Ein Weg durch zwei Systeme

Eine Karriere in der Kriminalpolizei

 

4 Beschulung von „Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft“


Basierend auf den einschlägigen Rechtsgrundlagen ging aus dem „Einigungsvertrag“, zwingend hervor, dass der Status „Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft“9 nur an diejenigen Polizisten mit Vollzugsaufgaben vergeben werden darf, die eine gültige Ausbildung nachweisen konnten. Im Wesentlichen waren damit die entsprechende Befähigung und Ermächtigung zur Wahrnehmung besonderer Anordnungskompetenzen gemeint. Also entwickelten wir schnellstmöglich ein System von Tageslehrgängen, um sicherzustellen, dass alle Polizisten im Vollzugsdienst in die polizeilichen und strafprozessualen Eingriffsrechte eingewiesen werden konnten und somit handlungsfähig wurden. Als Lektor und Autor für die Beschulungsunterlagen war ich unmittelbar an diesem Prozess beteiligt. Es galt zu berücksichtigen, dass viele „neue“ Rechtsnormen und die „alten“, also die bisher bei uns geltenden, sich auf den ersten Blick sehr stark ähnelten. Das galt auch für Eingriffsrechte. Die juristisch relevanten Unterschiede und die rechtsstaatlichen Hintergründe mussten unmissverständlich dargestellt werden, was nicht so ganz einfach war. Am Ende der Veranstaltungen wurden die Kenntnisse der Teilnehmer mittels „Multiple-Choice-Verfahren“ geprüft und Zertifikate ausgestellt. Das war eine äußerst spannende Zeit, getragen von einer unglaublichen Dynamik!

 

5 Anpassungsfortbildung


Unabhängig davon war es dringend notwendig, den übernommenen Polizeibeschäftigten des Landes die Intuition des Grundgesetzes sowie die polizeirelevanten Gesetze zu vermitteln. An der ehemaligen Polizeischule in Aschersleben erschien eine Gruppe Beamter aus dem benachbarten Niedersachsen. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, dem gesamten Personalbestand einer kompletten Landespolizei schnellstens Rechts- und Handlungssicherheit zu vermitteln. Neben optimistischer Aufbruchsstimmung, schwangen auch auf beiden Seiten Vorurteile und Misstrauen mit. Man raufte sich aber zusammen und lernte sich gegenseitig zu respektieren. Der Abbau der unsichtbaren Mauer in den Köpfen hatte erst angefangen.

 


Campus der Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt.


In einem Basislehrgang wurden Lehrkräfte, darunter auch ich, zu Multiplikatoren ausgebildet. Nachdem das abgeschlossen war, wurden zwei Fachbereiche, jeweils für den gehobenen und den mittleren Dienst, aufgebaut. In einem Zeitraum von etwa drei Jahren war der gesamten Polizei Sachsen-Anhalts ein tragfähiges Basiswissen für rechtsstaatliches Handeln zu vermitteln. Insbesondere Polizeirecht, Staats- und Verfassungsrecht, Strafrecht/Strafprozessrecht, Verkehrsrecht sowie Beamtenrecht waren die Schwerpunktfächer. Die Lehrgänge waren vergleichbar mit einer polizeilichen Grundausbildung und endeten mit einer entscheidenden schriftlichen Abschlussprüfung. Nachdem ich meine Prüfung erfolgreich bestanden hatte, durfte ich mich Multiplikator nennen und wurde Leiter einer Lehrgruppe für den mittleren Dienst. Die spannende Mission „Anpassungsfortbildung“, die wir unter vorgehaltener Hand „Umerziehung“ genannt hatten, nahm ihren Lauf. Nach ca. 2,5 Jahren hatten wir lückenlos die gesamte Polizei des Landes auf ein akzeptables fachlich-rechtliches Grundniveau geführt. Mir war es vorbehalten, im letzten Lehrgang die verbliebenen „Restanten“ zu beschulen. Bei dem Gedanken, dass ich einem großen Prozentsatz der Polizeiangehörigen rechtliches Rüstzeug für ihren Dienst vermitteln durfte, schwang schon ein wenig Stolz mit. Es gab aber natürlich auch noch andere Hürden zu nehmen.

 

6 Ortsgruppe der „Gewerkschaft der Deutschen Volkspolizei“


Eine spezielle Polizeigewerkschaft hatte in der DDR nicht existiert. Wir hielten es jedoch für dringend notwendig uns zu organisieren, um unsere Interessen zu vertreten. Es ging damals u.a. um solche fundamentalen Dinge wie die Anerkennung unserer Abschlüsse, Vordienstzeiten oder die unmittelbare Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir hatten deshalb an der Polizeischule eine Ortsgruppe der „Gewerkschaft der Deutschen Volkspolizei“ gegründet, die sich für eine relativ kurze Übergangszeit um unsere Sorgen gekümmert hat, bevor wir uns zumeist der Gewerkschaft der Polizei (GdP) angeschlossen haben. Ich hatte mich damals auf der Gründungsveranstaltung für Einigkeit und Sachlichkeit eingesetzt. Bei den ersten Personalratswahlen trat ich für die GdP-Liste an. Wir gewannen die meisten Stimmen, was für mich das vorläufige Ende meiner Zeit als Lehrer bedeutete. Ich wurde Personalratsvorsitzender der Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt, mit 100% Freistellung, was angesichts der vielen unklaren Problemstellungen auch nötig war. Wir waren damals selbständiger Personalrat, mit allen Mitbestimmungsrechten ausgestattet, was sich für uns wie ein Sprung in kaltes Wasser anfühlte. „Learning by doing“ war das Gebot der Stunde. Völlig unerfahren im Personalvertretungsrecht und im Öffentlichen Dienstrecht stellten wir uns der Verantwortung und haben viele Sachverhalte zu einem guten Ergebnis gebracht. Darunter waren Mitbestimmungsfälle zu zahlreichen Einzelschicksalen und existenziell grundlegende Entscheidungen zu bestimmten Beschäftigtengruppen, die wir zu bewältigen hatten. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Dienststelle war ein spannendes Feld, mit vielen neuen Erfahrungen – für beide Seiten. Es ist uns damals auch weitestgehend gelungen, mit den Vertretern der DPolG und des BDK fair zusammenzuarbeiten und ich habe es in den vielen Jahren bis zu meiner Pensionierung niemals verstanden, warum es eine Konkurrenz geben muss.


Nach Abschluss der Anpassungsfortbildung entwickelte sich die Schule in den Folgejahren zur heutigen Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt. Hier werden die Laufbahngruppen I und II ausgebildet sowie die Fortbildung zentral organisiert. Auch der Auswahldienst ist hier angesiedelt. Ich war für etwa ein Jahr Leiter des Bereiches Grundausbildung (m.D.). Der große Anteil an Bewerberinnen für den Polizeidienst und die Tatsache, dass auch minderjährige Anwärter und Anwärterinnen unmittelbar nach Abschluss ihrer Schulzeit in der Ausbildung waren, stellten uns täglich vor anspruchsvolle Aufgaben, die wir so noch nicht kannten.


Im Zeitraum 2006/2007 wurde die Schule grundlegend umorganisiert, um für die Anforderungen der nächsten Jahre aufgestellt zu sein. Der Lehrbereich Grundausbildung war davon insofern betroffen, dass er einem anderen Bereich zugeordnet wurde. Mein Dienstposten war dadurch weggefallen. Für mich ergab sich, neben anderen Alternativen, die Option ein Praktikum in der Kriminalpolizei zu absolvieren. Da ich ohnehin die Absicht hatte, Praxisluft zu schnuppern und meine kriminalpolizeilichen Kompetenzen auf eine sichere Basis zu stellen, nutzte ich die diese Veränderungschance.

 

7 Mein Weg in die Kriminalpolizei


Die Polizei Sachsen-Anhalt war damals in fünf Direktionen (PD) gegliedert. Ich wurde auf eigenen Wunsch in die PD Halberstadt10 versetzt. Dies passierte zu einer Zeit, da Einsatzblätter noch von Hand geschrieben wurden und Computer mit ihren monströsen Monitoren noch geheimnisvolle Maschinen waren. Handarbeit mit Schreibmaschinen war noch angesagt. Ein landesweit vernetztes System der Informationserfassung und Vorgangsbearbeitung war Zukunftsmusik. Ich landete im Zentralen Kriminaldienst, im 1. Fachkommissariat (FK). Zu meinen Hauptgebieten gehörten die PKS, die Kriminalaktenhaltung sowie die Operative Informationsverarbeitung und -auswertung. Riesige Drucker spuckten ellenlange und für mich unverständliche Datensätze aus, die es dennoch zu interpretieren galt. Viel Zeit der Einarbeitung hatte ich allerdings nicht, da ich nach kurzer Zeit den Kommissariatsleiter für viele Monate ersetzen musste. Dennoch dauerte es eine Weile, bis ich genügend Einblick in die Materie gewonnen hatte. Der Wechsel vom Fachlehrer in die kriminalpolizeiliche Praxis hatte zwar mit trockener Statistik begonnen, er wurde dennoch zu einer gewaltigen, spannenden Umstellung. Die Einblicke in die Welt der PKS und polizeilichen Datenverarbeitung haben meinen kriminalistischen Horizont sehr erweitert. Beispielsweise lernte ich, die nebulös-sensible Kausalbeziehung zwischen Aufklärungsquote und Personalstärke zu verstehen. Zahlen, egal wie sie entstanden sind, dienten als Entscheidungsgrundlage. Diese spannende Erkenntnis sollte mir im Verlauf meiner Karriere helfen, den Hintergrund scheinbar unverständlicher Personal- und Strukturmaßnahmen der Polizeiführung zu erahnen. Das galt auch für den Einfluss statistischer Eckzahlen auf eigene Entscheidungen. Da ich in vielen Bereichen praktische Erfahrungen sammeln wollte, die ich ggf. später, nach einer möglichen Rückkehr an die Polizeischule, nutzen könnte, wechselte ich in das 3. FK. Damit war ich in der „richtigen“ Kriminalpolizei angekommen. Ich bearbeitete Ermittlungsvorgänge, vornehmlich im Bereich der Raub- und Erpressungsdelikte, Bandenkriminalität und schwere Fälle der Eigentumskriminalität. Erschwerend war für mich, dass ich während der Jahre des Aufbaus und der Anpassungsfortbildung kaum etwas von der realen Entwicklung im Vollzugsdienst mitbekommen hatte. Der Unterschied zwischen Schultheorie und realer polizeilicher Praxis ist nicht zu unterschätzen. Deshalb dauerte es eine Weile, bis ich mich sicher und angekommen fühlte.


Im Jahr 2001 wurde mir die Leitung einer temporären Ermittlungsgruppe übertragen. Die Fokussierung auf einen Vorgang und der enge Kontakt zum LKA waren für mich wichtige Erkenntnisquellen. Ich hatte teilweise Zugang zu den damals modernsten Ermittlungs- und Auswertungsmethoden. In diese Zeit fiel auch der erste DNA-Treffer meiner Karriere, der direkt zum Täter führte. Nicht zuletzt die Intensität und Komplexität in diesem Ermittlungsverfahren haben dazu beigetragen, dass ich mir zutraute, Leitungsfunktionen in der Kriminalpolizei zu übernehmen. Die beabsichtigte Rückkehr in meine frühere Verwendung trat damit in den Hintergrund. Ich fühlte mich zunehmend wohl in der Praxis, wenngleich in der näheren Zukunft weder mit beständigen Polizeistrukturen noch mit einem kalkulierbaren Karriereverlauf zu rechnen war.