Recht und Justiz

„Es muss doch hier irgendwo sein“

Wie lange können strafprozessuale Durchsuchungsmaßnahmen auf Gefahr im Verzug gestützt werden?

 

5 Beschluss des 4. Senates des Bundesgerichtshofes vom 4. Juni 20209


Der 4. Senat hingegen verfolgt offensichtlich eine restriktivere Linie. Auch in dieser Entscheidung waren Dursuchungsmaßnahmen bezüglich einer Wohnung erfolgt: Gegen 18.10 Uhr suchten mehrere Polizeibeamte den Angeklagten auf, da zwei Haftbefehle gegen ihn vorlagen. Als der Angeklagte seine Wohnungstür öffnete, schlug den Polizeibeamten intensiver Cannabisgeruch entgegen. Sie gaben dem Angeklagten zunächst die gegen ihn vorliegenden Haftbefehle bekannt. Dieser ging daraufhin in seine Wohnung zurück, um noch einige Sachen zu holen. Dabei blieb die Wohnungseingangstür geöffnet. Kurz darauf kamen die Mutter des Angeklagten und dessen Bruder hinzu. Da sich für die Polizeibeamten der Anfangsverdacht für eine Betäubungsmittelstraftat ergeben hatte und nicht bekannt war, ob sich in der Wohnung noch weitere Personen aufhielten, beabsichtigten sie, sogleich in der Wohnung Nachschau zu halten. Als der Angeklagte wieder aus seiner Wohnung kam, wiesen sie ihn auf die Verdachtslage hin und forderten ihn auf, die Wohnungstür offen zu lassen. Entgegen dieser Aufforderung zog der Angeklagte die Wohnungstür ins Schloss und steckte den Schlüssel seiner Mutter zu. Auf ihre Aufforderung, den Schlüssel herauszugeben, stritt die Mutter des Angeklagten dessen Besitz zunächst ab, gab den Schlüssel schließlich aber doch heraus. Die Polizeibeamten betraten daraufhin gegen 18.40 Uhr die Wohnung. Dabei sahen sie mehrere Behältnisse mit Cannabisblüten, trafen aber keine weitere Person an. Sie verließen deshalb die Wohnung wieder und forderten Kräfte der Kriminalpolizei an. Als die Kriminalbeamten gegen 19.10 Uhr eintrafen, nahmen sie nach erfolgter Unterrichtung über die Lage Kontakt mit ihrer Dienststelle auf. Nach mehreren Rücksprachen verständigte schließlich der leitende Polizeibeamte den zuständigen Staatsanwalt des Bereitschaftsdienstes, der daraufhin um 20.26 Uhr die Durchsuchung aller den Angeklagten betreffenden Räumlichkeiten und des Gartens fernmündlich anordnete, woraufhin die eingesetzten Polizeibeamten die Wohnung betraten und zahlreiche Betäubungsmittel beschlagnahmten.


Der Senat würdigt das Geschehen kritisch und stellt einen Verstoß gegen § 105 StPO fest: „Die nach der um 20.26 Uhr getroffenen Anordnung des Staatsanwalts erfolgte zweite Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten und des von ihm genutzten Gartens war rechtswidrig. […] Für die wiederholte Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten durch die herbeigerufenen Beamten der Kriminalpolizei nach 20.26 Uhr bedurfte es einer neuen Anordnung. Auf die der ‚Wohnungsnachschau‘ um 18.40 Uhr, bei der es sich in der Sache um eine Wohnungsdurchsuchung gehandelt hat, zugrundeliegende polizeiliche Anordnung, konnte das neuerliche Betreten der Wohnung nicht mehr gestützt werden. Zwar ist diese erste Anordnung nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO zu Recht ergangen, denn aufgrund des Verhaltens des Angeklagten und seiner Mutter bestand zu diesem Zeitpunkt Gefahr im Verzug. Diese Anordnung war aber bereits verbraucht, denn die ausführenden Beamten haben mit dem Verlassen der Wohnung konkludent die Beendigung dieser Durchsuchungsmaßnahme erklärt. […] Im Zeitpunkt der staatsanwaltlichen Durchsuchungsanordnung um 20.26 Uhr lag keine Gefahr im Verzug im Sinne des § 105 Abs. 1 S. 1 StPO mehr vor. Spätestens mit dem Eintreffen der Beamten der Kriminalpolizei um 19.10 Uhr stand die Erforderlichkeit einer erneuten Durchsuchung fest. Dabei war den Ermittlungsbehörden bereits aufgrund der um 18.40 Uhr erfolgten ‚Wohnungsnachschau‘ bekannt, dass sich keine Person in der von der Polizei seitdem überwachten Wohnung des festgenommenen Angeklagten aufhielt und deshalb mit einer Beweismittelvernichtung oder anderen Verdunkelungshandlungen nicht (mehr) zu rechnen war. Für die Annahme von Gefahr im Verzug bestand danach kein Raum mehr“.

 

6 Resümee


Aus den dargestellten Judikaten des Bundesgerichtshofes wird ein Grundsatz ersichtlich: Eine einmal gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 StPO aufgrund von Gefahr im Verzug angeordnete Durchsuchung darf bis zu ihrer Beendigung durchgeführt werden, ohne dass es einer richterlichen Anordnung bedarf. Fraglich ist jedoch, wann eine Durchsuchung beendet ist und der Richtervorbehalt wiederauflebt. Die Entscheidungen des 2. und 5. Senates sprechen insofern von einer Zäsur, welche zur Beendigung einer Durchsuchungsmaßnahme führen würde. Eine solche Zäsur tritt jedoch wohl offensichtlich nicht allein durch Zeitablauf ein, da in dem Urteil des 2. Senates etwa vier Stunden zwischen der ersten aufgrund von Gefahr im Verzug angeordneten Dursuchungsmaßnahme des Kraftfahrzeuges und dem Auffinden von Betäubungsmitteln in dem Kraftfahrzeug durch angeforderte Spezialkräfte lagen. Vielmehr scheint von Bedeutung zu sein, ob es objektiv ersichtliche Hinweise gibt, dass die Durchsuchung (zunächst) nicht mehr fortgeführt wird. In dem Beschluss des 4. Senates ist hierfür das Verlassen der Wohnung durch die eingesetzten Polizeibeamten bis zum Eintreffen weiterer Kräfte als entscheidend angesehen worden.


Was also soll Ermittlungspersonen geraten werden? Der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann entnommen werden, dass aufgrund Art. 13 GG bezüglich Wohnungen strengere Maßstäbe gelten als bei sonstigen Durchsuchungen. Dies müssen Polizeibeamte verinnerlichen und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Zunächst ist vor Anordnung der Durchsuchung sorgfältig unter Berücksichtigung der Grundsätze der dargestellten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu prüfen, ob Gefahr im Verzug vorliegt. Wird dies bejaht, bedarf es später einer Dokumentation dieses Entscheidungsprozesses in den Akten. Die anschließenden Maßnahmen sind stringent durchzuführen. Müssen weitere Kräfte herangeführt werden, sollte derweil trotzdem zumindest ein Polizeibeamter die Durchsuchung fortführen. Eine Wohnung ist keinesfalls durch sämtliche Einsatzkräfte zu verlassen. Kann eine zeitliche Unterbrechung der Durchsuchung nicht vermieden werden, muss vor deren Fortführung genau geprüft werden, ob gegenwärtig überhaupt noch ein Beweismittelverlust droht. Oftmals wird dies faktisch durch die getroffenen Sicherungsmaßnahmen und die Anwesenheit zahlreicher Polizeibeamter ausgeschlossen. In diesen Fällen sollte, insbesondere bei Wohnungsdurchsuchungen, „sicherheitshalber“ die fernmündliche Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses bei dem zuständigen Ermittlungsrichter durch einen Staatsanwalt veranlasst werden. Nur so lassen sich potentielle Beweisverwertungsverbote vermeiden, welche ansonsten einer späteren Verurteilung entgegenstehen könnten.


Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Polizeibeamten noch ausreichende Möglichkeiten eröffnet, mittels Gefahr im Verzug flexibel auf Situationen zu reagieren, welche eine schnelle Durchsuchung erforderlich machen. Bezüglich der Durchführung der Durchsuchungsmaßnahmen gilt in zeitlicher Hinsicht ein eher großzügiger Maßstab, worauf sich aber bei Wohnungsdurchsuchungen nicht uneingeschränkt verlassen werden darf.

 

Anmerkungen

 

  1. Dr. Sören Pansa ist bei der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein tätig. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.
  2. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11 –, BVerfGE 139, 245.
  3. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei bereits ausgeführt, dass unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die Einrichtung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit nicht zwingend erforderlich ist: BVerfG, Beschluss vom 12. März 2019 – 2 BvR 675/14 –, BVerfGE 151, 67.
  4. BGH, Urteil vom 17. Januar 2018 – 2 StR 180/17 –, NStZ-RR 2018, 146.
  5. Umfassend hierzu Metz, NStZ 2012, 242.
  6. BGH, Urteil vom 15. März 2017 – 2 StR 23/16 –, NStZ 2017, 713.
  7. BGH, Urteil vom 31. März 2021 – 2 StR 300/20 –, zitiert nach juris.
  8. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 547/17 –, zitiert nach juris.
  9. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2020 – 4 StR 15/20 –, NStZ 2020, 621.
     
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