Wirtschaftskriminalität

Lage und Herausforderungen


Von LKD a.D. Ralph Berthel, Frankenberg/Sa.1

 

Wirtschaftskriminalität als Phänomen weist wie kaum ein anderer Deliktsbereich Relevanz in gesamtgesellschaftlichen Dimensionen auf. Wirtschaftsstraftaten stellen für die Strafverfolgungsbehörden eine der anspruchsvollsten Herausforderungen hinsichtlich der Aufdeckung und Aufklärung dar. Diese Bedeutung resultiert insbesondere aus der Komplexität wirtschaftskrimineller Sachverhalte, der Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit der Straftäter, der Mannigfaltigkeit der Begehungsweisen sowie nicht zuletzt aus den z.T. gravierenden gesellschaftsgefährdenden Auswirkungen dieser Delikte. Bereits einzelne Straftaten sind geeignet, erhebliche Schäden hervorzurufen, die teilweise sogar die Volkswirtschaft schädigende Dimensionen annehmen können. Sie können das Funktionieren nationaler und bisweilen auch bi- und multinationaler wirtschaftlicher Abläufe gefährden bzw. beeinträchtigen. Wirtschaftskriminalität weist dabei sowohl hinsichtlich der Phänomenologie als auch bezüglich der Fallentwicklungen eine Reihe von Spezifika auf, die in diesem Aufsatz kurz dargestellt werden sollen.

 

1 Das Phänomen


Die polizeiliche Erfassung von Wirtschaftskriminalität orientiert sich an der in § 74c Abs. 1 Nr. 1 bis 6 b Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)2 geregelten Zuständigkeit der landgerichtlichen Wirtschaftsstrafkammern. Eine Legaldefinition des Begriffs der Wirtschaftskriminalität existiert in Deutschland allerdings nicht. Eine international gebräuchliche Definition wurde von Sutherland bereits 1939 unter dem Begriff „White-Collar Crime“ entwickelt. Er definierte diese Delikte als „die Straftaten angesehener Personen mit einem hohen sozialen Status im Rahmen ihres Berufes”.3


Kein anderer Deliktsbereich ist so unmittelbar mit der aktuellen Entwicklung in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft verbunden, wie die Wirtschaftskriminalität. Der wissenschaftliche und technische Fortschritt spiegelt sich direkt in der Art und Weise der Straftatenbegehung wider. Wirtschaftsstraftäter nutzen aktuell mehr oder weniger bewusst die Vorteile der Globalisierung, die Potentiale zunehmender Internationalisierung der Waren- und Finanzströme für die Begehung von Straftaten aus.4


Im Ersten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung (PSB) wird dazu bereits 2001 ausgeführt: „Die Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität werden bestimmt durch Wirtschaftssystem und -verfassung, durch Sozialstruktur, technischen Stand und Wirtschaftsentwicklung. Veränderungen in diesen Bereichen beeinflussen Umfang und Formen der Wirtschaftskriminalität, führen zu neuen Delinquenzphänomenen und lassen andere nahezu bedeutungslos werden. Neben alten Formen, wie Buchhaltungs- und Bilanzdelikten, Schutzgelderpressungen und Korruption, Steuerhinterziehung, Bankrottdelikte, Wucher und Bestechung, Nahrungs- und Genussmittelverfälschungen, Wirtschaftsspionage und Insidergeschäften treten neue Formen, die erst durch Entwicklungen in Wirtschaft und Technik möglich geworden sind, wie Computerkriminalität und illegale Arbeitnehmerüberlassung, Produktpiraterie und betrügerische Warenterminoptionen, Geldwäsche, Waffenhandel, grenzüberschreitende und organisier-te Wirtschaftskriminalität.“5

 

2 Charakteristika wirtschaftskriminellen Handelns


Trotz dieses sehr komplexen und ständigen Wandlungen unterworfenen Bildes existieren eine Reihe von Charakteristika, die Wirtschaftsdelikten eigen sind. Die nachfolgende Aufzählung dieser Eigenschaften ist dabei nicht Selbstzweck. Sie soll vielmehr Grundlage für eine Strukturierung wirtschaftskriminellen Handelns sein und somit der exakteren Beschreibung der Lage und damit auch der zielgenaueren Ausrichtung von Bekämpfungsansätzen dienen.


Wirtschaftskriminalität ist in diesem Kontext geprägt durch:

  • Überörtlichkeit, Überregionalität, Internationalität.
  • Ein besonders hohes Maß an Organisiertheit und Strukturierung der Tatbegehung.
  • Intensive Nutzung moderner (Kommunikations-)Techniken und Möglichkeiten der vorgefundenen Infrastruktur.
  • Schwere Wahrnehmbarkeit der strafbaren Handlungen und Anonymisierung der Folgen von Straftaten (Verflüchtigung der Opfereigenschaft, damit verbunden ist u.a. auch ein von anderen Deliktsbereichen deutlich abweichendes Anzeige- bzw. Aussageverhalten).
  • Eine überdurchschnittlich hohe Aufklärungsquote.
  • Besondere Schadensträchtigkeit (das Einzeldelikt hat häufig einen gemeinschaftsschädigenden Charakter).
  • Spezialisierung und Professionalisierung auf Täterseite (diese Charakteristika korrespondieren mit der beruflichen Stellung, dem Wissen und den Erfahrungen der Täter).
  • Verflechtung mit anderen Deliktsbereichen (Korruption, Umweltkriminalität).
  • Schnittmengen mit Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität.
  • Wirtschaftskriminalität folgt in ihren aktuellen Ausprägungen den Entwicklungstrends moderner Informations- und Dienstleistungsgesellschaften.6

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