Die Rolle der Gewalt bei der Radikalisierung von Linksextremisten
Von Dr. Udo Baron, Hannover
1 Einleitung
Es ist der 6. Juli 2017, ein Tag vor Beginn des G20-Gipfeltreffens in Hamburg. Mit der „Welcome to Hell“ – Demonstration wird die „heiße“ Phase der Gipfelproteste eingeläutet. Das selbsterklärende Motto dieser Demonstration gibt auch zugleich deren Stoßrichtung vor: Unverkennbar geht es Teilen der etwa 12.000 Teilnehmern vor allem um die gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei als Repräsentant des verhassten Systems. Bereits nach der Auftaktkundgebung am Fischmarkt im Stadtteil St. Pauli eskaliert die Lage, als sich der Aufzug u.a. mit etwa 1.000 vermummten und einen „Schwarzen Block“ bildenden Teilnehmenden in Bewegung setzt. Versuche der Polizei, dieses zu unterbinden, münden in die ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen der Gipfelproteste. Polizisten werden mit Holzlatten, Eisenstangen und Flaschen attackiert und mit Steinen beworfen. Nach dem Ende der Demonstration ziehen die Teilnehmer des „Schwarzen Blocks“ in Kleingruppen marodierend durch St. Pauli und Altona. Sie errichten Barrikaden, plündern und zerstören im Laufe der Nacht Geschäfte und stecken Autos in Brand. Zugleich wird mit den nächtlichen Krawallen der Übergang zum „Tag des Ungehorsams“, dem zentralen Tag für die Durchführung von Blockaden und Aktionen zu Beginn des Gipfeltreffens, bereitet.2
Am 7. Juli sollen Teile des Hamburger Hafens blockiert werden, um die Lieferwege zu verzögern bzw. zu unterbrechen. Im gesamten Innenstadtbereich kommt es immer wieder zu Angriffen auf Polizeibeamte und die Infrastruktur der Stadt sowie zu Versuchen, die Protokollstrecke der Gipfelteilnehmer zu blockieren. So wird die Station der Bundespolizei in Altona und das dortige Rathaus von Autonomen mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen. Zugleich nutzen Autonome die Situation, um in Altona mehr als 30 Autos an der Elbchaussee in Brand zu setzen und eine Filiale des schwedischen Möbelherstellers Ikea zu attackieren. Gegen 15.00 Uhr setzt die zweite Welle der Blockadeversuche mit dem Ziel ein, die Elbphilharmonie, in der am Abend für die Staatsgäste ein Konzert stattfinden sollte, zu blockieren. In deren Verlauf kommt es zu stundenlangen Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei im Umfeld der Landungsbrücken. Am Abend bricht eine Welle der Zerstörung über das Schanzenviertel herein, in deren Zuge Geschäfte geplündert, Autos angezündet und Anwohner durch Marodeure bedroht werden. Als die Polizei anrückt, stehen auf den Dächern Autonome, um sie mit Molotowcocktails, Metallkugeln, Eisenstangen und Gehwegplatten zu attackieren.3
Die „Rote Flora“ im Hamburger Schanzenviertel.
Die Ereignisse von Hamburg erschütterten die Republik, stellte doch die hohe Gewaltbereitbereitschaft der autonomen Szene vor und während des Gipfeltreffens und ihre dahinter sichtbar werdende Radikalisierung eine neue Dimension linksextremistischer Gewalt dar. Sie unterstreicht zugleich den zentralen Stellenwert, den die Gewalt, insbesondere für Autonome, einnimmt. Welchen Stellenwert hat die Gewalt tatsächlich für das autonome Spektrum? Welchen Gewaltbegriff haben Autonome? Was veranlasst Menschen, sich zu radikalisieren? Welche Rolle spielt die Gewalt bei der Radikalisierung von Autonomen. Was sind die auslösenden Momente für eine Radikalisierung in die Gewalt und in der Gewalt? Wie kann der Radikalisierung begegnet werden? Diesen Fragen will der folgende Beitrag nachgehen und dabei versuchen, entsprechende Antworten zu geben.
2 Autonome Gewalt
Autonome kennzeichnet ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft. Auch wenn nicht alle von ihnen selber Gewalt ausüben, so befürworten sie dennoch in der Regel den Einsatz von Gewalt. Als Militanter gilt daher nicht nur der aktiv Handelnde, sondern auch derjenige, der Gewalt in Kauf nimmt bzw. mit gewaltsamen Aktionen sympathisiert. Gewalt wird zudem als „Selbstbefreiung“ von verinnerlichten Herrschafts- und Gewaltverhältnissen aufgefasst und gehört aus diesem Grunde zu den Grundpfeilern des autonomen Selbstverständnisses. So heißt es in einen ihrer Statements: „Die Anwendung von Gewalt/revolutionärer Gewalt halten wir unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur für legitim, sondern auch für unverzichtbar. Wir werden uns nicht an den vom Staat vorgeschriebenen legalen Rahmen von Protest und Widerstand halten. Denn damit wären wir auch kontrollier-, berechen- und beherrschbar. […] Also – eine Absage an Gewalt wird es von uns nicht geben – nicht heute und auch nicht in Zukunft!!!!!“4
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