Die Änderung des Tatbestands der Volksverhetzung durch § 130 V StGB

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Benjamin Mischke, Kiel

3.4 Billigen, leugnen oder gröblich verharmlosen

Billigen meint das ausdrückliche oder konkludente Gutheißen der Tat.20 Die zustimmende Kundgebung muss aus sich heraus verständlich und als solche unmittelbar erkennbar sein.21 Da es sich bei dem Inhalt der Schilder und Parolen im Beispielsfall um einen solchen handelt, der die Vorgehensweise des russischen Militärs gegen die Ukrainer (ob nun das ukrainische Militär oder die Zivilbevölkerung) begrüßt, liegt ein ohne Weiteres nach außen hin erkennbares Billigen vor.Unter Leugnen ist ein Bestreiten, Inabredestellen oder Verneinen zu verstehen.22 Nach z.T. vertretener Auffassung23 können nur erwiesene (und nicht noch umstrittene) Taten im Sinne des § 130 StGB geleugnet werden. Da sich der Gesetzgeber allerdings bewusst gegen ein Erfordernis des (jedenfalls völkerrechtlichen) Erwiesenseins der Taten entschieden hat, kann sich auch derjenige Demonstrant nach § 130 V StGB strafbar machen, der leugnet, dass es zu solchen Taten durch Mitglieder des russischen Militärs gekommen ist. Ein Verharmlosen liegt vor, wenn der Täter das betreffende Geschehen in tatsächlicher Hinsicht herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert.24 Das Merkmal „gröblich“ verlangt eine besondere Intensität, mit der der Täter die besagte Tat verharmlost. Ob das Merkmal des gröblichen Verharmlosens im Fallbeispiel erfüllt ist, ist fraglich. Jedenfalls wird man bezweifeln können, dass man ein nicht erwiesenes Geschehen in seinem „wahren“ Gewicht verschleiern oder dessen „Unwertgehalt“ bagatellisieren bzw. relativieren kann. Von einem Beschönigen oder in tatsächlicher Hinsicht Herunterspielen kann ebenfalls erst die Rede sein, wenn eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage existiert, die man in die eine oder die andere Richtung unrichtig darstellen kann. Trotz dieser Zweifel ist sich an der gesetzgeberischen Entscheidung festzuhalten: Ein gerichtlicher Nachweis der Taten nach dem VStGB muss nicht erbracht sein – auch eine Strafbarkeit des Demonstranten wegen gröblichen Verharmlosens ist möglich.

3.5 Eignung zur Aufstachelung zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit

Weiterhin muss die Weise der Äußerung des Täters geeignet sein, zu Hass oder Gewalt gegen eine der benannten Personen oder Personenmehrheit aufzustacheln. Zum Hass Aufstacheln ist ein Anreizen zu einer emotional aufgeladenen Feindseligkeit gegenüber dem angegriffenen Personenkreis, das über die Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgeht, und durch Einwirkung auf Intellekt und Gefühle entsprechende Haltungen hervorrufen oder steigern soll.25 Unter Gewalt ist der Einsatz körperlicher Gewalt gegen eine der benannten Gruppen oder einzelner Mitglieder zu verstehen.26 Das Merkmal „geeignet“ verlangt kein tatsächliches Vorliegen eines Erfolges oder dessen konkrete Gefahr, sondern lediglich eine abstrakt bestehende Gefahr.27 Im Fallbeispiel ist davon auszugehen, dass zunächst unbeteiligte Passanten sich von den geäußerten Inhalten beeinflussen lassen und sich der Demonstration mit ähnlichen Parolen anschließen. Ferner ist von einer medialen Verbreitung dieser Kundgebungen auszugehen, die durchaus die Möglichkeit birgt, dass sich weitere Menschen – vor allem über das Internet – radikalisieren und gegen in Deutschland befindliche Ukrainer Hass hegen oder Gewalt verüben.

 

3.6 Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören

Kumulativ zum Erfordernis der Eignung zur Aufstachelung zu Hass oder Gewalt ist als im StGB vielfach auftauchendes strafbarkeitseinschränkendes Merkmal28 eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens erforderlich. Öffentlicher Friede ist der Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben.29 Für eine Geeignetheit, den öffentlichen Frieden zu stören, müssen konkrete Tatumstände bei genereller Betrachtung zu der Befürchtung Anlass geben, dass das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit durch die Äußerung erschüttert werde.30 Bezogen auf den Beispielsfall ist bei lebensnaher Betrachtung anzunehmen, dass sich auf einer öffentlichen Demonstration nicht nur kurzzeitig verweilende Passanten, die sich eventuell dem Tun anschließen könnten, befinden, sondern auch Gegendemonstranten, die angesichts konträrer Auffassungen zu einem überaus kontroversen Thema gewaltsame Auseinandersetzungen möglicherweise nicht scheuen. Dies allein vermag noch nicht für eine Erschütterung des Vertrauens in die öffentliche Rechtssicherheit führen, da gewaltsame Ausschreitungen bei Demonstrationen zu kontroversen Themen nicht ungewöhnlich sind. Allerdings ist es in der derzeitigen Situation durchaus möglich, dass angesichts einer beträchtlichen Anzahl bereits in Deutschland befindlicher ukrainischer Flüchtlinge und angesichts der hier lebenden russischen Bevölkerung es zu einer Übertragung und Fortführung des Konflikts auch in Deutschland kommen kann. Dies kann – auch lange nach einem Ende des Krieges – eine dauerhafte Spannung zwischen zwei Bevölkerungsgruppen verursachen, die zu wiederholten, über lange Zeit gehenden gewalttätigen Auseinandersetzungen führen kann. Eine solche Gefahr mag das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtssicherheit durchaus beeinträchtigen, insbesondere weil ein Ende dieser Spannungen nicht abzusehen wäre.