Ein Weg durch zwei Systeme
Eine Karriere in der Kriminalpolizei
Von KHK a.D. Rolf Strehler, Aschersleben
Zunächst möchte ich unserer Fachzeitschrift „Die Kriminalpolizei“, herzlich zum 40. Geburtstag gratulieren. Es ist mir eine Ehre, dass ich mich zum wiederholten Mal zum Kreis der Autoren zählen darf. Dieser Beitrag soll rückblickend den Weg durch eine kriminalpolizeiliche Karriere im „Land der Frühaufsteher“1, beschreiben. Die kleine Zeitreise beginnt im Jahr 1980 und endet im November 20172. Sie führt durch die spannenden und rasant verlaufenen Evolutionsprozesse der Polizei in Sachsen-Anhalt, einem sog. „neuen“ Bundesland. Die Einflüsse und Auswirkungen dieser Entwicklungen auf einen persönlichen Lebenslauf in der Landespolizei sollen dabei im Mittelpunkt stehen. Der Fokus wird auf meine prägenden Verwendungen, einerseits als Fachlehrer an einer Polizeischule und andererseits auf verschiedenen Dienstposten in der Kriminalpolizei gerichtet sein. Um dem Thema gerecht zu werden, seien mir zunächst einige Gedanken auf die ersten Etappen meines Lebenslaufes und auf die Polizeikarriere in der zusammengebrochenen DDR, gestattet.
1 Bis 1990: Angehöriger der Deutschen Volkspolizei
Die 37 Jahre meiner persönlichen Laufbahn verliefen in zwei grundsätzlichen Etappen. Die ersten 10 Jahre war ich Angehöriger der Deutschen Volkspolizei. Ich bin mir bewusst, dass man einige Bemerkungen über diese Zeit von mir erwarten darf, wenngleich hier nur grundlegende Überlegungen Platz finden können. Als Sohn eines Polizisten war ich 1980 in die Transportpolizei3 eingetreten. Als 23-jähriger Dienstanfänger wollte ich Kriminalist werden. Damals hätte ich mir niemals vorstellen können, dass die DDR nach nur zehn Jahren im Desaster untergehen würde. Am 9. November 1989, meinem 32. Geburtstag, fiel die Berliner Mauer. Gewaltlos! Ein revolutionärer Aufbruch, der, mit unaufhaltsamer Wucht, letztlich zum Untergang des politischen Systems der DDR und in die deutsche Einheit führte, war entflammt. Für die erste meiner beiden Laufbahnetappen war das Ende besiegelt. Durch diese tiefgreifenden Zäsuren hatte auch die „Deutsche Volkspolizei“ ihre Existenzberechtigung verloren. Damit war auch die Abwicklung meiner damaligen Dienststelle, die ehemalige „Offiziersschule des Ministeriums des Innern der DDR“ in Aschersleben, verbunden. Die Konsequenzen waren tiefgreifend. Die Liegenschaft der Schule und das verbliebene Personal wurden nur noch verwaltet und alle noch laufenden Lehrgänge abgebrochen. Zahlreiche Funktionen im Verwaltungsbereich standen zur Disposition. Es folgte eine ungewisse Zeit zwischen rasant verlaufenden politischen Entwicklungen. Unsere persönlichen Lebensfundamente waren aus dem Gleichgewicht geraten. Die Angehörigen der Volkspolizei der DDR standen plötzlich vor einer Situation, auf die sie nicht vorbereitet gewesen waren. Auch ich musste Entscheidungen treffen, die sehr stark vom Verlauf des Vereinigungsprozesses abhängig waren. Wie geht es weiter? Bleibst du bei der Polizei? Was wird aus Deiner Familie? Damals war noch nicht abzusehen, dass es für mich zu einem Start in eine neue Etappe kommen würde. Der Übergang in mein zweites Lebenssystem war mehr als nur ein gewaltiger Paradigmenwechsel. Er gestaltete sich als ein kompletter Neuanfang.
2 Lehrer an der Polizeischule Aschersleben4
Von 1982 bis 1984 studierte ich in einer Spezialklasse für zukünftige Kriminalisten, an der Offiziersschule in Aschersleben, der späteren Landespolizeischule Sachsen-Anhalt. Ich schloss das Studium mit dem obligatorischen Titel „Staatswissenschaftler“ und dem Dienstgrad „Leutnant der Kriminalpolizei“5 ab. Bereits im 3. Semester hatte ich das Angebot angenommen, als sog. Lehrassistent für Strafrecht/Strafverfahrensrecht, an der Schule zu verbleiben. Voraussetzung für die Zuweisung eines entsprechenden Dienstpostens als Fachlehrer war allerdings ein Hochschulstudium. Um in die höhere Laufbahn6 aufzusteigen, absolvierte ich deshalb, neben meiner dienstlichen Tätigkeit als Lehrkraft und Klassenleiter, ein 6-jähriges juristisches Fernstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin.7
Nach etwa zwei Studienjahren (um 1985/86) begannen die Krisenerscheinungen in Staat und Gesellschaft unübersehbar zu werden. Wir jungen Lehrkräfte verspürten eine zunehmend tiefe Verunsicherung. Es war offensichtlich, dass bei Partei und Regierung auf die Öffnungspolitik Gorbatschows keine Zustimmung zu erwarten war. Besonders durch die Montagsdemonstrationen hatte sich der Druck auf die politische Entwicklung in einem atemberaubenden Tempo aufgebaut. Zum Glück haben alle Seiten, auch die Einsatzzüge der Polizeischule Aschersleben, in Leipzig die Nerven behalten, so dass dieser Prozess gewaltlos verlaufen ist. Viel Zeit zum Nachdenken blieb uns damals nicht. Plötzlich, im Alter von 33 Jahren, fand ich mich in einer nebulösen persönlichen und beruflichen Warteschleife wieder. Ich hatte mein Fernstudium abgeschlossen und am 5.7.1990 meine Urkunde als „Diplom-Jurist“ erhalten. Mein Weg zur Uni führte durch das Stadtzentrum von Berlin und war von Straßenhändlern gesäumt, die bereits Reliquien des untergegangenen „Arbeiter- und Bauern-Staates“ feilboten. Die Befürchtung, dass man die Humboldt-Universität und damit auch mein Studium ohne Abschluss abwickeln könnte, hatte sich zum Glück nicht bewahrheitet. Eine neue Ungewissheit machte sich indes breit. Welchen Wert wird dieser Abschluss haben? Die Sorge um die eigene berufliche Zukunft war bis zum Prozess der Verbeamtung ein ständiger Begleiter.
In dieser Phase der Ungewissheit und offener Fragen traf ich die Entscheidung, einen Neustart in der Polizei zu wagen. Ich verblieb also an der Polizeischule und fing an, mich auf die neue Zeit vorzubereiten. Zunächst Übergangsweise im Angestelltenverhältnis wurde ich 1991 zum Kriminalkommissar z.A. ernannt. Nach dreijähriger Probezeit wurde ich Beamter auf Lebenszeit des Landes Sachsen-Anhalt. Somit war mein Übergang in ein völlig anderes System „de facto“ gelungen und „de jure“ besiegelt. Einer zweiten kriminalpolizeilichen Karriere, zunächst als Lehrkraft, stand nichts mehr im Wege.
3 Die Suche nach Verwendungsbreite
Ich hatte im Verlaufe meiner aktiven Dienstzeit oft die Forderung nach „Verwendungsbreite der Beamten“ vernommen. Gemeint war wohl weniger die Spezialisierung und Motivation für bestimmte Fachbereiche, als vielmehr die Fähigkeit, überall eingesetzt werden zu können. Ich verstehe darunter eher ein solides allgemeines Fachwissen, um vielseitig kompetent zu sein. Der „Universalkriminalist“ wird aber bei hochkomplexen Verfahren oder bei Spezialkenntnissen erfordernden Sachverhalten schnell an seine Grenzen stoßen. Das galt auch schon, als Internet und Digitalisierung noch nicht die Welt verändert hatten. Spezialisierung und Verwendungsbreite müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Da die Schule eine Art theoretische Insel darstellt, ist es aus meiner Sicht gerade für einen Polizeilehrer unerlässlich, starke Impulse aus der polizeilichen Praxis zu erhalten. Darin habe ich ein dominierendes Motiv für die meisten meiner Verwendungswechsel gesehen. Ein erfolgreiches Comeback an der Polizeischule auf der Basis umfassender und selbst erlebter praktischer Erfahrungen war das langfristige Ziel. Allerdings kam einiges anders, als es in meinem persönlichen Planentwurf vorgesehen gewesen war.
Die entscheidende Zäsur meiner Zeitreise ist der historische Tag der Deutschen Einheit. Alles war irgendwie auf „Reset“ gestellt, wir warteten ungeduldig und gespannt auf richtungsweisende Signale und Aktionen. Dann traf die Nachricht ein, dass die Polizeischule in einer neuen Form fortbestehen würde. Aus der ehemaligen zentralen Einrichtung würde die Landespolizeischule des Landes Sachsen-Anhalt hervorgehen. Ich hätte mir damals gut vorstellen können, dass die Einrichtung eine gemeinsame Schule für alle fünf Länder des Beitrittsgebietes werden könnte. Das stand jedoch offenbar nie ernsthaft auf der Tagesordnung. Somit hatte ich eine erste entscheidende Lektion gelernt. Polizei ist Ländersache! Meine beruflichen und gewerkschaftlichen Erfahrungen sollten mich jedoch in den Folgejahren auch zu einer weiteren Erkenntnis führen. Das föderalistische System mit der jeweils eigenen Landespolizei hat zwar historisch begründete Ursachen, weist jedoch auch einige gewichtige Nachteile auf.
Eines war völlig klar, auf dem Territorium aller „neuen“ Bundesländer, also auch in Sachsen-Anhalt, musste die Innere Sicherheit durch eine funktionierende Polizei gewährleistet werden. Man überprüfte also den vorhandenen Personalbestand auf „Altlasten“, die eine Übernahme in die Landespolizei ausschließen würden. Ein Teil wurde deshalb „gegauckt“8, während einer beträchtlichen Anzahl ehemaliger Volkspolizisten die Chance auf einen Neuanfang geboten wurde. Der Aufbau einer neuen Polizei hatte begonnen. Auf die Polizeischule kamen gleichzeitig gewaltige Aufgaben zu, wovon einige unverzüglich angepackt werden mussten.
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