Die Änderung des Tatbestands der Volksverhetzung durch § 130 V StGB

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Benjamin Mischke, Kiel

3.7 Vorsatz

Schließlich ist gem. § 15 StGB Vorsatz – gemeinhin als wissentliches und willentliches Handeln bezeichnet31 – erforderlich. Dabei muss sich der Vorsatz des Täters gem. § 16 I 1 StGB auf alle Umstände erstrecken, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Problematisch für die Bejahung des Vorsatzes des Demonstranten im Fallbeispiel ist, dass dieser aller Voraussicht nach annimmt, dass die russischen Militäroperationen keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen im Sinne der §§ 6-12 VStGB sind. Bei der Einordnung der Militäroperationen als Taten nach dem VStGB handelt es sich um ein Tatbestandsmerkmal, das eine rechtliche Wertung voraussetzt, sog. „normatives Tatbestandsmerkmal“32. Entscheidend für die strafrechtliche Beurteilung ist hier, ob sich der Vorsatz des Täters auf diese rechtliche Wertung erstrecken muss.33 Die h.M.34 geht nicht so weit und fordert, dass der Täter durch laienhafte Beurteilung jenen Bedeutungsgehalt der Umstände erkennen muss, der dafür wesentlich ist, dass die Umstände dem Tatbestand unterfallen (sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“35). Diese Umstände sind sowohl die russische Militärpräsenz in der Ukraine als auch die vom russischen Militär vorgenommenen Kampfhandlungen, die die Ukrainer betreffen. Vertritt man mit der h.M. letztgenannte Auffassung, ist von einem Vorsatz des Demonstranten hinsichtlich des Vorliegens der in § 130 V StGB aufgeführten Taten nach VStGB auszugehen. Ebenso muss sich der Vorsatz auf alle übrigen Tatbestandsmerkmale erstrecken, also auch auf die Eignung, zu Hass oder Gewalt […] aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

 

4 Sonstiges


Dem Täter droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Der Unterschied in der Sanktion zur Holocaustleugnung (dort Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, siehe § 130 III StGB) liegt nach Auffassung des Gesetzgebers36 in der Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen aus historischer Sicht. Auch für den neuen § 130 V StGB gilt gem. §§ 130 VIII, 86 IV StGB, dass keine Strafbarkeit vorliegt, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. Mangels Erwähnung in § 130 VII StGB ist der Versuch des § 130 V StGB nicht strafbar. Im Falle des Billigens nach § 130 V Var. 1 StGB kommt ebenfalls eine Strafbarkeit nach § 140 Nr. 2 StGB in Betracht. Wie der neueingeführte § 130 V StGB droht auch § 140 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Neben der genannten Einfügung des neuen § 130 V StGB enthält das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches noch einige Verschiebungen und Änderungen in den Abs. 5 folgenden Absätzen, die durch dessen Neueinführung notwendige Folgeänderungen sind,37 jedoch keinen Gegenstand vertiefter Diskussion darstellen.

 

5 Fazit


Anhand des Beispielsfalls wird deutlich, dass durchaus eine Strafbarkeit des Demonstranten gegeben sein kann, der sich in der dargestellten Weise aktiv an einer pro-russischen Demonstration beteiligt. Inwieweit eine praktikable Umsetzung der Strafverfolgung in derartigen Situationen möglich ist, wird sich zeigen.


Mit der jüngsten Änderung des § 130 StGB begibt sich der Gesetzgeber in das Spannungsfeld zwischen der Erhaltung des öffentlichen Friedens und dem Recht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 I 1 GG. Ob die neue Regelung tatsächlich einen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht der Freiheit auf freie Meinungsäußerung darstellt, wird ggf. das Bundesverfassungsgericht klären.


Angesichts der zusätzlichen Erfordernisse der Eignung zur Aufstachelung zu Hass oder Gewalt und zur Störung des öffentlichen Friedens ist jedenfalls klargestellt, dass nicht die Meinungsäußerung allein Grund des Eingriffs ist. Ebenso ist der Tatbestand auf bestimmte ausgewählte Taten – nämlich besagte Taten nach dem VStGB – beschränkt, was eine Ausuferung der Strafbarkeit verhindert. Ferner besteht für Demonstranten stets die Möglichkeit einer sachlichen Ausdrucksweise, die nicht die Möglichkeit einer Störung des öffentlichen Friedens birgt, sodass ein Äußern der angesprochenen Meinungen als solche nicht stets strafbar ist.


In Anbetracht der Verfassungsmäßigkeit inhaltlich nahestehender Tatbestände wie § 140 Nr. 2 StGB und der angeführten Aspekte zur möglichen Rechtfertigung erscheint eine Bejahung der Verfassungsmäßigkeit der neuen Vorschrift bei alledem naheliegend.


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