Forensisch entomologische Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes
Von ORR Dr. Frank Reckel und ORR Dr. Jan-Eric Grunwald, München1
1 Das Sachgebiet 204 – Mikrospuren/Biologie
Das Kriminaltechnische Institut (Abteilung II) des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA) teilt sich in elf Sachgebiete auf, von denen das Sachgebiet 204 – Mikrospuren/Biologie zweifellos mit das vielfältigste Untersuchungsangebot aufweist.
Neben der Bearbeitung von biologischen Fragestellungen werden hier auch materialkundliche Analysen (z.B. Glas, Asbest, Schussrückstand) sowie textilkundliche Untersuchungen (z.B. Faserspuren, Beschädigungen, Textil-Bild-Vergleich) durchgeführt. Hinsichtlich biologischer Fragestellungen entfallen hierbei mehr als 50% der Anträge auf vergleichende bzw. bestimmende morphologische Haaruntersuchungen (Mensch und Tier), der Rest verteilt sich auf die unterschiedlichsten botanischen und zoologischen Teilbereiche, wie zum Beispiel die Bestimmung von pflanzlichen Drogen, bestimmende und vergleichende Untersuchungen von Holz- und Pflanzenspuren oder Fragstellungen bzgl. des Washingtoner Artenschutzabkommens. Einen relativ jungen Untersuchungsbereich im Sachgebiet 204 stellt die Forensische Entomologie dar, die offiziell seit dem Jahr 2004 angeboten wird.
Auch wenn die Entomologie in Bezug auf das Fallaufkommen – die Fallzahlen pro Jahr liegen durchschnittlich im niedrigen einstelligen Bereich – zugegebenermaßen eher eine untergeordnete Rolle spielt, stellt diese Disziplin trotzdem ein wichtiges und regelmäßig in Anspruch genommenes Element im Angebot des Sachgebietes dar. Die forensisch entomologischen Aktivitäten der Sachverständigen umfassen hierbei eine Reihe sehr unterschiedliche Tätigkeiten:
- Fund- und Tatortarbeit zur Unterstützung der spurensichernden Kollegen/Kolleginnen vor Ort
- weiterführende und auswertende kriminaltechnische Untersuchungen (z.B. Erbrütung im Labor, Insektenbestimmung) sowie Gutachtenerstellung und ggf. Vertretung vor Gericht
- Beratung sowie Durchführung von Schulungen zur entomologischen Spurensicherung
- Beteiligung an wissenschaftlichen forensisch entomologischen Studien in Kooperation mit anderen Institutionen in Deutschland und Europa.
Einige dieser Tätigkeiten sollen nun im weiteren Verlauf des Artikels genauer vorgestellt werden.
2 Forensisch entomologische Fallarbeit
Vorab zum besseren Verständnis eine kurze Rekapitulation einiger Grundlagen forensisch entomologischer Untersuchungen. Die bekannteste und wichtigste Anwendung bei forensisch entomologischen Untersuchungen ist die Abschätzung der Mindestliegezeit einer Leiche, fälschlicherweise oft auch als Todeszeitbestimmung bezeichnet. Am präzisesten lässt sich die Leichenmindestliegezeit durch Altersbestimmung der ältesten an einer Leiche nachgewiesenen Insektenstadien eingrenzen. Häufig handelt es sich dabei um die Larven (Maden und Puppen) von Schmeißfliegen. Schmeißfliegen spielen bei der Liegezeitabschätzung eine wichtige Rolle, da die Vertreter dieser Familie als typische Erstbesiedler eine Leiche sehr schnell, zumeist innerhalb weniger Stunden nach Todeseintritt, besiedeln, d.h. ihre Eier ablegen, wenn äußere Umstände dies nicht verhindern. Wie bei den meisten Insekten ist auch bei Schmeißfliegen die Entwicklungsgeschwindigkeit der Larvenstadien stark temperaturabhängig und variiert je nach Artzugehörigkeit. Folglich ist für eine Abschätzung der Mindestliegezeit eine exakte Artbestimmung und – soweit möglich – eine möglichst genaue Rekonstruktion der Temperaturbedingungen am Leichenfundort für die fragliche Liegezeit unumgänglich. Ein wichtiger Punkt, den es zu beachten gilt, ist, dass sich die für eine Liegezeitabschätzung relevanten ältesten Fliegenstadien nicht zwingend auf der Leiche befinden müssen, da die Maden der meisten Schmeißfliegenarten nach der Fressphase bei anstehender Verpuppung die Leiche wieder verlassen und je nach Fallumständen in der Leichenumgebung, beispielsweise im Erdboden vergraben, zu finden sind.
Die Altersbestimmung kann je nach Voraussetzungen entweder anhand von Größenmessungen der Maden oder mittels der sog. akkumulierten Tagesgradzahl erfolgen. Bei letzterem handelt es sich, vereinfacht gesagt, um die für das Erreichen eines bestimmten Stadiums notwendige Energiedosis, resultierend aus dem Produkt aus Temperatur mal Zeit. Sie erlaubt eine relativ genaue rückwirkende Berechnung des Eiablagezeitpunktes auch bei variablen Temperaturbedingungen. Bei ihren Berechnungen sind die forensischen Entomologen auf Entwicklungsdaten angewiesen, die in entsprechenden Fachzeitschriften publiziert sind.
Die Hauptaufgabe der Sachverständigen des BLKA liegt in der Fallarbeit. Auch wenn die entomologischen Fallzahlen im Sachgebiet 204 im Vergleich zum übrigen Fallaufkommen eher gering ausfallen, gehen bei den entomologischen Sachverständigen jedes Jahr regelmäßig Anfragen mit insektenkundlichem Bezug ein. An erster Stelle stehen hierbei die Beratung und die praktische Unterstützung der spurensichernden Einheiten bei einer Leichenauffindung. Die Sachverständigen des Sachgebietes 204 können von den Angehörigen der bayerischen Polizei jederzeit zur kriminaltechnischen Untersuchung und zur Unterstützung bei der Spurensicherung angefordert werden. Bei Vorliegen eines Auftrages zur Bestimmung der Mindestliegezeit als Ermittlungshilfe oder zur Gutachtenserstellung übernehmen die Sachverständigen dann in enger Abstimmung mit den Kräften vor Ort die Suche und fachgerechte Asservierung von insektenkundlichem Spurenmaterial sowie weitere Bearbeitung der Asservate. Dazu zählt nach Überführung ins BLKA je nach Bedarf auch die fachgerechte Erbrütung lebender Larven im entomologischen Labor, die weitere Präparation des Spurenmaterials, die genaue Artbestimmung sowie eine Altersberechnung der verschiedenen Stadien inklusive der damit verbundenen notwendige Temperaturrekonstruktion. Die Ergebnisse werden in einem Gutachten zusammengefasst, welches bei Bedarf auch vor Gericht vertreten werden kann.
Seit Einführung der forensischen Entomologie im BLKA finden sich regelmäßig Fälle, bei denen die entomologischen Gutachten ihren Beitrag bei der Aufklärung von Straftaten geleistet haben. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Aufträge mit insektenkundlichem Bezug im Sachgebiet nicht allein auf Leichenfunde beschränkt sind. So sind in den vergangenen Jahren auch entsprechende Gutachten bei Fällen von Erpressung in der Gastronomie, bei Branddelikten sowie allgemein zur regionalen oder zeitlichen Eingrenzung von Straftaten ergangen.
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