
Eindrucksbildung und Stereotype bei Studierenden im Polizeivollzugsdienst
Von Prof. Dr. Ulrich Walbrühl und Prof. Dr. Sabine Schlingmann, Duisburg*
Abstract

Polizeistudierende wurden einem Experiment unterzogen, bei denen ihnen nacheinander zehn Fotos von männlichen Personen vorgelegt wurden. Sie sollten jeweils innerhalb weniger Sekunden entscheiden, ob die dargestellte Person über einen kriminellen Hintergrund verfügt. Den Probanden gelang es schlechter als bei einer reinen Zufallsauswahl, am äußeren Erscheinungsbild Kriminalität zu erkennen. Dabei unterschied sich die Wahrscheinlichkeit zwischen den dargestellten Personen, als kriminell identifiziert zu werden, beträchtlich. Anhand einer Einteilung in drei Gruppen wurde analysiert, welche äußeren Merkmale zu einer Einstufung als kriminell beitrugen und welche nicht. Es zeigte sich, dass das Alter und die Mimik der dargestellten Personen die Eindrucksbildung beeinflussten, ein anzunehmender Migrationshintergrund aber keine Auswirkung hatte. Zudem spielten Geschlecht und Alter der Beurteilenden eine Rolle. Das Ergebnis kann dazu beitragen, dass Polizeibeamte reflektieren, aufgrund welcher Merkmale und Kategorien sie etwa bei Personenkontrollen vorgehen.
1 Einführung

Polizistinnen und Polizisten sind in ihrem Beruf auf ihr Urteilsvermögen angewiesen. Sie müssen häufig rasch entscheiden, wie eine Situation zu verstehen ist und welches Handeln situativ angemessen ist. Dabei werden sie von ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und von ihrer Intuition geleitet. In Situationen, in denen eine unmittelbare Reaktion erforderlich ist, spielt die automatische Informationsverarbeitung eine bedeutende Rolle. Diese steht bei dieser Untersuchung im Vordergrund.
2 Theoretischer Hintergrund
Die Mechanismen der Eindrucksbildung gelten als gut erforscht. Laut Bergler (1976, S. 20) werden dabei spontan Persönlichkeitseigenschaften Menschen zugeordnet, die dem Beurteilenden zuvor völlig unbekannt waren. Ohne echte Information findet hierbei eine inhaltlich sehr weitreichende Beurteilung statt. Der Eindrucksbildungsprozess verläuft zügig und ist extrem fehleranfällig. Er ist dem schnellen, intuitiven Bereich des Denkens zuzuordnen (Kahneman, 2012, S. 33). Eine erste, nur wenige Sekunden dauernde Urteilsbildung führt dabei zu einer globalen, undifferenzierten Einschätzung, die die weitere Informationssuche beeinflusst. Eine Einteilung nach dem Schema +/- bringt es mit sich, dass fortan eindruckskonforme Informationen gesucht und wahrgenommen werden. Hierbei spielen sowohl Prozesse der Verringerung kognitiver Dissonanz (Festinger, 2012) als auch der selbst-erfüllenden Prophezeiung (Watzlawick, 2009) eine Rolle. Nach dem Motto: „Wen ich für unsympathisch halte, der wird diesen Eindruck auch bestätigen“ führt der erste Eindruck meist zur Bestätigung und wird eher selten widerlegt. Dies ist insofern praktisch, als dass der Beurteilende sich seine Menschenkenntnis selbst bestätigt hat.
In Wirklichkeit ist die Fähigkeit, aus dem ersten Eindruck zutreffende Urteile zur Charakterisierung des Gegenübers zu gewinnen, sehr begrenzt. Der Eindruck beruht auf äußeren Merkmalen und Attributen, die kaum Aussagen über die Persönlichkeit zulassen. Wenn Menschen in der Lage sind, nach einer relativ kurzen Zeitspanne recht ausführliche charakterliche Beschreibungen von Personen abzugeben, die sie nicht kennen, so stimmen die Inhalte meist nicht mit der Realität überein. Es handelt sich in erster Linie um Vorurteile (Bergler, 1976, S. 24).
Ein wichtiger Prozess ist hierbei die Kategorisierung, die als automatisch ablaufender Vorgang bereits bei Kleinkindern nachgewiesen wurde. Hierbei werden anhand von äußerlich sichtbaren Merkmalen wie Geschlecht oder Hautfarbe Personen zu Kategorien gruppiert, denen gewissen Eigenschaften zugewiesen werden (Klauer, 2008, S. 23). Die Einteilung in soziale Kategorien hat Auswirkungen darauf, wie die kategorisierten Personen wahrgenommen, beurteilt und behandelt werden. Ohne Kategorisierung ist die Bildung von Stereotypen nicht möglich. Hierbei handelt es sich um kognitive Schemata, die Hand in Hand mit vereinfachenden Verarbeitungs- und Urteilsheurismen gehen (Klauer, 2008, ebda.). Stereotype sind sozial geteilte Wissensstrukturen, die die Erwartungen der Mitglieder einer Gruppe an die Mitglieder einer anderen Gruppe bestimmen. So verfügt die Gruppe der Polizistinnen und Polizisten über Kategorien, die mit Kriminalität in Zusammenhang stehen, z.B. Täter, Opfer, Zeuge. Eine Zuweisung zu einer dieser beispielhaft genannten Gruppierungen erfolgt oft aufgrund optischer Reize.
Die Wirkungsweise von Kategorisierungen ist vielfach belegt (Taylor, Fiske, Etcoff & Ruderman, 1978; Klauer & Ehrenberg, 2008). In dem hier berichteten Experiment wird untersucht, inwieweit sich bei angehenden Polizistinnen und Polizisten bereits berufsrelevante Kategorien gebildet haben und über welchen Wahrheitsgehalt diese verfügen. Die folgenden Hypothesen lagen der Untersuchung zugrunde:
- Hypothese 1: Polizeistudierende sind in der Lage, ein Urteil darüber abzugeben, ob sie eine Person für kriminell halten oder nicht.
- Hypothese 2: Die Treffsicherheit von Polizeistudierenden hinsichtlich des kriminellen Hintergrunds einer Person fällt nicht besser als bei einer Zufallsauswahl aus.
- Hypothese 3:
- 3a: Die Zuweisung eines kriminellen Hintergrunds erfolgt nicht zufällig.
- 3b: Die Zuweisung eines kriminellen Hintergrunds geht mit erkennbaren, äußeren Merkmalen wie Hautfarbe, Alter und Affekt einher.
- Hypothese 4: Merkmale des Beurteilenden wie Geschlecht, Alter und Migrationshintergrund spielen bei der Urteilsbildung eine Rolle.
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