„Herr X ist leider verhindert“

Von den Besonderheiten des Einsatzes von Vertrauenspersonen und deren Sperrerklärungen für die Hauptverhandlung

3.1 Rechtsstaatswidrige Tatprovokation

Das Handeln der VP könnte eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation darstellen. Die größte Schwierigkeit dieses Konstrukts resultiert aus dem Umstand, dass es an einer konkreten gesetzlichen Regelung fehlt. Insofern hat sich jedoch eine umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt, welche die zugrundeliegenden Grenzen detailliert umschreibt und sich an Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) orientiert. Hinsichtlich der Rechtsfolge wurde dem Angeklagten bis vor wenigen Jahren grundsätzlich lediglich ein „Strafrabatt“ gewährt8, während inzwischen ein Verfahrenshindernis angenommen wird, welches bezüglich der betroffenen Taten zu einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO führt.9 Jedoch kann sich nur der derjenige Angeklagte darauf berufen, der auch von der Tatprovokation betroffen wurde.10 Der Bundesgerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) haben in einer Vielzahl von Entscheidungen Kriterien entwickelt, nach welchen eine unzulässige Tatprovokation vorliegen könnte11: Wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt. Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist gegeben, wenn eine polizeiliche Vertrauensperson mit dem Ziel des Weckens der Tatbereitschaft oder einer Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit auf einen Betroffenen einwirkt. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen. Spricht eine VP einen Betroffenen lediglich darauf an, ob dieser Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation. Ferner ist von Bedeutung, ob eine Person tatgeneigt war, wofür verschiedene Indizien herangezogen werden können, wie etwa die erwiesene Vertrautheit mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, die Fähigkeit, solche kurzfristig zu beschaffen, sowie eine Gewinnbeteiligung bei den verfahrensrelevanten Taten. Des Weiteren ist die Intensität der Einwirkung entscheidend, etwa ob das Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert wird oder der Betroffene mit den Marktwert übersteigenden Preisen überzeugt worden ist.


Die Vielzahl und hohe Detaildichte dieser Kriterien zeigt, dass es sich um Entscheidungen handelt, die sich an den Gegebenheiten des Einzelfalls orientiert haben. Grundsätzlich sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch die über eine VP erlangten Informationen im Rahmen des Strafprozesses verwertbar, wenn nicht „rechtsstaatswidrige Sonderkonstellationen“ vorliegen.12 Dementsprechend führt der 2. Strafsenat auch lediglich aus: „Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation, die zu einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis führen würde, liegt nicht vor. Zum einen war der Angeklagte A tatgeneigt, zum anderen ist nicht ersichtlich, dass eine Verstrickung des Angeklagten A in Taten mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt aufgrund einer Einwirkung durch die Vertrauensperson erfolgte“.13

3.2 Kein Verstoß gegen §§ 110a ff. StPO und gegen § 163a Abs. 4 i.V.m. §§ 136 Abs. 1 bzw. 136a Abs. 1 StPO

Dem Einsatz einer VP sind konspirative und täuschende Elemente immanent. Ferner handelt es sich um Privatpersonen, mit denen Behörden, unter anderem für die Zwecke der Strafverfolgung, kooperieren. Diese Kombination wird teilweise kritisch und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nur schwerlich vereinbar angesehen.14 Als gängiges Argument wird dabei vorgebracht, die restriktiven Regelungen für den Einsatz Verdeckter Ermittler i.S.d. §§ 110a ff. StPO würden so gezielt umgangen werden. Diesem Ansatz erteilt der 2. Strafsenat eine deutliche Absage: „Die Einfügung der §§ 110a ff. StPO […] rechtfertigt nicht den Schluss, dass der Gesetzgeber die traditionell als zulässig anerkannte Inanspruchnahme anderer Personen ausschließen wollte. Die Kontaktaufnahme solcher anderen Personen mit dem Beschuldigten hat der Gesetzgeber in diesem Gesetz bewusst nicht geregelt. Diese sollte weiterhin zulässig sein“.15


Doch unterliegt der Einsatz einer VP natürlich auch Grenzen. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht gemäß § 163a Abs. 4 i.V.m. § 136 Abs. 1 StPO besteht jedoch grundsätzlich nicht. Die für eine Beschuldigtenvernehmung relevanten Vorschriften sind nicht unmittelbar anwendbar. Denn zum Begriff der Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung gehört, dass der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft verlangt.16 Eine VP hat jedoch weder eine unmittelbare amtliche Funktion noch tritt sie „offen“ auf.


In der Befragung durch eine VP liegt auch kein Verstoß gegen die – unmittelbar oder entsprechend angewandten – Regelungen der § 163a Abs. 4 i.V.m. § 136a Abs. 1 StPO. Der Begriff der Täuschung i.S.d. § 136a StPO wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als zu weit gefasst angesehen, was sich aus einer systematischen, die anderen in § 136a Abs. 1 StPO aufgeführten verbotenen Mittel berücksichtigenden Betrachtung ergibt. Denn die verdeckte Befragung eines Beschuldigten lässt sich nicht mit der Schwere der übrigen in § 136a StPO genannten Modalitäten, wie der Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit durch Misshandlung oder Quälerei vergleichen.17


Eine relevante Grenze bildet jedoch regelmäßig die Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten. Nach der Kernaussage dieses Prinzips darf im Strafverfahren niemand gezwungen werden, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner Überführung beizutragen. Unzulässig ist es etwa, einen Beschuldigten in gezielten vernehmungsähnlichen Befragungen, die auf Initiative der Ermittlungsbehörden ohne Aufdeckung der Verfolgungsabsicht durchgeführt wurden, selbstbelastende Angaben zur Sache zu entlocken, obwohl er in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren gegenüber den Ermittlungsbehörden erklärt hatte, schweigen zu wollen.18


Der 2. Strafsenat prüft die grundsätzlichen Voraussetzungen für den Einsatz einer VP und bejaht diese aufgrund der Schwere des Tatverdachtes gegen den Angeklagten A. Ferner wären auch die Grenzen der Selbstbelastungsfreiheit im Umfang der bezeichneten höchstrichterlichen Rechtsprechung eingehalten worden. Denn es ist gerade nicht unzulässig für eine VP, gezielt Nachforschungen anzustellen.

3.3 Beweisrechtliche Schwierigkeiten infolge der Sperrerklärung

3.3.1 Grundlagen der Sperrerklärung


Auch wenn hiernach die die durch den VP-Einsatz erlangten Erkenntnissen grundsätzlich verwertbar sind, schließt sich in der Praxis doch regelmäßig das Problem an, wie diese in die Hauptverhandlung einzuführen sind. Der naheliegende Weg, die VP als Zeugen zu vernehmen, wird häufig – wie auch in dem vorliegenden Sachverhalt – versperrt sein. Die Polizeibehörden haben regelmäßig ein virulentes Interesse daran, die Identität der VP geheim zu halten – sei es, um diese vor möglichen Repressalien zu schützen, sei es, um sie weiterhin einsetzen zu können. Das Instrument, um dieses Interesse durchzusetzen, ist die sog. Sperrerklärung, die ihre Rechtsgrundlage in § 96 S. 1 StPO findet. Hiernach kann die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Über den Wortlaut („Auslieferung von Akten“) hinaus, erlaubt die Norm jedwede Form von Auskunftsverlangen zurückzuweisen.19 Für den Verdeckten Ermittler verweist § 110b Abs. 3 StPO explizit auf § 96 StPO; die Einschlägigkeit für das Zurückhalten der Identität einer VP ist jedoch ebenso anerkannt.20 Die Voraussetzung der dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes zu bereitenden Nachteile konkretisiert § 110b Abs. 3 StPO für den Verdeckten Ermittler dahingehend, dass ein Sperrgrund i.S.d. § 96 StPO vorliegt, „wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Offenbarung Leben, Leib oder Freiheit des Verdeckten Ermittlers oder einer anderen Person oder die Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers gefährden würde.“ Nach den Gesetzesmaterialien soll diese Auslegung auch für VP gelten.21


Bei der Entscheidung hat die Behörde die Beeinträchtigung der Aufklärungsmöglichkeiten im Strafverfahren und der rechtsstaatlichen und fairen Verfahrensgestaltung zu berücksichtigen und daher zu prüfen, ob nicht auf anderem Wege ein schonenderer Ausgleich zwischen den strafprozessualen Interessen und dem Schutz des Zeugen zu erreichen ist.22 Als derartige vorrangige Instrumente zum Schutz des Zeugen kommen namentlich die Geheimhaltung seiner Identität gem. § 68 Abs. 3 StPO, ggf. einschließlich der Verhüllung des Gesichts (§ 68 Abs. 3 S. 3 StPO), die Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung gem. § 247 S. 2 Var. 2 StPO sowie die audiovisuelle Vernehmung (§ 247a StPO) unter optischer und akustischer Verfremdung in Betracht.23 Zudem kann der Umfang der Vernehmung kontrolliert werden, indem dem Zeugen nur eine beschränkte Aussagegenehmigung gem. § 54 Abs. 1 StPO erteilt wird. VP sind andere Personen des öffentlichen Dienstes i.S.d. Vorschrift, wenn sie förmlich nach dem Verpflichtungsgesetz24 zur Verschwiegenheit verpflichtet wurden, und dürfen daher Angaben zu dem Einsatz nur mit Genehmigung machen.25


Die Sperrerklärung wird von der obersten Dienstbehörde abgegeben, d.h. regelmäßig dem Bundes- oder Landesministerium des Innern.26 Die Erklärung ist für das Strafverfahren bindend.27 Gericht oder Staatsanwaltschaft haben keine Handhabe, eine für rechtswidrig oder unzweckmäßig gehaltene Sperrerklärung aufzuheben. Sie sind in derartigen Fällen darauf verwiesen, zu versuchen, das Ministerium im Rahmen von Gegenvorstellungen zu überzeugen.28 Anfechtbar ist die Sperrerklärung allein auf dem Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO).29 Will der Angeklagte – Gericht oder Staatanwaltschaft sind hier nicht antragsbefugt30 – diesen beschreiten, hat er keinen Anspruch darauf, das Strafverfahren bis zum Abschluss des Verwaltungsrechtsstreits auszusetzen.31 Das (Straf-)Gericht hat vielmehr nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) über einen entsprechenden Antrag zu entscheiden und hierbei die Erfolgsaussichten zur prognostizieren.32