Ein Indikatoren-Faktoren-Modell zur Analyse rechtsextremistischer Terrorismusrelevanz


Zu den relevanten [Prozessbedingungen] terroristischer Gewalt zählen Trigger, organisatorische Faktoren, Eigendynamik und Veränderung der Rahmenbedingungen.43Trigger, die als Provokation oder Zwang gedeutet werden, seien es Übergriffe duch den (vermeintlichen) „politischen Feind“, seien es staatliche Reaktionen auf den rechten Aktionismus, seien es die mediale und/oder öffentliche Präsenz einer zum Feindbild deklarierten Person/Gruppe, gelten dabei als Initialzündung der (terroristischen) Gewalt. Vor allem die Konfrontation mit den Sicherheitsbehörden erwies sich oft als Auslöser für die Radikalisierung und das Abtauchen der (halblegalen) Gruppen in den Untergrund. Organisatorische Faktoren beeinflussen die Gewaltdynamik terroristischer Akteure, wobei selbst irrational anmutende Aktionen aus organisationssoziologischer Sicht Sinn ergeben. Die „Gewaltdosierung“ hängt vor allem mit der internen Dynamik der Gruppe zusammen. Auch die Eigendynamik des Gewaltgeschehens sowie die zirkuläre Kausation der Gewaltereignisse (Spirale von Gewalt und Gegengewalt) führ(t)en dazu, dass Terrorgruppen immer tiefer in einem Strudel der Gewalt versinken. Infolge der sich entwickelnden Selbstreferenzialität entstehen am Ende „Kampfsekten“, die eine besondere Art der Rationalität und Moral aufweisen. Die Frage, welche Auswirkungen verschiedene Rahmenbedingungen bzw. ihre Veränderung auf das Gewaltgeschehen ausüben, sind in der Rechtsextremismusforschung stiefmütterlich behandelt worden.44

4. Ausblick


Obwohl das vorgestellte Untersuchungsmodell der terrorismusrelevanten Indikatoren und Gefahrenfaktoren im Rechtsextremismus lediglich als eine erste Annäherung an das komplexe Phänomen zu verstehen ist, kann das Analyseraster dazu beitragen, entsprechende (Entstehungs-)Bedingungen im Sinne einer Risikoanalyse multikausal und multidimensional auszuleuchten. Der Vorteil des entwickelten Analysemodells besteht darin, dass es einerseits die Gefahren des Rechtsterrorismus beinhaltet, andererseits dazu verhelfen kann, mögliche Entwicklungen der rechtsextremen Szenen hin zum Terrorismus im Risikokontext zu identifizieren. Die risikoanalytische Vorgehensweise sollte von der Ebene der Subindikatoren bzw. Gefahrenfaktoren ausgehen, um anschließend mögliche relevante Konstellationen auf der Indikatorenebene zu berücksichtigen und abschließend Aussagen über die vier Analysedimensionen zu treffen.
Es versteht sich von selbst, dass das Analyseschema einer weiteren, auf die Spezifika des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Geschichte und Gegenwart zugeschnittenen Verfeinerung bedarf. Überdies ist wichtig zu eruieren, welche konkreten Konstellationen von Gefahrenfaktoren zu terroristischen Entwicklungen im Rechtsextremismus führen können. Daher wäre eine holistische vergleichende Untersuchung von rechtsterroristischen Akteuren mit Blick auf die vorgestellten Analysedimensionen und (Sub-)Indikatoren notwendig. Im zweiten Untersuchungsschritt sollten Gewaltgruppen analysiert werden, die sich trotz instrumenteller Gewaltanwendung nicht-terroristischer Methoden bedienten, um mögliche Schutzfaktoren („Resilienz“) zu bestimmen. Im Anschluss daran hätte eine vergleichende Abhandlung über ähnlich verfasste Gruppen, die sich jedoch durch das Kriterium „Gewaltanwendung“ unterscheiden, die logische Abfolge der Radikalisierungsstufen zu bestimmen. Ein dergestalt aufgelegtes Forschungsprogramm würde Aussagen darüber ermöglichen, unter welchen Bedingungen Akteure auf politisch motivierte Gewalt zurückgreifen und die Schwelle zum Terrorismus überwinden. Trotz möglicher vorhandener Lücken bzw. Verzerrungen scheint das Indikatoren-Gefahrenfaktoren-Modell ein vielversprechendes Analyseinstrument zu sein, da es die Logik und Gefahrenpotentiale rechtsterroristischer Akteure sowie rechtsextremistischer Gruppierungen besser einzuschätzen ermöglicht.

Anmerkungen

  1. Vgl. Hamm, Apocalyptic Violence; vgl. Möller/Schuhmacher, Rechte Glatzen, S. 83 f.
  2. Hamm, Apocalyptic Violence, S. 326.
  3. Matthias Mletzko, „Gewalthandeln linker und rechter militanter Szenen“, unter: www.bpb.de/apuz/32414/gewalthandeln-linker-und-rechter-militanter-szenen (28. Oktober 2010).
  4. Vgl. Michail Logvinov, „Terrorismusrelevante Indikatoren und Gefahrenfaktoren im Rechtsextremismus“, in: Kriminalistik (2013) 12, S. 747-754.
  5. Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Von den „Aktivisten“ über die „Kommunikation“ bis zur „Wirkung“. Das AGIKOSUW-Schema zur Analyse terroristischer Bestrebungen. In: Jahrbuch Terrorismus 2012/2013. Hg. vom ISPK, Opladen 2013.
  6. Armin Pfahl-Traughber, „Das Zehn-Stufen-Modell der „Extremismusintensität“. Kategorien zur Analyse und Einordnung politischer Bestrebungen“, in: Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2014 (I),
  7. Vgl. John R. Schafer / Joe Navarro, „The Seven-Stage Hate Model. The Psychopathology of Hate Groups”, unter: www.au.af.mil/au/awc/awcgate/fbi/7stage_hate_model.htm (11. Mai 2015).
  8. Ebd.
  9. Ebd.
  10. Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Extremismusintensität, Ideologie, Organisation, Strategie und Wirkung. Das E-IOS-W-Schema zur Analyse extremistischer Bestrebungen. In: ders. (Hg.), Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2011/2012 (I), Brühl 2012, S. 7-27.
  11. Vgl. dazu: Johannes Urban, Die Bekämpfung des Internationalen Islamistischen Terrorismus, Wiesbaden 2006.
  12. Im Folgenden werden die Indikatoren kursiv und in eckige Klammern gesetzt [Indikator], während Gefahrenfaktoren durch Kursivschrift hervorgehoben werden.
  13. Vgl. Pfahl-Traughber, Extremismusintensität, S. 17.
  14. Vgl. Backes, Bleierne Jahre, S. 113.
  15. Vgl. Andreas Klärner, Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit, Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten, Hamburg 2008, S. 304: „Der Radikalitätsanspruch und das Umsturzversprechen des Rechtsextremismus werden immer wieder zu Enttäuschungs- und Radikalisierungsphänomenen führen, wenn die hochgesteckten Erwartungen der Anhänger nicht erfüllt werden. Die Enttäuschten werden abspringen oder sich in Einzelfällen radikalisieren und mit Gewaltexzessen reagieren, die Treuen werden sich entweder auf sich selbst zurückziehen, sektenartige Strukturen ausbilden oder sich ebenfalls radikalisieren“.
  16. Vgl. Neidhardt, Linker und rechter Terrorismus, S. 458.
  17. Vgl. Neidhardt, Linker und rechter Terrorismus, S. 450.
  18. Peter Waldmann, Terrorismus und Bürgerkrieg, München 2003, S. 10.
  19. Vgl. Stefan Malthaner, Terroristische Bewegungen und ihre Bezugsgruppen. Anvisierte Sympathisanten und tatsächliche Unterstützer. In: Peter Waldmann (Hg.), Determinanten des Terrorismus, Weilerswist 2005, S. 85-138, hier S. 85.
  20. Vgl. ebd., S. 87.
  21. Vgl. Peter Waldmann, Vorläufiges Resümee. In: Stefan Malthaner/Peter Waldmann (Hg.), Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen. Frankfurt a.M./New York 2012, S. 369-386.
  22. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Autoritarismus- wie Antisemitismuswerte in Ostdeutschland nicht von einer rechtsextremen Einstellung herrühren müssen. Anhänger der PDS/Linkspartei/Linken zeigen sich ebenfalls nicht immun gegenüber Antisemitismus- und Autoritarismus-Items.
  23. Vgl. Dirk Baier, Rechtsextremismus unter deutschen Jugendlichen. In: Britta Bannenberg (Hg.), Gewaltdelinquenz – Lange Freiheitsentziehung – Delinquenzverläufe, Mönchengladbach 2011, S. 167-184.
  24. Vgl. Carsten Wippermann/Astrid Zarcos-Lamolda/Franz Josef Krafeld, Auf der Suche nach Thrill und Geborgenheit. Lebenswelten rechtsradikaler Jugendlicher und neue pädagogische Perspektiven, Heidelberg 2002, S. 22.
  25. Birgit Rommelspacher, Der Rechtsextremismus und die „Mitte“ der Gesellschaft. Ein dominanztheoretischer Ansatz. Vortrag auf der Tagung: Rechtsextremismus in NRW. Herausforderung für Gesellschaft und Politik von Bündnis 90/die Grünen, Düsseldorf 2006, S. 10.
  26. Mit dem Begriff der Co-Radikalisierung werden hier nicht intendierte, negative Auswirkungen der Auseinandersetzung mit dem Phänomen auf das zu bekämpfende Phänomen bezeichnet.
  27. Vgl. Backes, Rechtsextremismus, S. 30.
  28. Vgl. Neidhardt, Linker und rechter Terrorismus, S. 457.
  29. Vgl. Michail Logvinov, „... denn neun sind nicht genug“. Der neue alte Rechtsterrorismus, unter: www.kriminalpolizei.de/themen/kriminalitaet/detailansicht-kriminalitaet/artikel/denn-neun-sind-nicht-genug.html; 15.03.2012.
  30. Durch den Unterscheidbarkeitsfaktor ist im Übrigen zu erklären, dass gewisse Angriffsschwellen im Rechtsterrorismus wirken. Aktionen gegen „Volksgenossen“ werden nur in seltenen Fällen durchgeführt.
  31. Vgl. Thomas Grumke, Die Rechtsextremistische Bewegung. In: Roland Roth/Dieter Rucht, Die Sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt a.M./New York 2008, S. 475-492, hier 482.
  32. Vgl. Waldmann, Vorläufiges Resümee, S. 373.
  33. Vgl. Bernd Sommer, Prekarisierung und Ressentiments. Soziale Unsicherheit und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Wiesbaden 2010, S. 288.
  34. Ebd., S. 289.
  35. Ebd., S. 288.
  36. Vgl. ebd., S. 236-238.
  37. Ebd., S. 291.
  38. Vgl. Krumwiede, Ursachen des Terrorismus, S. 39
  39. Ebd., S. 40 (Hervorhebung im Original).
  40. Rainer Erb, Der „Nationalsozialistische Untergrund“. Beobachtungen und vorläufige Überlegungen. In: Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 21, Berlin 2012, S. 393-421, hier 395.
  41. Julia Jütter, Der Nationalsozialistische Untergrund. In: Andrea Röpke/Andreas Speit (Hg.), Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland, Berlin 2013, S. 61-93, hier 65.
  42. Vgl. Uwe Backes, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland und die muslimische Welt – eine Entwicklungsskizze. In: Alexander Gallus/Thomas Schubert/Tom Thieme (Hg.), Deutsche Kontroversen. Festschrift für Eckhard Jesse, Baden-Baden 2013, S. 393-408.
  43. Vgl. Krumwiede, Ursachen des Terrorismus, S. 39-40.Krumwiede, Ursachen des Terrorismus, S. 39: „Es versteht sich von selbst, dass in der Prozessanalyse sorgfältig geprüft werden muss, wie sich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen im Prozessablauf entwickeln. Generell kann man vermuten, dass die Rahmenbedingungen, die für die Entstehung von politischen Gewaltorganisationen wichtig waren, im Prozess selbst an Bedeutung verlieren, weil das initiierte Gewaltgeschehen eine Eigendynamik annimmt und organisatorische Faktoren an Gewicht gewinnen“.