Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist


Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden

 

I Materielles Strafrecht

 

§§ 86, 86a, 130 StGB – Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger […] Organisationen, Kennzeichen verfassungswidriger […] Organisationen, Volksverhetzung; hier: Verbreiten/Teilen eines „Nazi-Videos“ über WhatsApp-Status. Der A lud ein Video in seinem WhatsApp-Status hoch, das von sämtlichen Personen für eine Dauer von 24 Stunden angesehen werden konnte, die die Mobilfunknummer des A in einem zur Installation von WhatsApp geeigneten Endgerät gespeichert und WhatsApp installiert hatten. In dem Video mit einer Dauer von knapp 1:20 Minuten sind in der ersten halben Minute strafrechtlich nicht relevante Videoausschnitte von Menschen in verschiedenen Situationen, wie z.B. am Strand, beim Lesen oder der eigenen Hochzeit, zu erkennen. Danach werden Videoausschnitte aus der Zeit des Nationalsozialismus wiedergegeben. So sieht man u.a. Adolf Hitler, der den sog. „Hitlergruß“ ausführt, im Gleichschritt marschierende Soldaten, ein goldenes Hakenkreuz, weitere Darstellungen von Adolf Hitler, eine Formation von Flugzeugen, die ein Hakenkreuz andeutet und Abwürfe von Bomben aus Flugzeugen. Auch sind immer wieder Hakenkreuzflaggen zu erkennen. Über diese Bilder werden anti-jüdische Inhalte mit weißem Text gut lesbar eingebettet. Der A teilte das Video bewusst in seinem Status und war sich bewusst, dass das Video dadurch von allen Personen in WhatsApp wahrgenommen werden konnte, die zu der Zeit seine Mobilfunknummer gespeichert hatten.

Wer bewusst in seinem Status bei WhatsApp ein Video teilt, das sich nach eigenem Wortlaut an die „Nichtjuden der Welt“, die zum Aufstehen und zum Kampf um das eigene Volk aufgefordert werden, richtet und damit unverkennbar Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland nimmt, verbreitet dieses nicht nur, sondern stachelt damit auch selbst zum Hass in Bezug auf Angehörige des jüdischen Glaubens an. (AG Frankfurt, Urt. v. 6.1.2022 – 907 Ds 6111 Js 250180/19)


§ 177 Abs. 1 StGB – Sexueller Übergriff; hier: Absprachewidriger vaginaler Samenerguss. Das durch § 177 Abs. 1 StGB geschützte Selbstbestimmungsrecht beinhaltet das Recht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen der Rechtsgutsinhaber mit einer sexuellen Handlung einverstanden ist. Das Einverständnis mit dem vaginalen Geschlechtsverkehr kann unter die Bedingung gestellt werden, dass dieser vor dem Samenerguss zu beenden ist. Setzt sich der Sexualpartner bewusst absprachewidrig über diese vom Opfer gesetzte Grenze hinweg, stellt dies eine so erhebliche Abweichung vom konsentierten sexuellen Handlungsgeschehen dar, dass die sexuelle Handlung nicht mehr vom tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt und damit regelmäßig nach § 177 Abs. 1 StGB strafbar ist. (OLG Hamm, Urt. v. 1.3.2022 – 5 RVs 124/2)


§ 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB – Schwere Vergewaltigung; hier: Aktuelles Bewusstsein hinsichtlich „bei sich führen“. Der alkoholisierte A fuhr gegen 3 Uhr mit einem Lieferfahrzeug zur Anschrift der Geschädigten (G), deren Beziehung zum A eineinhalb Jahre zuvor geendet hatte. Als sich die G bei einem Gespräch an der Haustüre weigerte, den A zu begleiten, packte er sie am Arm und schob die sich wehrende G zum Lieferfahrzeug, setzte sie auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. In der Folge führte der A mehrere Vergewaltigungshandlungen durch. In der Hosentasche des A befand sich während der ganzen Zeit ein aufklappbares Einhandmesser.

Die schwere Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt. Gefährlich sind solche Gegenstände, die – im Fall ihrer Verwendung – geeignet sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Bei sich führt der Täter das Werkzeug, wenn er es zu irgendeinem Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung einsatzbereit am Körper oder in seiner Nähe hat. In subjektiver Hinsicht muss das Führen und die Gefährlichkeit vom zumindest bedingten Vorsatz umfasst sein. Folglich ist festzustellen und zu belegen, dass der A in diesem Sinne verinnerlicht hatte, dass er das aufklappbare Einhandmesser in der Hosentasche bei sich führte. Von dem Erfordernis eines aktuellen Bewusstseins sind dabei insoweit Abstriche vorzunehmen, als sich der Täter im Zeitpunkt der Tat nicht sämtlicher Tatumstände im Sinne eines „Daran-Denkens“ bewusst sein muss. (BGH, Beschl. v. 3.2.2021 − 4 StR 263/20)


§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Gefährliche Körperverletzung, hier: Hinterlistiger Überfall. Der A beabsichtigte, die Nebenklägerin (N) zu töten. Zu diesem Zweck bewaffnete er sich heimlich mit einem Springmesser und stieg unter dem Vorwand, zu Bekannten gefahren werden zu wollen, zu ihr ins Auto. Auf der Fahrt verhielt er sich friedfertig, um sie in Sicherheit zu wiegen. Er dirigierte sie an eine einsame Stelle, wo er die Enge der Fahrerkabine für die Tat ausnutzen wollte. Nun spiegelte er ihr vor, aussteigen zu wollen. Nachdem die ahnungslose N den Wagen weisungsgemäß angehalten hatte, zog A das Messer. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Entschluss, sie zu töten, jedoch aufgegeben. Stattdessen wollte er sie jetzt nur noch mit dem Tod bedrohen und hierdurch erreichen, dass sie die Beziehung zu ihm fortsetzt. Hierzu stach er dergestalt in Richtung ihres Bauch- und Brustbereichs, dass die Messerspitze jeweils auf ihrem Körper aufsetzte, die Kleidung aber nicht durchstach. Dabei nahm er Verletzungen der N billigend in Kauf. Tatsächlich erlitt sie unter anderem einen Schnitt an der Handinnenfläche, weil sie in Panik in die Klinge griff und diese von sich wegdrückte.

Hinterlistig ist ein Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung der wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Der o.g. Tatbestand setzt nicht voraus, dass der Täter bis zur letzten Ausführungshandlung mit Verletzungsabsicht vorgeht. Wenn der Täter zunächst in Verletzungsabsicht vorgeht und diese planmäßig vor dem Opfer verbirgt, indem er sein Opfer trickreich in einen Hinterhalt lockt, um es dort überraschend anzugreifen, und er erst danach seinen Vorsatz wechselt und die Verletzung nun nicht mehr sein Primärziel ist, er sie im Folgenden nur noch billigend in Kauf nimmt, so geht der Täter gleichwohl zäsurlos und überfallartig zum Angriff über, für den er die von ihm zuvor geschaffene Überraschungssituation ausnutzt. Wenn das Opfer in einer solchen Konstellation unter anderem einen Schnitt an der Handinnenfläche erleidet, weil es in Panik in die Messerklinge des Täters greift und diese von sich wegdrückt, begeht der Täter die Körperverletzung mittels des hinterlistigen Überfalls. (BGH, Beschl. v. 15.12.2020 − 3 StR 386/20)


§ 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB – Diebstahl mit Waffen; hier: Aktuelles Bewusstsein hinsichtlich „bei sich führen“. Die Strafbarkeit eines Diebstahls mit Waffen erfordert, dass dem Täter bei Tatbegehung bewusst war, dass er das Küchenmesser – ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB – gebrauchsbereit bei sich trug (hier: im mitgeführten Rucksack). Ausreichend, aber auch erforderlich ist insoweit das allgemeine, noch auf keinen bestimmten Zweck gerichtete, während der Tatbegehung aktuelle Bewusstsein, ein funktionsbereites Werkzeug zur Verfügung zu haben, welches geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Es müssen ausreichende Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters getroffen werden, wobei die Anforderungen umso höher sind, je weniger der bestimmungsgemäße Gebrauch des Gegenstandes eine Zweckentfremdung als potentielles Nötigungsmittel nahelegt. (OLG Braunschweig, Beschl. v. 18.8.2021 – 1 Ss 41/21)


§ 353b Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht; hier: Geheime Prüfungsaufgaben. Eine Polizeibeamtin, die im Rahmen ihres Studiums für einen Aufstieg in den gehobenen Polizeidienst durch einen Kommilitonen in den Besitz noch geheimer Prüfungsaufgaben für eine bevorstehende Modulprüfung gelangt und diese Aufgaben anderen Kursteilnehmern mitteilt, macht sich nicht wegen einer Verletzung des Dienstgeheimnisses strafbar, weil ihr das Geheimnis nicht als Amtsträgerin bekannt geworden ist. (OLG Dresden, Beschl. v. 29.9.2021 − 6 OLG 22 Ss 355/21)

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