Gewalt gegen Frauen: Möglichkeiten der Kriminalprävention

Von EKHK a.D. Klaus Kemper, Duisburg

 

1 Allgemeines

 

„Gewalt gegen Frauen“ bezeichnet jede Handlung geschlechtsbezogener Gewalt, die der Frau körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben. Infolgedessen umfasst Gewalt gegen Frauen unter anderem folgende Formen der Gewalt:


körperliche, sexuelle und psychische Gewalt in der Familie, namentlich auch Misshandlung von Frauen, sexueller Missbrauch von Mädchen im Haushalt, Gewalt im Zusammenhang mit der Mitgift, Vergewaltigung in der Ehe, Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane und andere traditionelle, für die Frau schädliche Praktiken, Gewalt außerhalb der Ehe und Gewalt im Zusammenhang mit Ausbeutung;


körperliche, sexuelle und psychische Gewalt in der Gemeinschaft, so auch Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, sexuelle Belästigung und Einschüchterung am Arbeitsplatz, an Bildungseinrichtungen und anderswo, Frauenhandel und Zwangsprostitution;


vom Staat ausgeübte oder geduldete körperliche, sexuelle und psychische Gewalt, wo immer sie auftritt.2


Diese bereits auf der vierten Weltfrauenkonferenz im Jahre 1995 definierte Beschreibung des Problems der Gewalt gegen Frauen ist auch im 21. Jahrhundert noch so aktuell wie vor 25 Jahren, wie z.B. eine ähnlich lautende Interpretation dieses Begriffes zeigt, die die Europäische Union in der 2011 verabschiedeten „Istanbul Konvention“ veröffentlichte und in der entsprechende Verhaltensweisen als Menschenrechtsverletzungen bezeichnet werden.3


Vor diesem Hintergrund werden – ungeachtet des Umgangs mit diesem Phänomen in anderen Kulturkreisen – in der Bundesrepublik Deutschland, wie auch in anderen Ländern mit ähnlichen Gesellschaftsformen, trotz unterschiedlicher Organisationsstrukturen Straftaten im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in speziellen Fachdienststellen bearbeitet. In Nordrhein-Westfalen, der langjährigen polizeilichen Heimat des Autors, sind diese Dienststellen in den meisten Fällen auch mit der Sachbearbeitung von Delikten im Zusammenhang mit „häuslicher Gewalt“ betraut, die sich zum großen Teil gegen die körperliche und auch psychische Unversehrtheit weiblicher Opfer richten. Dabei handelt es sich um alle Formen physischer, sexueller und/oder psychischer Gewalt zwischen Personen in zumeist häuslicher Gemeinschaft. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Personen in Ehe, eingetragener Partnerschaft oder einfach nur so zusammenleben, welche sexuelle Orientierung vorliegt oder ob es sich um eine Gemeinschaft mehrerer Generationen handelt. Wichtig ist, dass es sich um eine Beziehung handelt, die noch besteht, in Auflösung befindlich ist oder seit einiger Zeit aufgelöst ist. Der Ort des Geschehens kann dabei auch außerhalb der Wohnung liegen, z.B. Straße, Geschäft und Arbeitsstelle.4 Darüber hinaus ist gerade bei der Bearbeitung dieses Deliktsbereiches eine enge Zusammenarbeit mit dem polizeilichen Opferschutz ebenso wichtig wie das enge Zusammenspiel mit kommunalen Frauenberatungsstellen sowie freien Trägern, die sich mit der Problematik befassen.

 

2 Die Präventionsdienststellen


So erfolgreich die Arbeit der Fachkommissariate bei der Aufklärung begangener Straftaten dieses Deliktsbereiches auch ist, stellt sich doch die Frage, ob es auch Möglichkeiten gibt, bereits im Vorfeld Präventionsmaßnahmen zu treffen, um entsprechende Tatausführungen zu verhindern. In allen Polizeibehörden der Bundesrepublik existieren, unabhängig von der jeweiligen Organisationsstruktur, Anlaufstellen, bei denen Bürgerinnen und Bürger im Einzelgespräch oder bei Vorträgen Tipps erhalten, auf welche Weise sie vermeiden können, Geschädigte einer Straftat zu werden. In Nordrhein-Westfalen decken meist eigens dafür geschaffene Dienststellen, die Kriminalkommissariate Kriminalprävention/Opferschutz (KK KP/O), den Beratungsbedarf zu diversen Themenbereichen ab. Neben technischen Ratschlägen zur Vermeidung eines Einbruchdiebstahls oder Aufklärung über Modi Operandi z.B. der Computerkriminalität werden dort auch Verhaltenshinweise gegeben, die die Gefahr, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden, reduzieren können. Dabei handelt es sich allerdings um einen Deliktsbereich, bei dem nicht nur jugendliches Machogehabe, entwicklungsbedingte persönliche Probleme, Neugier oder finanzielle Interessen bei der Tatbegehung im Vordergrund stehen, sondern es können auch noch andere Gründe Motivation für die Taten sein. Will man die Täter, sofern das überhaupt möglich ist, grob in zwei Kategorien einteilen, dann sind das einerseits diejenigen, die ohne engere vorherige Verbindung zum Opfer stehen und andererseits jene, bei denen eine enge, möglicherweise sogar familiäre Beziehung zur letztlich geschädigten Person vorliegt. Erstere werden vorwiegend auf einen sexuellen Kontakt aus sein, die zweite Gruppe wird meist in Form vieler Facetten der häuslichen Gewalt, zu denen auch sexuelle Übergriffe zählen, aktiv.

 

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