Prävention von sexualisierter Gewalt gegen Kinder

Schutzkonzepte allein sind zu wenig


Von Polizeidirektor a.D. Rainer Becker, Wilhelmshaven*

 

1 Einführung

 

Im Jahr 2020 lebten 10,7 Mio. Kinder unter 14 Jahre in Deutschland. Im selben Jahr stieg die Zahl der Opfer des sog. sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Kindern gemäß den §§ 176, 176a, 176b StGB um insgesamt 6,3% (von 15.701 auf 16.686 Opfer). Bei der vollendeten Vergewaltigung gab es einen Rückgang um 3,7% (von 218 auf 210 Opfer). Bemerkenswert ist, dass 9,7% der Tatverdächtigen beim sexuellen Missbrauch noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hatten, also selber noch Kinder – und nicht schuldfähig – waren. 19,7% fanden sich in der Gruppe der 14 bis 18jährigen, also der Jugendlichen. D.h., dass knapp jeder dritte ins Hellfeld gelangte sexuelle Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen unter 18 Jahren begangen wurde.


Bei der sog. Kinderpornografie (Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b StGB) gab es eine Steigerung um 53,0% (von 12.262 auf 18.761Fälle). 50,6% der Tatverdächtigen war unter 21 Jahre alt.


Bezüglich des Einwirkens auf Kinder mit technologischen Mitteln (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 u. 4 StGB gab es eine Steigerung um 17,6% (3.264 auf 3.839 Fälle). Bei der Mehrzahl der Fälle ging es dabei um sog. Cybergrooming, so dass zumindest bei den Opfern von Kindern und Jugendlichen überwiegend im schulpflichtigen Alter ausgegangen werden kann. Insgesamt ist also eine deutliche Steigerung der genannten Delikte zu konstatieren. Dabei lässt sich nicht die Ursache benennen, sondern allenfalls gibt es begünstigende Einflussfaktoren.

2 Wer sind die Tatverdächtigen?


Nach eigenen Beobachtungen und berichteten Erfahrungen handelt es sich in Schulen überwiegend um männliche Schüler ab Klasse 4 und eher um Schüler an Regionalschulen als an Gymnasien. Bis Klasse 4 haben Schülerinnen und Schüler oft noch engere Bindungen an die Lehrkräfte als danach. Dies schließt nicht aus, dass auch Jüngere und Mädchen Gewalt ausüben können und es auch tun, ebenso wie Erwachsene. Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und lässt sich nicht nur auf Kinder und Erwachsene aus sozial schwachen Familien reduzieren. Andere üben dann eher psychische Gewalt oder digitale Gewalt aus, und wenn sich dann eine Betroffene/ein Betroffener einmal physisch wehrt, ist er der wahrgenommene Gewalttätige. Psychische und digitale Gewalt können genauso verletzen und wehtun wie physische Gewalt, die Betroffenen nachhaltig traumatisieren und ggf. in besonderes extremen Konstellationen bis in den Suizid treiben. Je besser dagegen das Selbstwertgefühl eines Kindes ist und je besser seine sprachliche Kompetenz, desto weniger wahrscheinlich wird es versuchen, seine Konflikte mit physischer Gewalt zu lösen.


In der Forschung geht man davon aus, dass bei Sexualdelikten gegen Kinder nur bis maximal 40% der Täter pädophil veranlagt sind. Die übrigen Tatverdächtigen leiden oft unter anderen psychischen Störungen die die Tat begünstigt hatten, aber hier auch nicht alle. Einige versuchen einfach nur Grenzen zu überschreiten, weil sie glauben es zu können und ausprobieren wollen – ohne dabei krank im medizinischen Sinne zu sein. Die Täter sind zwar überwiegend männlichen Geschlechts, aber es gibt auch Frauen, die pädophil veranlagt sind und dies nur besser zu kaschieren wissen und darüber hinaus auch solche, die aktiv als Mittäterin oder zumindest über die so genannte Beihilfe Sexualdelikte begehen. Teilweise geht man sogar von 20-30% pädophiler Täterinnen aus. Wie bereits ausgeführt, wird knapp jede dritte Tat im Hellfeld von Kindern oder Jugendlichen begangen. Hier ist eher von anderen Motiven als Pädophilie auszugehen.


Viele der Delikte wurden und werden durch digitale Medien angeregt oder sogar mit ihrer Hilfe begangen. Auch hier sind Jugendliche und Kinder, bedingt durch ihre grundsätzlich ausgeprägtere Affinität für derartige Medien, häufiger als Betroffene, aber auch als Tatverdächtige/Täter auffällig.


Beachtenswert sind hier natürlich auch die gestiegenen Zahlen bei den aufgedeckten Fällen sog. Kinderpornografie, bei denen sich insbesondere Jugendliche und Kinder nicht bewusst machen, dass hinter jedem Bild dem Grunde nach nichts anderes als sexualisierte Gewalt bis hin zu einer Vergewaltigung steckt, die durch den Konsum des Zuschauers begünstigt wird.


Auch im Vereinssport gibt es Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die lange tabuisiert wurden. Mittlerweile werden allerdings zunehmend auch von ehrenamtlich Tätigen erweiterte Führungszeugnisse verlangt. In Anfängen werden von Vereinen Beauftrage/Ansprechpartner beiderlei Geschlechts benannt.

 

In einer Befragung in 2016 gaben 37% der Befragten an, sexualisierte Gewalt erlebt zu haben, wobei Mädchen häufiger betroffen zu sein scheinen als Jungen oder Letztere weniger anzeigebereit sein könnten, weil es gegen Klischees von Männlichkeit verstoßen könnte.


Hier sollte von Schulen und anderen staatlichen Einrichtungen der Druck auf die Vereine und Verbände erhöht werden, z.B. indem keine Trainer, Übungsleiter, Begleiter, pp. akzeptiert werden, die kein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt haben oder dass keine Lehrveranstaltungen wie z.B. Schwimmunterricht durch Bademeister öffentlicher Bäder durchgeführt werden dürfen mit Akteuren, die dies nicht belegt haben.

Seite: 123weiter >>