„Die spinnen, die Germanen!“

Die Auswirkungen des neuen Arbeitszeiterlasses auf die (Kriminal-)Polizei

4 Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei besonderen Beanspruchungen


Gut die Hälfte aller Bundesländer ermöglicht ihren Polizeibeamten einen früheren (abschlagsfreien) Eintritt in den Ruhestand, wenn im Laufe des Dienstlebens bestimmte Verwendungen wahrgenommen wurden. Die Anforderungskataloge und das Procedere in den Ländern sind dabei ausgesprochen unterschiedlich. Mal sind nur bestimmte Jahre in klassischen 24/7-Einheiten antragsfähig (Wechselschichtdienst), mal sind es Tätigkeiten in Einsatzhundertschaften, in Tauchergruppen, in Hubschrauberstaffeln oder in besonderen Ermittlungseinheiten (z.B. Kapitaldelikte oder Kinderpornografie). Mal gibt es feste Stichtage („Wer 25 Jahre voll hat, kann 2 Jahre früher gehen!“), mal wird gestaffelt („Für x Jahre besonderer Dienstbelastung darf man x Monate früher gehen“). In den meisten Ländern liegt diese Option im Benehmen der einzelnen Mitarbeiter, in einigen gibt es aber auch restriktive Regelungen (quasi eine vorzeitige „Zwangspensionierung“).


Grundsätzlich will auch die Polizei SH den (freiwilligen) „vorzeitigen Belastungsruhestand“ ins Auge fassen (was optional auch im Koalitionsvertrag der Jamaica-Landesregierung fixiert ist), hat sich vorerst aber für einen abweichenden Weg entschieden: Handlungsleitend ist hier die Überzeugung, dass besondere berufliche Anstrengungen nicht erst nach Jahren oder Jahrzehnten anerkannt und ausgeglichen werden sollten, sondern dass Belastungen unmittelbar in Entlastungen münden müssen. Aus diesem Grund wurde in Schleswig-Holstein die Reduzierung der Wochenarbeitszeit für Mitarbeiter in besonders belastenden Dienstformen in die AZVO aufgenommen. Mehr als 10 Verwendungsjahre (summarisch) führen zur Absenkung um drei Wochensollstunden, mehr als 20 Jahre zu einer fünfstündigen Reduzierung.5 Das klingt erst einmal nach einer guten und vor allem sehr Mitarbeiter orientierten Idee. Die tatsächliche Umsetzung (und Fixierung im Arbeitszeiterlass der Landespolizei) hatte es dann aber in sich. Die ursprüngliche Vorstellung, den Adressatenkreis allein am klassischen Wechselschichtdienst6 (Revierwachen, Leitstellen, Kriminaldauerdienste) festzumachen, fand in breiten Mitarbeiterkreisen – unterstützt durch Personalvertretungen und Berufsverbände – kaum Akzeptanz. Letztlich führte ein Klärungsgespräch zwischen der Landespolizeiführung und dem Innenminister zur Entscheidung, dass drei Kriterien für die o.g. Verkürzung der individuellen Wochenarbeitszeit kumulativ erfüllt sein müssen, nämlich

  1. eine (summarisch) mindestens 10-jährige Dienstverwendung, in der
  2. pro Jahr mindestens 440 Nachtdienststunden zu leisten waren/sind und
  3. die in täglich wechselnden Diensten (mit festem Dienstplan) entstanden/entstehen.

Hiervon profitieren in SH nunmehr rund 900 Polizeibeamte (etwa 13% des Vollzugspersonals). Begehrlichkeitsdiskussionen aus Reihen der nicht Begünstigten sind seltener geworden, aber noch nicht verstummt. Da die verkürzten Wochenarbeitssolle in den einzelnen Dienststellen naturgemäß Löcher reißen, sind personelle Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, die nur durch die Einstellung von zusätzlichem Vollzugspersonal zu realisieren sind. Ergänzt sei der Hinweis, dass die Landespolizei SH für das Konzept der Wochenarbeitszeitverkürzung 2019 den Deutschen Personalrätepreis in Gold erhalten hat.

 

5 Kriminalpolizeiliche Bereitschaften


Der neue Arbeitszeiterlass der Landespolizei Schleswig-Holstein hat verbindlich festgelegt, dass Rufbereitschaften (also Bereitschaften in der Wohnung mit 15% Zeitanerkennung, aber ohne jegliche Erschwernisausgleiche) für die Sicherstellung der kriminalpolizeilichen Grundversorgung (hier bekannt unter der Bezeichnung „Beamte vom Dienst“)nicht mehr zulässig sind. Für diese Form der kriminalpolizeilichen Mindestverfügbarkeit ist nunmehr Volldienst oder die Bereitschaft „B50 zu planen (also der Aufenthalt auf der Dienststelle mit 50% Zeitanerkennung und 100%ige Gewährung von Erschwernisausgleichen, d.h. DzuZ und Zusatzurlaub für Nachtdienste). Solche Bereitschaften auf der Dienststelle dürfen jedoch nur dann angeordnet werden, wenn dafür eine entsprechende „Ruhe-Logistik“ geschaffen wurde. Gelingt das – aus welchen Gründen auch immer – nicht, ist Volldienst zu leisten.7


In SH war dies allerdings nur als Zwischenschritt zu betrachten, da entschieden wurde, sich vollständig von Bereitschaften oder Sonderdiensten (für die kriminalpolizeiliche Grundversorgung) zu lösen. Aktuell wird stattdessen eine flächendeckende Kriminaldauerdienst-Organisation8 etabliert. Die Mehrheit der Kripo-Beamten freut sich darauf, da der Bereitschaftsdienst in der Privatwohnung, erst recht aber der auf der Dienststelle, zunehmend als unzumutbar empfunden wird.

 

6 Erfassung von Dienstzeiten


Wann beginnt eigentlich unsere Arbeit? Was darf man in Zeiterfassungssystemen verbuchen und was nicht? Die Anfahrt zur Dienststelle sicher nicht – außer vielleicht in Fällen der Wohnungsbereitschaft oder einer Alarmierung. Was ist mit der Zeit, in der das Fahrzeug auf dem Dienststellenareal oder außerhalb davon abgestellt wird? Was ist mit dem Gang zum Dienstgebäude, mit dem Betreten des Hauses und dem Erreichen des eigenen Büros, mit dem Aufrüsten des dienstlichen Equipments oder mit der Zeit, die man für das Anlegen der Uniform braucht? Hierüber herrschen – sofern es nicht in Erlassen festgeschrieben ist – offenbar ambivalente Vorstellungen, die zu inakzeptablen individuellen Interpretationsspielräumen führen. Der Arbeitszeiterlass für die Landespolizei Schleswig-Holstein hat dies nun erstmalig verbindlich festgelegt. Kritische Kollegen fragten sich indes, „warum man denn immer alles so kleinteilig verschriften muss“. Die Antwort ist einfach: Weil bei Ansprachen durch Vorgesetzte häufig reflexartig zwei Fragen gestellt werden: „Wer sagt das?“ und „Wo steht das?“

 



Für die Polizei SH gilt: Mit Betreten des Dienststellengebäudes, das den eigenen Arbeitsplatz beherbergt, beginnt die Arbeitszeit und mit Verlassen dieses Gebäudes endet sie. In dieser Zeit erfolgen sämtliche dienstlich erforderliche Vor- und Nachbereitungshandlungen, z.B. das Auf- und Abrüsten und das An- und Ablegen der Uniform9. „Umziehen ist Dienstzeit?“ wird sich jetzt der eine oder andere fragen, „das war doch noch nie so!“. Stimmt! Nach bisheriger Verwaltungsrechtsprechung ist der Dienstherr nicht unbedingt verpflichtet, Umziehzeiten anzuerkennen oder in Zeiterfassungssystemen zu vergüten. Bisher galt sinngemäß „Trotz einer Uniformpflicht handelt es sich beim Anlegen der Dienstkleidung um eine typische Vorbereitungshandlung, die zur Aufnahme des Dienstes notwendig und der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen ist“.10Hierüber durfte man schon immer geteilter Meinung sein! Darüber hinaus haben jüngere – anderslautende – Orientierungssätze des BAG zum An- und Ablegen von Dienstbekleidung in Krankenhäusern für Aufmerksamkeit gesorgt.11 Dies betraf zwar ein anderes Bundesland und regelt nicht explizit den Polizeibereich, führte den Erlassgeber in SH aber zur Überzeugung, dass hier innovativ und zukunftsweisend eine für die Mitarbeiter günstigere Festlegung vertretbar ist. Der denkbare Effekt, dass durch Zeiterfassung des vor- und nachlaufenden Umziehens nun Berge von zusätzlichen (Mehrarbeits-)Stunden entstehen könnten, dürfte nicht eintreten, da Umziehen und Rüsten grundsätzlich innerhalb der im Dienstplan vorgesehenen Schicht-/Arbeitszeiten erfolgen sollen. Die polizeiliche Grundversorgung (d.h. die ggf. sekundenschnelle Wahrnehmung unaufschiebbarer Soforteinsätze) können ggf. durch Überlappungsplanungen sichergestellt werden. Sollten Mitarbeiter – aus ihrem ehrenhaften Berufsverständnis heraus – für sich entscheiden, dass sie immer vollaufgerüstet zum Beginn ihrer Arbeitseinheit bereitstehen und erst nach Ende der Schicht mit dem Abrüsten und Umziehen beginnen, sorgt ein Urteil des BVerwG mit drei deutlich herausgestellten Aspekten für Klarheit:12

  1. Kraft seiner Organisationsgewaltist es allein Aufgabe des Dienstherrn, die konkreten Arbeitszeiten für die Beamten festzulegen.
  2. Die Gewährleistung der allgemeinen Sicherheit während des Schichtwechsels ist allein Aufgabe des Landes.
  3. Es steht den einzelnen Polizeibeamten nicht zu, eigenmächtig [davon] abzuweichen und dafür einen Ausgleich zu beanspruchen.