Migrantenkriminalität: Zum Stand der Dinge (Teil 1)
Von Prof. Dr. Bijan Nowrousian, Münster
2.4 „Racial Profiling“
Bezüge hätte die Frage auch für ein in jüngerer Zeit zunehmend häufiger diskutiertes Thema, nämlich ein etwaiges „Racial Profiling“ durch Polizeibeamte. Konkret geht es dabei um die Behauptung, polizeiliche Kontrollen würden bestimmte Personengruppen, namentlich junge Männer nichtweißer Hautfarbe, ohne sachlichen Grund und damit letztlich rassistisch motiviert weit überdurchschnittlich treffen. Sofern dies überhaupt zuträfe (was ein Thema für sich darstellt, das hier nicht geklärt werden soll) und gäbe es eine erhöhte Kriminalitätsbelastung dieser Gruppen in Wahrheit nicht, würde dies den Vorwurf rassistischer Motivation untermauern. Gäbe es freilich gerade bei der genannten Gruppe eine deutlich erhöhte Kriminalitätsbelastung, so könnte eine erhöhte Kontrolldichte gegenüber dieser Gruppe durchaus auch Ausdruck einer gerade an der Sache orientierten polizeilichen Arbeit sein. Dies würde den Vorwurf des „Racial Profiling“ zwar nicht generell widerlegen, zumindest aber schlösse es den Rückschluss von der schlichten Tatsache einer erhöhten Befassungsdichte auf rassistische Motive aus.
2.5 „Identitätspolitik“ und „struktureller Rassismus“
Zumindest gewisse Bezüge gibt es auch zwischen dem hiesigen Thema und den in jüngerer Zeit ebenfalls viel diskutierten Themenfeldern der sog. „Identitätspolitik“. Mit „Identitätspolitik“ werden politische Positionen beschrieben, die davon ausgehen, dass farbige bzw. migrantische Minderheiten in westlichen Gesellschaften durch eine weiße indigene Mehrheit systematisch und strukturell diskriminiert würden. Die Diskriminierung soll dabei durch „rassistische“ Strukturen verwirklicht werden mit der Folge, dass es auf Einzelakteure gar nicht ankommt. Indigene Weiße profitieren von solchen „rassistischen“ Strukturen vielmehr angeblich kollektiv, während „PoC“ (Poeple of Colour) kollektiv benachteiligt würden. Die Weißen müssten daher ihr „Weiß-Sein“ auch dann kritisch hinterfragen, wenn sie individuell gar keine rassistischen Handlungen begangen haben. „Rassismus gegen Weiße“ gebe es hingegen nicht, denn Rassismus sei etwas Strukturelles, das gegen Minderheiten, nicht aber gegen die (kollektiv) herrschende weiße Mehrheit möglich sei. Die bevorzugte Gruppe kann so zum kollektiven Täter (rassistischer Ausgrenzung) erklärt werden, die benachteiligte Gruppe zum kollektiven Opfer (rassistischer Benachteiligung).8
Ob es überhaupt sinnvoll ist, derart schematisch so komplexe soziale Fragen wie Privilegierung und Vorurteile zu behandeln, ist dabei durchaus an sich zweifelhaft. Eine solche Herangehensweise könnte mit ihrem Kollektivismus vielmehr einen problematischen antiindividualistischen und damit antiaufklärerischen Zugang und eine befremdliche „Renaissance pauschaler Zerrbilder“9 darstellen. Dies ist indes ein eigenes (Groß-)Thema, das hier als solches nicht diskutiert werden soll.
Sollte jedoch im Bereich der Kriminalität die der beschriebenen Lesart nach „benachteiligte Opfergruppe“ überdurchschnittlich häufig Täter und die dieser Lesart nach „privilegierte Tätergruppe“ überdurchschnittlich oft Opfer sein, wäre zumindest in einem gesellschaftlich sehr bedeutsamen Bereich die beschriebene Deutung sehr kritisch zu hinterfragen.
2.6 Presseberichterstattung
Und für noch etwas ist hiesiges Thema von Bedeutung, was seit einigen Jahren ebenfalls in sehr kontroversen Debatten diskutiert wird, nämlich die Presseberichterstattung über Taten, die von Tätern mit Migrationshintergrund begangen wurden. Nach dem derzeitigen Pressekodex soll der Migrationshintergrund grundsätzlich nicht und ausnahmsweise nur dann genannt werden, wenn „ein besonderes öffentliches Interesse“ an dieser Information besteht.10 Eine solche Vorgabe, die das Entstehen rassistischer Stereotypen verhindern soll, wäre vollkommen berechtigt, falls es spezifische Probleme mit Migrantenkriminalität als solcher nicht gäbe. Sollte freilich Migrantenkriminalität als solche ein Problem sein, wäre der Migrationshintergrund von Tätern (gerade auch bei schweren Taten) im Zweifel stets relevant, nämlich um das Ausmaß des Gesamtphänomens gesellschaftlich erkennbar und damit diskutabel zu machen. Das Weglassen würde dann die Gefahr bergen, zu einem Verschweigen eines realen Problems zu werden, was nicht nur dessen Lösung erschwert, sondern zugleich das Vertrauen in Presseberichterstattung insgesamt unterminieren würde.
2.7 Vertrauen in Staat und Eliten
Das Thema Vertrauen führt dann auch zum grundsätzlichsten Bereich, den hiesiges Thema berührt. Denn gäbe es eine erhöhte Kriminalitätsbelastung (bestimmter) Migrantengruppen und würde dies von herrschenden Eliten in Wissenschaft, Medien und Politik wahrheitswidrig systematisch und kontinuierlich bestritten oder zumindest kleingeredet, läge ein gravierendes Auseinanderfallen von herrschenden Narrativen und der Realität vor. Und wenn herrschende gesellschaftliche Narrative und die Wirklichkeit nicht in Einklang stehen, zerstört dies das Vertrauen in die herrschenden Eliten und deren Narrative insgesamt.
3 Zur Einordnung
3.1 Der Standort des Verfassers
Der Verfasser befasst sich mit dem Thema als Deutscher mit Migrationshintergrund, ehemaliger Staatsanwalt sowie als Verfechter einer Einwanderungspolitik, die Einwanderung grundsätzlich als etwas Positives begrüßt, jedoch nach hiesigen Regeln, zu hiesigem Nutzen und in geordneten Bahnen.
3.2 Worum es geht, worum es nicht geht
In Zeiten ungewollter Vereinnahmung einerseits und teils erstaunlich schnell betriebener Diffamierungen Andersdenkender andererseits soll schließlich noch explizit gesagt werden, was eigentlich selbstverständlich ist: Es geht beim Thema „Migrantenkriminalität“ nicht um die Frage, ob alle oder die allermeisten Menschen mit Migrationshintergrund kriminell sind. Dass gesetzestreues Verhalten und gelungene Integration vielmehr die Regel darstellen, ist eine Realität, die hier als solche auch zugrunde gelegt wird. Das gilt ebenso für Migranten aus solchen Gruppen, bei denen sich das Thema Kriminalität womöglich etwas dringender stellt. Millionen von Migranten und Deutschen mit Migrationshintergrund gehören nicht nur zu dieser Gesellschaft und identifizieren sich mit Land und Staat, sondern immer mehr von ihnen arbeiten bei Justiz und Polizei auch daran, geltendes Recht in diesem Land aktiv durchzusetzen. Die damit verbundenen Risiken, gerade auch bei der Polizei, nehmen sie bei dieser Arbeit für die Allgemeinheit in Kauf. Und es geht auch nicht darum zu behaupten, Deutsche ohne Migrationshintergrund seien stets gesetzestreu. Denn selbst in Feldern, in denen sich die Frage nach einer höheren Zahl migrantischer Täter besonders stellen wird, sind immer auch Täter ohne Migrationshintergrund zu finden. Worum es also nur geht und seriös auch nur gehen kann ist die Frage nach der Kriminalitätsbelastung. Es geht also lediglich um die Frage nach einem höheren Anteil. Nur insoweit soll das Thema mithin hier auch behandelt und verstanden werden. Insoweit indes ist zumindest die ergebnisoffene Frage nach Tätern mit Migrationshintergrund dann aber auch ein legitimes Forschungsinteresse.
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