Recht und Justiz

„Es muss doch hier irgendwo sein“

Wie lange können strafprozessuale Durchsuchungsmaßnahmen auf Gefahr im Verzug gestützt werden?

3 Urteil des 2. Senates des Bundesgerichtshofes vom 15. März 20176


Der 2. Senat vertritt diesbezüglich eine vergleichsweise extensive Auffassung. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt aus dem Bereich der organisierten Betäubungsmittelkriminalität zugrunde, bei welchem bereits im Vorfeld umfangreiche Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen durchgeführt worden waren. Der Angeklagte konnte gegen 6.00 Uhr im Rahmen der Observation in einem bis dahin unbekannten Fahrzeug festgenommen werden. Das Fahrzeug wurde unmittelbar danach in das Polizeipräsidium verbracht. Dort wurde aufgrund von Gefahr im Verzug seitens der Ermittlungspersonen die Durchsuchung angeordnet und zunächst mit negativem Ergebnis durchgeführt. Als ein Rauschgifthund anschlug, wurde eine für das Auffinden von Schmuggelverstecken spezialisierte Tatortgruppe angefordert, die gegen 10.50 Uhr in dem Fahrzeug ca. 11 Kilogramm Heroinzubereitung entdeckte. Bereits um 10.20 Uhr telefonierte der die Ermittlungen leitende Polizeibeamte mit dem zuständigen Staatsanwalt und besprach die bisherigen Ermittlungsergebnisse sowie das weitere Vorgehen. Die Sicherstellung und Durchsuchung des Fahrzeugs ist dem Staatsanwalt dabei nicht mitgeteilt worden.


Der 2. Senat stellt prägnant die die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen fest: „Die Durchsuchung des ins Polizeipräsidium verbrachten Fahrzeugs nach der Festnahme des Angeklagten war, nachdem die Ermittlungsbeamten erfolglos versucht hatten, einen Staatsanwalt zur Herbeiführung einer richterlichen Genehmigung zu erreichen, trotz mangelhafter Dokumentation durch die Annahme von Gefahr in Verzug gedeckt. Diese Durchsuchung dauerte noch an, als einige Zeit später um 10.50 Uhr eine spezialisierte Tatortgruppe die Rauschgiftverstecke ausfindig machte. Eine relevante Zäsur ist nicht dadurch eingetreten, dass die erste Nachschau erfolglos geblieben war. Denn nachdem ein Rauschgifthund angeschlagen hatte, war es nunmehr nicht vor Ort befindlichen Spezialisten überlassen, nach dem Rauschgiftversteck zu suchen. Ohne Bedeutung ist es insoweit im Übrigen, dass der die Ermittlungen leitende Polizeibeamte zwischenzeitlich den ermittelnden Staatsanwalt erreicht hatte, ohne mit ihm über die Durchsuchung des Kraftfahrzeugs zu sprechen. Eine Pflicht, hinsichtlich einer rechtmäßig auf Gefahr in Verzug gestützten und noch laufenden Durchsuchung eine richterliche Genehmigung zu erwirken, bestand für die Ermittler nicht“.


Diese Linie setzt der 2. Senat auch mit einem Urteil vom 31. März 2021 fort.7 Der Sachverhalt bezüglich der durchgeführten Durchsuchung wird dabei leider nur teilweise mitgeteilt. Der Senat führt aus, „in dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts wegen Gefahr im Verzug fehlerhaft gewesen sei. Es hat aber nicht geprüft, ob bereits zuvor eine wirksame Anordnung der Durchsuchung durch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft vorgelegen hatte. Die Durchsuchung begann mit dem Eingriff in den Schutzbereich gemäß Art 13. Abs. 1 GG; dieser lag jedenfalls mit dem Betreten der Räume der Wohngemeinschaft vor, nicht erst mit Betreten des Zimmers der Angeklagten. Insoweit konnte die Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts prozessual überholt gewesen sein; denn eine zurecht wegen Gefahr im Verzug begonnene Durchsuchung kann gegebenenfalls in zulässiger Weise fortgesetzt werden, wenn in deren Verlauf die ursprünglich zutreffend angenommene Gefahr eines Beweismittelverlustes entfällt“. Vorstellbar wäre als Sachverhalt etwa, dass die Ermittlungspersonen um 11.00 Uhr aufgrund von Gefahr im Verzug begonnen hatten, die Gemeinschaftsräume der Wohngemeinschaft des A und des B zu durchsuchen. Um 12.00 Uhr ordnete der Staatsanwalt fernmündlich die Durchsuchung des Zimmers des A ebenfalls aufgrund von Gefahr im Verzug an. Diese zweite Anordnung war unwirksam, da seit 11.00 Uhr genug Zeit gewesen wäre, bei einem Ermittlungsrichter fernmündlich einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen. Die Ausführungen des Senates sind dahingehend zu verstehen, dass die Wirksamkeit der rechtmäßigen ersten Anordnung der Durchsuchung, hier um 11.00 Uhr, bis zu deren Ende fortwirkt, unabhängig davon, ob in der Zwischenzeit etwaige rechtswidrige Anordnungen aufgrund von Gefahr im Verzug ergangen sind.

 

 

4 Urteil des 5. Senates des Bundesgerichtshofes vom 18. Juli 20188


Auch der 5. Senat ist auf den beschriebenen Kurs des 2. Senates eingeschwenkt. Dieser Entscheidung lag eine Wohnungsdurchsuchung zugrunde: Eingesetzten Polizeibeamten teilte eine Zeugin gegen 20.15 Uhr mit, dass eine Wohnung im Erdgeschoss vermehrt von Personen aufgesucht würde, die sich dort regelmäßig nur wenige Minuten aufhielten und aus der starker Marihuanageruch dringe. Als sich die Polizeibeamten unmittelbar darauf der von der Zeugin bezeichneten Wohnung näherten, nahmen sie ebenfalls starken Marihuanageruch und die Stimmen mehrerer Personen wahr. Sie beschlossen, die Wohnung wegen drohenden Beweismittelverlustes umgehend zu durchsuchen. Auf ihr Klopfen öffnete der Angeklagte die Tür einen Spalt breit und entgegnete in dem Bemühen, die Wohnungstür sofort wieder zu schließen, auf die Frage der Polizeibeamten, ob sie die Wohnung betreten dürften, dass dies „gerade schlecht sei“. Nachdem sich die Polizeibeamten durch einen kräftigen Stoß gegen die Tür und das Einstellen eines Fußes in den Türrahmen Zutritt zur Wohnung verschafft hatten, ergab eine erste Umschau, dass kleine Griptütchen mit Marihuana auf dem Couchtisch, den beiden Sitzgelegenheiten und auf dem Fußboden verstreut lagen. Außerdem befand sich auf dem Tisch und auf dem Fußboden jeweils eine Feinwaage. Neben letzterer waren zwei Plastiktüten mit offensichtlich größeren Mengen Marihuana erkennbar. Daraufhin wurden gegen 20.45 Uhr Beamte des Kriminaldauerdienstes sowie des Rauschgiftdezernats hinzugezogen, die an der weiteren Durchsuchung mitwirkten, wobei unter anderem etwa 350 Gramm Marihuana und Haschisch beschlagnahmt werden konnten.


Der Senat bejaht eine rechtmäßige Anordnung der Durchsuchung kraft Gefahr im Verzugs. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gesamten Dursuchungsmaßnahmen wird ausgeführt, es „liegt auch keine relevante Zäsur darin, dass nach dem Betreten der Wohnung durch Beamte der örtlichen Polizeiinspektion weitere Beamte des Kriminaldauerdienstes und des Rauschgiftdezernats zugezogen wurden, die die Durchsuchungsmaßnahme fortsetzten. Die Beamten waren nicht verpflichtet, hinsichtlich einer rechtmäßig auf Gefahr in Verzug gestützten und noch laufenden Durchsuchung eine richterliche Genehmigung zu erwirken.“