„Aktenzeichen XY … ungelöst“ wurde 50

8 Kritische Reflexion und ideologisch geleitete Anfeindungen

Früh wurde Kritik am Konzept der Sendung laut. Diese wurde nicht selten mit dem Vorwurf verbunden, Ursachen von Kriminalität oder die Motive der Täter würden nicht hinterfragt; Täter und Täterinnen würden vielmehr dämonisiert und es würde Denunziantentum gefördert. Die Auseinandersetzung um das Sendekonzept wurde meist dann besonders heftig geführt, wenn strafrechtlich relevante Sachverhalte dargestellt wurden, die eine politische Dimension aufwiesen; etwa als 1986 ein Polizeivideo zu Auseinandersetzungen um die zentrale Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für abgebrannte Brennstäbe aus Kernreaktoren in der Bundesrepublik gezeigt wurde und für Hinweise auf die Identität von fünf WAA-Gegnern eine Belohnung ausgesetzt wurde.9

Bereits Ende der sechziger Jahre entspann sich um die Sendung eine ideologisch aufgeladene Debatte. Medien wie „Der Spiegel“ wollten in der Sendung eine „Treibjagd mit moralischem Alibi“ erkennen. Der Schriftsteller, Heinrich Böll sprach von einem „muffigen Grusical für Spießer“ und das RAF-Mitglied Ulrike Meinhof behauptete 1968, erst seien in Deutschland die Juden zu Sündenböcken erklärt worden, durch „Aktenzeichen“ würden nun die Kriminellen an die Reihe kommen. Eduard Zimmermann stand sogar zeitweilig auf einer Todesliste der Roten Armee Fraktion.

Und bis heute sind die Kritiker nicht verstummt. So behauptet Schröder im Jahre 2017, allerdings ohne Fakten vorzulegen, in Zeit-Online unter der Überschrift „Freitagabend-Grusel“, „Aktenzeichen XY … ungelöst“ stehe für „Panikmache und die latente Neigung, ungeklärte Straftaten in Filmfällen gewohnheitsmäßig von fremdländisch aussehenden Personen ausführen zu lassen“.10

Regelmäßig blieben die Kritiker allerdings Beweise für die vermeintlich negativen gesellschaftlichen Auswirkungen und angeblich die angsteinflößende Sendegestaltung schuldig. Auch erfolgte regelmäßig keine Auseinandersetzung mit den oben dargestellten Anforderungen für die Aufnahme von Sachverhalten in die Sendungen und den ermittlungsbezogenen Falldarstellungen der Kriminalisten.

9 „Aktenzeichen“ ist mit der Zeit gegangen

Mit Stand Oktober 2017 sind es insgesamt 523 Ausgaben von „Aktenzeichen XY… ungelöst“ geworden. Seit 2011 wurde die Sendung um die Sonderausgabe „Wo ist mein Kind?“ und seit 2016 um „Vorsicht, Betrug!“ erweitert. Mittlerweile ist „Aktenzeichen XY … ungelöst“ auch in den sozialen Medien präsent.11 Mit Blick darauf haben drei Sätze, die Eduard Zimmermann in der ersten Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ an jenem denkwürdigen 20.10.1967 an die Zuschauer richtete, beinahe prophetischen Charakter erlangt und für das Nutzbarmachen moderner Kommunikationsformen zur Kriminalitätsbekämpfung an Aktualität nichts eingebüßt: „Die Täter bedienen sich technischer Hilfsmittel und moderner Geräte. Auch die Gegenseite, also die Polizei, die Gerichte und die öffentliche Einrichtungen als die Vertreter der gesetzestreuen Bürger, auch diese Gegenseite muss im Kampf mit dem Verbrechen mit der Zeit gehen und moderne Mittel einsetzen. Eines dieser neuen Instrumente im Kampf gegen das Verbrechen kann der Bildschirm werden.

10 Fazit

„Aktenzeichen XY … ungelöst“ ist vielleicht aus kommerzieller Sicht eine erfolgreiche Marke, ein Erfolgsgarant … zwischenzeitlich war das die Sendung übrigens auch mal nicht. Dem Kriminalisten darf, ja muss diese Sichtweise recht gleichgültig sein. Er sollte sich vielmehr die Frage stellen, ob „Aktenzeichen“ einen Beitrag für ein sicheres Deutschland leistet. Und da sind sich alle, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, einig. Ja … das tut die Sendung. Deshalb: Alles Gute zum Geburtstag und noch ein langes, erfolgreiches Fernseh-Leben!

Anmerkungen

  1. Leitender Kriminaldirektor Ralph Berthel studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2001 bis 2005 war er Dozent für Kriminalistik an der damaligen Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup (heute: Deutsche Hochschule der Polizei). Von 2005 bis 2013 leitete er die Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/O.L. und unterrichtete Kriminalistik im Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“. Seit 2015 ist Ralph Berthel Abteilungsleiter im Landeskriminalamt Sachsen. Er ist Ehrenprofessor (Pocetnyi Professor) der Belgoroder Juristischen Hochschule des Ministeriums des Innern Russlands. Der Autor ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V. Erreichbarkeit: [email protected].
  2. Der Journalist und Moderator Eduard Zimmermann, der am 4.2.1929 in München geboren wurde und am 19.9.2009 verstarb, hatte selbst eine durchaus schillernde Biografie vorzuweisen, die ihn zweimal in Justizvollzugsanstalten, einmal wegen Diebstählen und Schwarzmarktgeschäften und ein weiteres Mal wegen Spionage sah. Seine Verdienste um die mediale Unterstützung polizeilicher Fahndungsarbeit und um den Opferschutz sind gleichwohl unbestritten. Besonders erwähnenswert ist neben den Verdiensten um „Aktenzeichen XY … ungelöst“ sein Engagement für die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Familien „Weißer Ring“, die er 1976 gemeinsam mit anderen Aktivisten gründete. 1977 wurde Zimmermann mit dem Bundesverdienstkreuz und 1986 mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse geehrt. Ausführlich zur Biografie vgl. Zimmermann, 2012, Auch ich war ein Gauner: Die außergewöhnliche Autobiographie von Ganoven-Ede sowie https://de.over-blog.com/Eduard_Zimmermann_Biografie-1228321768-art92144.html  (Abruf: 21.10.2017).
  3. https://www.jrion.de/document/show/1:213209 ,331,19770101/, Abruf: 23.10.2017 (Inkraftsetzungserlasse der Länder).
  4. https://presseportal.zdf.de/pm/50-jahre-aktenzeichen-xy-ungeloest/  - Die Statistik; Stand: 1.8.2017, Abruf: 22.8.2017.
  5. Die Übersicht des ZDF erlaubt keine eindeutige Zuordnung der aufgeführten Delikte nach den Kriterien der Polizeilichen Kriminalstatistik.
  6. Vgl. https://presseportal.zdf.de/pm/50-jahre-aktenzeichen-xy-ungeloest/  - Fahndungsvoraussetzungen, Abruf: 22.10.2017.
  7. Allgemeine Verfügung der Landesjustizverwaltungen und des Bundesministers der Justiz über die Inanspruchnahme von Publikationsorganen zur Fahndung nach Personen bei der Strafverfolgung, bundeseinheitlich im März 1973 erlassen. Vgl. dazu Löwe-Rosenberg, 1989, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, S. 314. Die aktuellen Ausgestaltungen der Öffentlichkeitsfahndung (Vgl. FN 8) finden sich in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), vom 1.1.1977, geändert mit Wirkung vom 1.9.2016 durch Bekanntmachung vom 15.8.2016 [Fundstelle: BAnz AT 24.08.2016 B1], Anlage B - Richtlinien über die Inanspruchnahme von Publikationsorganen und die Nutzung des Internets sowie anderer elektronischer Kommunikationsmittel zur Öffentlichkeitsfahndung nach Personen im Rahmen von Strafverfahren.
  8. Zu den gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung einer Öffentlichkeitsfahndung vgl. insbesondere §§ 131 Abs. 3, 131a Abs. 3, 131b, 131c Abs. 1 Satz 1, 131c Abs. 2 StPO. Ausführlich dazu Clages/Ackermann, 2017, Der rote Faden, S. 282 ff.
  9. Pinseler, 2010, Der gefährdete Alltag – Oder wie „Aktenzeichen XY … ungelöst“ die Welt sieht, in: Röser/Thomas/Peil, Alltag in den Medien – Medien im Alltag, S. 77.
  10. Schröder, „Aktenzeichen XY ... ungelöst“: Der Freitagabend-Grusel, Zeit-Online, 20.10.2017; www.zeit.de/kultur/film/2017-10/aktenzeichen-xy-ungeloest-50-jubilaeum overscroll, Abruf: 22.10.2017.
  11. https://www.facebook.com/aktenzeichenxyzdf/ ; https://www.instagram.com/aktenzeichenxyzdf/ .
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