Professionelle polizeiliche Arbeit am Ereignisort

Eine Frage der Berufsehre

3 Störende Einflüsse


Wie schnell ein Sicherungsangriff erschwert werden kann, zeigen zahlreiche bekannte Fälle vorsätzlicher Störungen bis hin zu gewalttätigen Angriffen gegen die eingesetzten Beamten. Eine neue Dimension erhält dieses Problem gegenwärtig durch „Gaffer“ und Störer bei Verkehrsunfällen und ähnlichen Ereignissen mit Öffentlichkeitswirkung. Orte, an denen sich Verkehrsunfälle mit Personen- oder größerem Sachschaden ereignet haben, sind wie Tatorte zu behandeln und entsprechend bestmöglich zu schützen. Dabei sollte die Kommunikation mit der eigenen Einsatzleitstelle zu keinem Zeitpunkt abreißen. Die Polizei muss stets Herr der Lage im Einsatzraum bleiben und den Überblick behalten. Diese Feststellung kann als Leitlinie für den Einsatz gelten.9 Die Tatortarbeit lebt gewissermaßen davon, wie standhaft die Sicherungskräfte den Tatort/Ereignisort gegen alle schädlichen Einflüsse von außen „verteidigt“ haben. Das ist nicht immer so leicht, wie es erscheinen mag, aber nur so kann der Ereignisort ohne Qualitäts- und Informationsverluste an die Kräfte des Auswertungsangriffs übergeben werden. Insbesondere über die eigenen Aktivitäten, unvermeidbare Veränderungen/Beschädigungen, verursachte Spuren, eigene Feststellungen und aufgestellte Versionen sollte die Auskunftsfähigkeit gesichert sein. Der Auswertungsangriff und damit die eigentliche Tatortarbeit greift wie ein Zahnrad in den Sicherungsangriff und transportiert die gewonnenen Erkenntnisse weiter. Dieser Beitrag soll unterstreichen, wie wichtig das professionelle und engagierte Vorgehen aller handelnden Polizeibeamten am Ort des relevanten Geschehens ist. Dabei kommt es oftmals nicht darauf an, wer als erster an der benannten Stelle eintrifft oder durch einen beeindruckenden Auftritt u.U. unter Einsatz von Sonder- und Wegerechten auffällt. Vielmehr sollte sich jeder handelnde Beamte bewusst machen, dass er durch sein Verhalten wesentlich zum Erfolg oder Misserfolg der Ermittlungen im konkreten Fall beiträgt. Wer gut ausgebildet ist, sollte keine Angst vor eigenen Fehlern haben. Selbstbewusst und entschlossen an die Arbeit gehen, dabei aber die eigenen Grenzen kennen, sind richtungsweisende Kautelen des Einsatzes. Wenn man befürchtet bzw. bei konkreten Handlungen feststellt, dass die eigene Kompetenz vor Ort nicht ausreichend ist, sollte man sich das eingestehen, jedoch nicht die Beweismittelsuche am Ereignisort kurzer Hand abbrechen oder gar gefährden. Auch das gehört zur Berufsehre.

4 Ereignisort und dessen polizeiliche Bedeutung


Mit dem Begriff „Ereignisort“ wird allgemein der Bereich benannt und eingegrenzt, an dem sich mutmaßlich das bekannt gewordene Vorkommnis ereignet hat. Je nach Art und Weise des Geschehens erhält der Ereignisort bei polizeilicher Zuständigkeit eine spezifische Bezeichnung, z.B. Tatort, (Verkehrs-)Unfallort, Leichenfundort, Explosionsort, Brandort, Aufenthaltsort. Unabhängig davon, wie wir ihn bezeichnen, gelten im Wesentlichen die gleichen Verhaltensgrundsätze10. D.h. die PDV 100 gibt uns detailliert und verbindlich die Standardschritte für das korrekte Verhalten am Ereignisort vor.11 Diese festgelegten Handlungsabläufe sind inhaltlich nichts anderes, als ein Kompendium von Erfahrungen aus vielen Generationen gelebter Polizeiarbeit. Zahlreiche Fachbücher und Veröffentlichungen beschäftigen sich mit diesem Thema. Aus Sicht des Autors ist der theoretische Erklärungsbedarf nahezu ausgeschöpft. Die Regeln sind also bekannt, die Ziele klar umrissen. Leider kommt es dennoch viel zu oft vor, dass am Ereignisort – bewusst oder auch unbewusst – gebotenes Handeln unterlassen oder fehlerhaft umgesetzt wird. Das Spektrum reicht von einer kleinen Unachtsamkeit, die sich später im Verlaufe der weiteren Bearbeitung des konkreten Vorganges als folgenschwerer Fehler erweist, bis hin zu schwerwiegenden „Tatortsünden“. Die Ursachen können sehr vielfältig sein. Die größte Fehlerquelle am Tatort jedoch ist das konkrete Verhalten der handelnden Beamten „vor Ort“. Es reicht eben z.B. nicht aus, schnell einige „Fotos zu schießen“ bzw. Bildaufzeichnungen anzufertigen. Die Aufnahmen sind grundsätzlich nach den Standardvorgaben für polizeiliche Tatortfotografie herzustellen, sonst können sie im schlimmsten Fall als Beweis ungeeignet sein. Genaugenommen beginnt die qualifizierte Arbeit am Ereignisort bereits in dem Moment, in welchem ein polizeilich relevanter Sachverhalt bei der Polizei bekannt wird. Eine professionelle Erstaufnahme des Sachverhaltes ist die Grundlage für einen qualitativ hochwertigen und erfolgreichen Einsatz am Ereignisort. Alle erkennbar relevanten Daten sollen deshalb bereits an dieser Stelle erfragt und möglichst fehlerfrei protokolliert werden. Diese hohe Zielvorgabe lässt sich in der Praxis leider nicht immer umsetzen. Selbstverständlich muss hier berücksichtigt werden, dass die Aufnahme von Sachverhalten, insbesondere bei Sofortlagen, häufig unter hohem Zeitdruck und im Gemenge mit anderen aktuellen Einsatzerfordernissen erfolgt. Der geschilderte Geschehensablauf ist dann oftmals noch unklar und erfordert konkretes Hinterfragen der offensichtlichen Informationslücken. Zu klären ist aber auch, ob es sich z.B. um tatsächliche, zureichende Anhaltspunkte handelt, die den Anfangsverdacht einer Straftat begründen.12 In solchen Fällen ist das zeitnahe Aufsuchen des Ereignisortes eine nahe liegende und Erfolg versprechende Ermittlungshandlung. Die eingesetzten Polizeikräfte müssen sich stets darüber im Klaren sein, dass die Chance, den unverfälschten Ereignisort zu erfassen, ganz überwiegend in ihren Händen liegt. Die Basis für eine erfolgreiche Beweisführung liegt also direkt „vor“ den Einsatzbeamten. Gerade bei den Spezialisten der Verkehrsunfallbearbeitung ist durch Einführung modernster Technik in den letzten Jahren gewährleistet worden, dass der Unfallort beweissicher für das spätere Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren ausgemessen, für das Gericht und den urteilenden Amtsrichter visuell optimal dargestellt werden kann. Dieser Qualitätssprung unterstützt in hervorragender Weise die freie richterliche Beweiswürdigung und tatrichterliche Überzeugung im jeweiligen Einzelfall durch technische Spurensicherung. Auf zeitaufwändige Handskizzen kann somit – mehr oder weniger – verzichtet werden.

5 Voraussetzungen einer professionellen Polizeiarbeit am Ereignisort


Die Verantwortung, den Ereignisort konkret in seiner Komplexität zu erfassen, genau zu lokalisieren und zu umgrenzen, vor allem in Hinblick darauf, was aus kriminalistischer Sicht zum Ereignisort gehört, kann den eingesetzten Polizeibeamten niemand abnehmen. Deshalb ist es entscheidend, dass die mitgeführten Ausrüstungsgegenstände vollständig und uneingeschränkt funktionsfähig sind. Es reicht nicht, voller Tatendrang und Adrenalin in den Streifenwagen zu springen. Man sollte rechtzeitig vor Dienstaufnahme auf Vollständigkeit und Gebrauchsfähigkeit der Einsatzmittel an Bord und der eigenen Einsatztasche achten. Sind Verpackungsmittel im Fahrzeug? Sind die Einsatzkoffer vollständig bestückt? Ist das Siegelband noch voll klebefähig? Werden ausreichend Absperrband und ähnliche Materialien mitgeführt? Sind wichtige Vordrucke vorhanden? Ist die Digitalkamera einsatzfähig (Speichercard vorhanden, Akku aufgeladen, Ersatz Akku, ggf. Stativ)? Hinzu kommt, dass man sich auf gefahrenabwehrendes Handeln einstellen muss. Von Anfang an und im weiteren Einsatzverlauf ist auf die eigene Sicherheit zu achten. Das erfordert ständige Aufmerksamkeit und die Mitführung dem Anlass entsprechender Schutzausrüstungsgegenstände. Diese sind dann auch vor Ort – soweit erforderlich – konsequent einzusetzen, um die eigene Gesundheit nicht zu gefährden. Die anlassbezogene Gefahrenabwehr am Ereignisort sowie die erforderliche medizinische Ersthilfe für verletzte Personen können selbstverständlich nur wirkungsvoll funktionieren, wenn die handelnden Polizeibeamten nicht selbst Opfer noch vorhandener Gefahrenquellen werden, man denke beispielsweise an brennende Fahrzeuge oder Gebäude. Beim Eintreffen vor Ort, im Zuge des „Ersten Angriffs“, müssen sich die Beamten einen gründlichen Überblick verschaffen. Das gilt nicht nur für das Erscheinungsbild des Ereignis-/Tatortes. Insbesondere nach Vorsatzstraftaten muss auch ausgeschlossen werden, dass die Täter sich unbemerkt noch in einem Versteck befinden und die Tatortarbeit beobachten. Denkbare Szenarien können vielfältig sein. Berichte von Angriffen gegen Einsatzkräfte13 oder permanenten Störungen von Amtshandlungen bei größeren Einsätzen gibt es leider genügend. Aber auch tätliche Angriffe gegen Beamte am Tatort sind nicht auszuschließen.

Dazu ein Beispiel: Bei einem Einbruch in einen Drogeriemarkt wurde ein sog. „stiller Alarm“ ausgelöst. Die Einsatzkräfte näherten sich ohne Wegerechtssignale und gedeckt. Der Tatort wurde durch die Schutzpolizei gesichert und anschließend an die Kriminalpolizei übergeben. Es sah nach ganz normaler Routinearbeit aus. Die Eingangstür war aufgebrochen worden, augenscheinlich fehlte nichts, die Täter waren verschwunden. Die kriminaltechnische Spurensuche wurde lediglich durch eine „Kriminaltechnische Angestellte“ (also keine Beamtin, damit unbewaffnet!) allein realisiert. Es gab keine Probleme bei der Tatortarbeit. Die jugendlichen Täter wurden später ermittelt (Spurentreffer). Während ihrer Beschuldigtenvernehmung stellte sich heraus, dass sie gefährliche Gegenstände bei sich geführt hatten. Des Weiteren räumten sie ein, dass die eintreffende Polizei sie am Tatort überrascht hätte. Zeit für eine Flucht hätten sie deshalb nicht mehr gehabt und sich daher im Inneren der Geschäftsräume versteckt und gewartet, „bis die Luft wieder rein war…, dann, als die Frau endlich weg war“, hätten sie die Flucht ergriffen. Es bleibt ein mehr als nur ungutes Gefühl zurück.
Von Anfang an sollte bewusst darauf geachtet werden, dass die unvermeidlich entstehenden eigenen Spuren auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben und möglichst nicht die vorhandenen Beweise überlagern, verfälschen oder gänzlich zerstören. Ein kurzes, konzentriertes Innehalten hilft, die Situation in ihrer Komplexität auf sich einwirken zu lassen. Jetzt gilt es, alle Sinne auf die Wahrnehmung der vorhandenen, offen erkennbaren oder für den Moment noch latenten Tatortmerkmale zu richten, gewissermaßen den Ort zu scannen. Dabei ist es unerheblich, ob man ausschließlich mit dem Sicherungs- oder mit dem Auswertungsangriff beauftragt ist. Jeder Tatort schreibt sein eigenes Szenario und gibt den handelnden Polizeibeamten unterschiedliche Reihenfolgen der Standardschritte vor. Dabei muss unbedingt vermieden werden, dass eigene Spuren irrtümlich als Täterspuren behandelt und „gesichert“ werden. Das bedeutet, dass der Ereignisort grundsätzlich nur soweit betreten bzw. befahren werden darf, wie es unbedingt notwendig und unvermeidbar ist. Bei der Spurensuche und -sicherung ist sauber und normgerecht vorzugehen, um die jeweilige Spur selbst und ihren Beweiswert nicht zu gefährden. In jüngerer Vergangenheit wurden sogar Beispiele diskutiert, wonach kriminaltechnische Gerätschaften mit Spurenrückständen alter Tatorte verunreinigt gewesen und unbewusst an völlig anderen Tatorten eingesetzt worden sein könnten – mit der Folge möglicher unkontrollierter Kontaminationen. Solche Erscheinungen wird es vermutlich schon immer unbemerkt gegeben haben, jedoch die modernen wissenschaftlichen Methoden sind nunmehr in der Lage, solche Fehler aufzudecken. Das wiederum bedeutet, dass die „Superspur“ (z.B. DNA) zwar den Verursacher identifizieren kann, jedoch bleibt zu beweisen (das war im Übrigen schon immer so), wie die Spur an den Tatort gekommen ist und ob sie im Kanon mit allen gesicherten Beweisen steht. Man stelle sich vor, die eigene DNA würde durch ein Versehen am Tatort eines Kapitalverbrechens auftauchen. Auch eine achtlos weggeworfene eigene Zigarettenkippe oder ein benutztes Taschentuch können die Ermittlungen in die falsche Richtung lenken. Deshalb war das Rauchen am Tatort schon zu Zeiten verboten, als man seine Zigarette noch im Dienstzimmer und nahezu überall rauchen durfte und gehört zu den absoluten Unterlassungssünden am Ereignisort/Tatort.