB geltenden Strafrahmen gerade nicht abgebildet werden.
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